Auslandstierschutz: Ist gut gemeint immer gut für den Hund?

Von Mag. Ursula Aigner

»Gut gemeint ist nicht gut gemacht« – das trifft bei »Hunderettungen« nicht selten zu. Eine Rettung muss gut durchdacht sein und das Leben des geretteten Hundes sollte sich verbessern, nicht einfach nur verändern.

Menschen möchten Gutes tun, daher liegt die Entscheidung nahe, einen Hund aus dem Tierschutz bei sich aufzunehmen. Der Gedanke, einem Hund vermeintlich das Leben retten zu können, bewegt dann einige zur Übernahme eines Hundes aus dem Ausland – zumeist über eine Organisation, die Hunde aus dem Ausland vermittelt. Dagegen ist auch überhaupt nichts einzuwenden, wenn man weiß, dass »Leben retten« alleine nicht genügt. Es muss ein gutes Leben folgen! Denn (ich mochte diesen Spruch früher gar nicht, er ist aber derart treffend, dass ich ihn hier platziere):

Gut gemeint ist nicht gut gemacht!
Die bloße Vermittlung in ein Zuhause in einem belebten bis städtischen Umfeld ist längst nicht für alle Hunde, die so ein Leben bisher noch nicht kannten, eine Rettung. Denn die Umstellung an das neue Leben muss erst mal bewältigt werden, bevor ein gutes Leben folgen kann. Ein gefangener Straßenhund, der ein Leben lang ein unabhängiges und freies Leben gewohnt war und in eine Auffangstation verbracht wurde, wird mittels Mausklick aufs Hund-sitzt-ängstlich-in-der-Ecke-Foto »gerettet«. Bestellt ist wohl der treffendere Ausdruck; es erinnert tatsächlich an den Welpenverkauf aus Massenproduktionsstätten auf Internetportalen, eine in Österreich bereits verbotene Praxis.

Vom Regen in die Traufe?
Als Hundetrainerin habe ich naturgemäß mit jenen Hunden und ihren Menschen zu tun, die mehr oder minder große Probleme haben. Je nach Herkunft und Erfahrungen des Hundes als auch abhängig von den Bedingungen des neuen Zuhauses kann die nötige Anpassung nicht so ohne Weiteres geleistet werden – vor allem, wenn den neuen HalterInnen keine oder kaum Hilfe von der Organisation zur Seite gestellt wird. Neben Empathie, Wissen und Geduld seitens der Menschen bestimmt aber vor allem auch die Wohnsituation über Scheitern oder Schaffen: Je ruhiger und ländlicher, je mehr Möglichkeiten, überfordernden Begegnungen auszuweichen, desto besser die Chancen auf eine glückliche Zukunft. Aber auch in der Stadt gibt es Ecken, die ruhiger oder so günstig gelegen sind, dass man verkehrsreiche Straßen, enge Gehsteige ohne Ausweichmöglichkeit etc. vermeiden kann. Und nicht zu vergessen: Eine große Wohnhausanlage am Stadtrand oder im ländlichen Raum kann ähnlich fordernd sein wie ein Leben in der Stadt.

Aber es gibt sie natürlich auch – diejenigen, die sich trotz enormer Umstellung gut und schnell in das neue Leben einfügen, also über eine große Anpassungsfähigkeit verfügen. Leider gibt es keine validen Statistiken, wie viele Hunde sich überhaupt nicht integrieren, wie viele mit mehr oder minder großen Schwierigkeiten und wie viele sich andererseits erfolgreich und gut an die neue Situation anpassen. Man kann also nicht verallgemeinern, Hund ist nicht gleich Hund – jeder ist ein Individuum. Dennoch: Nur weil manche Hunde sich gut neu orientieren und anpassen können, bedeutet das nicht, dass ein Lotteriespiel mit Lebewesen legitim ist, frei nach dem Gießkannenprinzip: Ein paar werden es schon schaffen. Vermittlungen um jeden Preis haben mit Tierschutz wenig zu tun. Für einen Hund fühlt sich unter Umständen jedes Stiegenhaus an wie eine Geisterbahn, mit dem Lift fahren wie ein unfreiwilliger Bungee-Sprung, und der Behandlungsraum beim Tierarzt oder Hundefriseur gleicht einer Folterkammer. Und man kann es ihm nicht in menschlicher Sprache erklären, sondern ihm nur durch bessere und angenehmere Erfahrungen bzw. Strategien helfen. Das kann unter Umständen viel Arbeit bedeuten.

Aus der Sicht des Hundes
Die vielen Sinneseindrücke, die für den Hund unbekannt sind und er nicht zuordnen kann, machen ihm Angst, vielleicht so große Angst, dass er es nicht schafft, sich daran zu gewöhnen. Das Gegenteil tritt ein: Er wird immer sensibler, seine Angst ­größer.

Hunde können bei Überforderung und Stress (siehe unten) je nach Bedrängnis, Erfahrung und Situation ihr Verhalten ändern. Ein Hund, der beispielsweise im Stiegenhaus in eine Ecke flüchten möchte, aber durch die Leine daran gehindert wird, kann die Strategie in Richtung Aggression wechseln, wenn er sich vor den Geräuschen und dem auf ihn zu kommenden Menschen fürchtet. Führen also diese Bewältigungsstrategien nicht dazu, dass der Hund die Situation aus seiner Sicht entschärfen kann, wird der mit der Situation verknüpfte Stress unter Umständen sogar schlimmer, er wird chronisch. Und chronischer Stress macht krank.

Nicht nur ein Tierschutzproblem
Hunde lernen aus Erfahrungen. Jeder Hund ist auch eine eigene Persönlichkeit, die mit Neuartigem unterschiedlich umgeht. Manche Hunde zeigen bei Überforderung unmittelbar Meideverhalten bis hin zu Panik oder Aggression. Andere wiederum verhalten sich in neuartigem Umfeld neutral bis unauffällig, weil sie noch nicht auf konkrete Erfahrungen zurückgreifen können oder gehemmt sind. Erst durch wiederholtes Erleben der neuartigen bzw. überfordernden Situation entwickelt sich problematisches Verhalten – es sei denn sie finden eine adäquate Strategie; am besten mit Hilfestellung seitens der Menschen.

Das »Ankommen« im neuen Zuhause kann sich durchaus über sechs Monate bis zu einem Jahr hinziehen. Übrigens spielen auch die vier Jahreszeiten eine Rolle. Im Sommer sieht die Welt aus Hundesicht durchaus anders aus als im Winter, etwa durch menschliche Freizeitaktivitäten im Freien, die Art der Kleidung und Fortbewegungsmittel etc. Begegnungen mit Menschen oder anderen Hunden auf engem Raum (Gehsteig, Aufzug, …), vielleicht auch noch mit frontaler Annäherung (aus Hundesicht bedrohlich), sind typische Beispiele dafür, dass sich manche Probleme erst mit der Zeit entwickeln und vor allem abhängig davon sind, wie der Hund die Situationen bewertet. Übrigens entwickelt sich territorial motiviertes Verhalten logischerweise erst, wenn der Hund »angekommen« ist.

Auch das andere Ende der Leine, also die neuen HalterInnen, leiden sehr, wenn der Hund Angst, Panik oder Aggression zeigt und kommen an die Grenzen ihrer Kapazitäten – finanziell und psychisch. Hat der Hund Stress, so überträgt sich das früher oder später auch auf den Menschen – wegen des Kontrollverlusts über das Verhalten des Hundes. Dies kann von gesellschaftlich unangenehm bis gefährlich reichen. Auch ein Hund, der in Panik fliehen möchte, zeigt potenziell gefährdendes Verhalten. Und schon ist die Stress-Spirale angeworfen, beide Seiten der Leine bekommen Herzrasen und stecken sich in ihrer Aufregung gegenseitig an. Jedoch – nur der Mensch kann diese Spirale durchbrechen.

Kaum jemand hat sich zuvor die Hundehaltung so vorgestellt! Aber um Hilfe von der Vermittlungsorganisation wird in solch schwierigen Situationen oft umsonst gebeten. Eine derartige Praxis ist weder Hund noch Mensch gegenüber fair, denn auch letztere sind meistens mit ganzem Herzen dabei. Ein Scheitern bedeutet schließlich für alle Beteiligten eine Tragödie. Auch für mich als Trainerin. Training hat Grenzen. Man kann nicht alles trainieren. Am Ende muss der Hund sein weiteres Dasein womöglich in einem heimischen Tierheim fristen.

Die Gretchen-Frage: Macht der Begriff »Auslandstierschutz« Sinn?
Ja, der genannte Themenkomplex trifft ganz besonders auf Hunde aus dem Ausland zu, weil hier wohl immer mehr oder weniger davon auszugehen ist, dass die Hunde eine große Anpassungsleistung ­erbringen müssen. Schließlich ist die ­Änderung der Lebensbedingungen im Durchschnitt sehr groß (die spezifische Thematik der Tierseuchen lasse ich aus Platzgründen aus). Dies entspricht zumindest meiner Erfahrung, und auch diverse geschätzte KollegInnen bestätigen in fachlichen Gesprächen die hier beschriebene Problematik.
Es geht überhaupt nicht darum, »Inlandshunde gegen Auslandshunde« auszuspielen. Es geht rein darum, dass einige Parameter für eine erfolgreiche und nachhaltige Vermittlung oder Weitergabe wichtig sind, damit Hund und Mensch ihr Leben gemeinsam genießen können. Dieselben Parameter sind selbstverständlich auch bei Hunden aus heimischen Tierheimen bzw. von ZüchterInnen zu bedenken und auch nicht weniger wichtig: Ein Hund, der die ersten Jahre seines Lebens nur den Garten/Hinterhof gesehen hat, also vergleichsweise reizarm aufgewachsen ist, wird bei einer Weitergabe in ein städtisches Umfeld mit vielen Reizen genauso vor eine Herausforderung gestellt.

Vermittlung unmöglich?
Das klingt schon sehr komplex, oder? Vielleicht trauen Sie sich kaum noch daran zu denken, einen Hund zu übernehmen oder weiterzuvermitteln. Es ist im Falle von Hunden auch deshalb so kompliziert, weil Hunde sehr eng mit uns Menschen zusammenleben. Das heißt auch, dass sie sich in einer Gesellschaft zurechtfinden müssen, die auch für uns Menschen immer komplexer wird. Die Erwartungen an den »Hund von heute« sind sehr hoch:

• Alleinebleiben – nichts zerstören.
• Besuch willkommen heißen – unerwünschte Menschen verbellen.
• Kein Interesse am Jagen haben – aber selbstständig alles Geworfene apportieren.
• Sportlich sein – aber auch mit Nichtstun glücklich sein.
• Mit fremden Hunden auch als Erwachsener spielen – und an der Leine gelassen an ihnen vorbeigehen.
• Radfahrer/Skateboarder/Scooter ignorieren – auch wenn sie fast mit Berührung vorbeirasen.
• Verkehrsregeln kennen – und sich daran halten.
• Menschen aller Altersgruppen lieben – auch wenn sie in die Augen starren, auf den Kopf tätscheln und nicht damit aufhören.
• Im Restaurant unauffällig unter dem Tisch liegen – auf Wunsch vom Menschen jedoch jeden Trick bereitwillig vorführen.
• Sich beim Tierarzt freiwillig behandeln lassen – auch wenn es weh tut.
• Jegliche Engstellen, Stiegenhäuser, Aufzüge mit Bedrängnis ertragen – auch wenn es furchteinflößend ist.
• Nicht an der Leine ziehen – und sich sofort selbst korrigieren (zum Menschenbein zurückspringen), falls dem Hund ein Fehler passiert ist.
• Und so weiter …

Ähnliche detaillierte und komplexe Anforderungen findet man kaum bei anderen Tierarten. Es ist an der Zeit, dass uns Menschen bewusst wird, was wir unseren Hunden, längst nicht nur jenen aus dem Tierschutz, abverlangen.

Die Vermittlung mit Sorgfalt
Hunde, die eine große Änderung in ihrem Leben erfahren, brauchen zuallererst Zeit, um sich anzupassen. Und zwar eine ruhige Zeit. Die ersten Wochen nach Übernahme sollte der Hund im Rahmen von ruhigen Spaziergängen die Umgebung kennenlernen. Es ist weder nötig noch hilfreich, dem Hund von Tag 1 an das gesamte Spektrum an möglichen Aktivitäten und Menschen zu zeigen. Von großer Wichtigkeit ist aber die Hilfe, die der Hund bei ihm unbekannten und potenziell stressigen Situationen erhalten sollte:
• Treffen auf fremde Hunde während dem Spaziergang: Ruhiges Ausweichen bringt langfristig ruhiges und adäquates Sozialverhalten.
• Treffen auf Menschen mit Fortbewegungsmitteln: Freundliches Zurückrufen verhindert Verbellen von vorneherein.
• Verhalten im Stiegenhaus/Aufzug, vor allem wenn Nachbarn vorbeigehen/zusteigen: Ausweichen bzw. Sitzen hilft, Konflikte zu vermeiden.
• Verhalten bei Besuch: Kauartikel helfen, Stress erst gar nicht aufkommen zu lassen, was im Anschluss ein ruhiges Begrüßen der Menschen möglich macht.

Haben Hund und Mensch eine Idee, wie eine Situation aufgelöst werden kann, mindert das den Stresslevel. Die Negativspirale wird so durchbrochen.

Aber wie kann das gelingen?
Viel Verantwortung tragen in erster Linie die Vermittlungsorganisationen. Sie wählen schließlich die Hunde, die Menschen und damit auch die neuen Lebensbedingungen für die Tiere aus – so sollte es jedenfalls sein. Ich möchte nun aber den Fokus weg vom Negativen bringen, hin dazu, wie eine Vermittlung gelingen kann oder könnte. Einige Vermittlungsorganisationen machen bereits erstklassige Arbeit. Ich fasse hier die wichtigsten Parameter zusammen:

Möglichst korrektes Einschätzen der Hunde: Hier ist es absolut nötig, mit den Hunden eine gute Beziehung aufzubauen. Dies gelingt durch tierschutzkonformen Umgang und vor allem Wissen um das Ausdrucks- und Lernverhalten. Das Einbeziehen in Situationen des Alltags sollte, so gut es geht, ermöglicht werden: Spaziergänge, Kochen, gemeinsam »nichts tun«, Auto fahren, etc. Hilfreich ist es, hier eine Dokumentation zu führen, damit auch nachvollziehbar ist, was der Hund bereits kennengelernt und wie er sich zu diesem Zeitpunkt verhalten hat. All dies ist natürlich in einer privaten oder kleinen Pflegestelle leichter zu gewährleisten als in einer großen Auffangstation. Kompetente Pflegestellen sind Gold wert.

Information für und Auswahl der passenden AdoptantInnen:
Aufklärung über mögliche Schwierigkeiten verhindert unüberlegte Vermittlungen und somit Tierleid. Je unerfahrener die zukünftigen HundehalterInnen sind, desto wichtiger ist eine umfangreiche Hilfestellung – auch in Form von tierschutzkonform arbeitenden HundetrainerInnen. Vor- und Nachkontrollen sowie -betreuung sollten eine Selbstverständlichkeit sein.

Kennenlernen von Hund und AdoptantInnen vorab: Ob die Chemie stimmt und ob Lebensbedingungen und Hund tatsächlich harmonieren, findet man am besten durch mehrere Besuche heraus. Auch hier ist wieder die Begleitung einer fachkundigen Person hilfreich. Fotos können falsche Tatsachen vortäuschen. Nur bereits erfahrene HundehalterInnen mit viel Wissen und entsprechenden Möglichkeiten sind von dieser Regel ausgenommen.

Hilfestellung zu jeder Zeit: Wie bereits ausgeführt, können sich manche Schwierigkeiten erst nach einer gewissen Zeit zeigen. Die kompetente Vermittlungsorganisation sollte erste Anlaufstelle sein, von der aus dann geeignete tierschutzkonform arbeitende TierbetreuerInnen oder HundetrainerInnen empfohlen werden.

Rücknahme des Hundes: Wenn man mit Lebewesen umgeht und arbeitet, passieren Unvorhersehbarkeiten. Hunde sind – wie Menschen auch – keine Roboter. Wenn sich auch nach längerer Zeit nach Vermittlung (man denke an die unterschiedlichen Jahreszeiten!) herausstellt, dass das Zusammenleben nicht harmoniert, muss der Hund von der Vermittlungsorganisation zurückgenommen oder in anderer Form geholfen werden.

Hilfe für die Hunde vor Ort: Dies ist zwar der letzte Punkt, den ich hier aufliste, aber er ist eigentlich der zentrale. Um wirklich nachhaltig etwas für die Hunde zu tun, sollte vor Ort geholfen werden: Kastrationsprojekte, medizinische Versorgung, Beschäftigung und Umgang in Auffangstationen verbessern usw., kurz: Erhöhung der Lebensqualität der dort lebenden Hunde. Damit kommen häufig auch die Bevölkerung und/oder die ­Behörden vor Ort ins Boot und man schafft langfristige Änderungen im Sinne der Hunde und des Tierschutzes. Patenschaften, anlassbezogene Spendenaufrufe (Kastrationen, Futter, Medikamente, …) können die nötigen Mittel dafür erbringen.

Fazit
Auslandstierschutz mit Sorgfalt kann, muss aber nicht um jeden Preis zu einer Vermittlung führen – im Sinne der Hunde ist vor allem auch eine nachhaltige Verbesserung der Lebensqualität vor Ort!

Überforderung und Stress

Die Verhaltensweisen, die Hunde bei Überforderung zeigen, sind Strategien, die ihnen helfen sollen, den Stress zu bewältigen:

Übersprungshandlungen
Die Hunde sind hektisch und überdreht, ziehen an der Leine, beißen in die Leine, springen PassantInnen an, können kaum zur Ruhe kommen, zeigen »Jagdverhalten« an unpassenden Objekten.
Erstarren/Ohnmacht
Die Hunde kommen nicht aus ihrem Versteck/Körbchen heraus, bewegen sich teilweise nicht mal, um zu essen. Urin und Kot werden teilweise mehrere Tage zurückgehalten.
Flucht/Panik
Die Hunde versuchen, der Überforderung zu entfliehen und ziehen daher stark an der Leine, versuchen sich loszureißen, ducken sich. Dies kann zu gefährlichen Situationen für Mensch und Hund führen.
»Angriff ist die beste Verteidigung«
Die Hunde reagieren bei Überforderung mit Aggressionsverhalten. Je höher das Stresslevel, desto höher liegt auch die Eskalation in den Verteidigungsreaktionen.

Pdf zu diesem Artikel: auslandstierschutz

 

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