Die Mehrzahl der wissenschaftlichen Studien über das Wahrnehmungs- und Erkenntnisvermögen von Hunden verwendet visuelle Aufgabenstellungen. Dies, obwohl Hunde besser riechen und hören können als sehen. Das heißt, die wissenschaftlichen Untersuchungsmethoden in der Erhebung der Daten sind eher an das Wahrnehmungsvermögen des Menschen angepasst als an das des Hundes. Das könnte zu unzulänglichen Interpretationen führen. Zunehmend werden sich Wissenschaftler dieser »anthropozentrischen Verzerrung« bewusst.
Wenn beispielsweise versucht würde, mit einem an einem Patienten angebrachten Amperemeter die verwendete Dosis einer Röntgenuntersuchung zu messen, welches Ergebnis wäre dann wohl zu erwarten? Das Amperemeter würde natürlich Null anzeigen. Warum? Weil ein Amperemeter für diese Fragestellung nicht die geeignete Untersuchungsmethode ist, weil es nämlich ein Gerät zum Messen von Stromstärke, nicht aber von Röntgenstrahlung ist. Auch wenn dies ein Extrembeispiel ist, so lässt sich damit schön zeigen, welche Auswirkungen ein methodischer Fehler auf das Resultat einer Forschungsfrage haben kann. Denn natürlich muss die Untersuchungsmethode auf den Untersuchungsgegenstand angepasst sein, was bei der Frage nach der Strahlendosis einer konkreten Röntgenuntersuchung ein Dosisleistungsmessgerät wäre, jedoch kein Amperemeter.
Anthropozentrische Verzerrung
Nun, solche methodischen Fehler – natürlich nicht in dieser extremen Ausprägung wie in dem erwähnten Beispiel – finden sich nicht nur in medizinischen oder technischen Studien. Auch in der wissenschaftlichen Forschung über das Wahrnehmungs- und Erkenntnisvermögen von Hunden finden sich derartige methodische Verzerrungen, die dann aber in der Beurteilung und Interpretation der Ergebnisse zu berücksichtigen sind.
Darauf hat kürzlich auch eine Untersuchung von Alexandra Horowitz, Psychologin vom Barnard College in New York, aufmerksam gemacht (Horowitz 2019). Die Wissenschaftlerin hat 481 Studien der letzten 10 Jahre über Kognition bei Hunden untersucht und ist zu dem Schluss gekommen, dass die canine Forschung in vielen Bereichen problematisch sei. Dies vor allem dort, wo diese Forschung als Teil der vergleichenden Psychologie betrieben wird. Denn viele angewandte Untersuchungsmethoden der vergleichenden Psychologie würden für Menschen sowie für andere Tiere als Hunde, nämlich häufig für Primaten entwickelt worden sein, deren Sinnessystem sich jedoch deutlich von dem der Hunde unterscheidet.
So seien viele Versuchsanordnungen, um bestimmte kognitive Fähigkeiten bei Hunden zu testen, »anthropozentrisch verzerrt«. Dies deswegen, weil die Wissenschaftler häufig mit visuellen Stimuli oder Informationen (wie z.B. mit Bildschirmen) arbeiten, während für Hunde der Geruchssinn doch ungleich mehr Bedeutung hat. Anders gesagt, man stülpt in der hundlichen Forschung den Vierbeinern die menschliche Weltsicht über, anstatt die Untersuchungsmethoden auf die spezielle Sinnesausstattung der Hunde auszurichten, in erster Linie also auf den Geruchssinn.
Drastische Unterschiede
Dies kritisiert auch Peter Pongrácz, Ethologe von der Eötvös Loránd Universität in Budapest. Er hat sich in einer Studie intensiv mit dem Sehvermögen der Hunde beschäftigt und betont, dass die visuelle Kapazität von Menschen und Hunden sich »drastisch« unterscheide, im Besonderen was die Wahrnehmung von Farben, Helligkeitsunterschieden und die räumliche Auflösung betrifft (Pongrácz 2017). Und bei diesen Unterschieden geht es zunächst nur um die Beschaffenheit der Netzhaut des Auges. Inwieweit Menschen und Hunde visuelle Stimuli auch im Gehirn unterschiedlich verarbeiten, ist noch gar nicht wirklich untersucht worden. Hier wären bspw. Vergleichsuntersuchungen mit funktioneller MR (Magnetresonanztomographie) bei Menschen und Hunden, denen dieselben visuellen Stimuli präsentiert werden, sehr interessant. Solche Studien gibt es aber noch nicht, sie wären methodisch auch sehr aufwändig durchzuführen.
Aber auch die bodennahe Perspektive, aus der ein Hund die Umgebung wahrnimmt, unterscheidet sich deutlich von der des Menschen. In verschiedenen Versuchsanordnungen würde jedoch von der Perspektive ausgegangen, wie der Mensch die Umgebung sieht, kritisiert die australische Psychologin Sarah Byosiere von der La Trobe Universität in Victoria einige Forschungen der letzten 20 Jahre (Byosiere 2017). Daher sei klar, dass Hunde in Studien, die visuelle Stimuli verwenden, schlechter performen. Und das ist bei fast drei Viertel aller Kognitionsstudien der Fall (Bensky 2013)!
Psychologen, Ethologen und Kognitionswissenschaftler
Werden die Autoren der Studien über hundliche Kognition betrachtet, so kommen diese entweder aus dem Bereich der vergleichenden Psychologie oder aus der Ethologie bzw. Zoologie. Sehr vereinfacht ließe sich sagen, die Verhaltensforscher kommen in den Studien eher von der Seite des Hundes, die Psychologen eher von der des Menschen. Die dritte Gruppe der Forscher, die sich für das Erkenntnisvermögen des Hundes interessiert, sind die von der Biologie kommenden Kognitionswissenschaftler, die einen sehr interdisziplinären Ansatz vertreten.
Es ist jedenfalls wichtig, bei den Veröffentlichungen über Forschungsergebnisse bei Hunden die Ergebnisse im Licht der verwendeten Methode zu beurteilen. Das könnte manche widersprüchliche Resultate erklären. Jedenfalls ist dieser noch recht junge Wandel der Wissenschaft über den Hund, der wohl zu einer zunehmenden Anpassung der Untersuchungsmethoden auf die canine Sinnesausstattung führen wird, vielversprechend.
Wie es ist, ein Hund zu sein, werden wir Menschen natürlich nie wissen. Aber wenn die Forschung über den ältesten (und besten) Freund des Menschen stärker seine Perspektive berücksichtigt, dann werden nicht nur die Ergebnisse valider, sondern wird dies auch seiner großen Bedeutung, die er für uns und die Gesellschaft hat, gerecht.
Literatur
Im Text zitierte Literatur in alphabetischer Reihenfolge:
• Bensky M. et al.: The world from a dog’s point of view: a review and synthesis of dog cognition research. Adv Study Behav 2013;45:209–406.
• Byosiere SE. et al.: What do dogs (Canis familiaris) see? A review of vision in dogs and implications for cognition research. Psychonom Bull Rev 2018;25:1798–1813
• Horowitz A., Franks B.: Anim Cogn 2019. https://doi.org/10.1007/s10071-019-01311-z
• Pongrácz P. et al.: Do you see what I see? The difference between dog and human visual perception may affect the outcome of experiments. Behav Proc 2017;140:53–60.
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