9. September 1975. Peter weiß es noch ganz genau. Es war ein Montag, warm und sonnenreich. „Ich sah in zwei dunkle bernsteinfarbige Augen, die mich fragend ansahen. Das war er, Zar vom Knabenhaus, mein Schäferhund. Genauer gesagt, mein Polizeihund." Hundebesitzer war die Republik Österreich, und Hundehalter der Polizeidiensthundeführer Peter Steinbach. Wie sich bald zeigte, war Zar mehr als „nur" ein Polizeihund. Er war 14 Monate alt, als er dem jungen Polizisten zugeteilt wurde. Vorher hatte er nur im Zwinger gelebt und war niemandem untergeordnet gewesen. „Es war ein roher Hund, würde man in der Fachsprache sagen", meint Peter.
Zunächst wurde 4 Monate lang täglich 8 Stunden auf der Hundewiese trainiert, dann konnte Zar in Dienst gestellt werden. „Wir verstanden uns mittlerweile so gut, dass Zar mir auf bloße Sichtzeichen folgte, es war kein Wort mehr nötig." 11 Jahre lang waren die beiden Weggefährten, bis Zar an einem Nierenversagen starb.
OPEC-Terrorüberfall in Wien
Der erste Einsatz von Zar und Peter ließ nicht lange auf sich warten. Es war 1975 der OPEC-Überfall in Wien. Der berüchtigte Terrorist Carlos hatte in einem Terroranschlag sämtliche Minister der Erdölstaaten als Geisel genommen, die sich gerade in Wien zu Verhandlungen getroffen hatten. Peter Steinbach wurde mit seinem Hund zum OPEC-Gebäude am Ring, gegenüber der Universität, beordert. „Ich befand mich mit Zar im Gebäude neben den Terroristen. Der lybische OPEC-Minister, ein Sicherheitsbeamter der OPEC und ein Kollege der österreichischen Staatspolizei waren erschossen worden. Die Stille danach war gespenstisch, und an Angst zu denken hatte man keine Zeit. Ich sehe noch heute die Leichen vor mir. Der tote Polizist wurde wie ein Stück Schlachtvieh in den Aufzug verfrachtet und später, im Zuge der Verhandlungen, an die hohen Herren der Politik und Polizei freigegeben. Zar wusste wohl, dass wir beide hier nichts ausrichten konnten, wir waren chancenlos."
Lief ab wie in einem Film
„Ich war mit Zar alleine am Gang vor dem Konferenzraum, in dem sich die als Geiseln festgehaltenen Minister befanden. An den Fenstern war Sprengstoff angebracht, und die Terroristen hatten Plastiksprengstoff an ihren Gürteln, um eventuellen Überraschungsangriffen vorzubeugen. Funkgerät hatte ich keines und war somit von der Außenwelt abgeschnitten. Es wurde mir gestattet, Zigaretten zu rauchen, wodurch die mir wie eine Ewigkeit erscheinenden Stunden etwas verkürzt wurden. Mein Hund und ich wurden ständig von den Terroristen beobachtet.
Woran ich damals dachte, weiß ich nicht mehr. Aber sicher nicht an mein Ende. Und auch nicht an ein Abenteuer. Alles lief nur irgendwie vor mir ab, wie in einem Film. Jeder Gedanke an ein strategisches Vorgehen war sinnlos. Wir mussten nur abwarten, was die Terroristen da drinnen aushandelten. Ich hörte immer wieder die Feuerwehr, wie sie Wasserschläuche im Haus auslegten, ansonsten war es absolut still rund um mich. Gespenstisch ruhig. Nach 14 Stunden durfte ich das Gebäude endlich verlassen. Und zwar geräuschlos, wie die Terroristen mir befahlen. Und ich verschwand dann auch geräuschlos mit Zar. An meiner Dienstwaffe hatten sie kein Interesse. So wie die Terroristen ausgerüstet waren, kam ich mir ohnehin vor wie ein kleiner Junge mit Spielzeugpistole.
Ich spürte, wie wehrlos ich trotz meiner Spezialausbildung diesen international organisierten kriminellen Kräften ausgeliefert war. Das erste Mal wurde mir auch die Gefährlichkeit meines Berufes bewusst. Und ich schwor mir damals, immer auf der Hut zu sein und meine beruflichen Fähigkeiten nur mehr gegen die Schwerkriminalität einzusetzen. Das war jedenfalls unser erster gemeinsamer Einsatz, und in diesen 14 Stunden Nervenanspannung waren Zar und ich uns ein ganzes Stück näher gekommen."
Polizeiliche Watsche
Peter Steinbach fühlte sich wohl mit seinem Hund bei der Wiener Polizei: „Die Hundeführerei hatte einen Riesenvorteil bei der Polizei. Man war im Grunde frei und unabhängig und bekam fast nie seine Vorgesetzten zu Gesicht. Und wenn doch, dann war das meist mit einer Einsatzübung verbunden. So wurde mir einmal mitgeteilt, dass ich mich in einem Nachtdienst zwecks einer solchen Übung zum Südbahnhof begeben sollte. In einem Warteraum würde ich meinen vorgesetzten Offizier, der mit seinem Spitznamen „Bubi" genannt wurde, vorfinden, der dort einen renitenten Mann simulieren sollte. Ich müsste ihn dann festnehmen. Geplant war, das Ganze so weit zu üben, dass es auch zu einem „scharfen Einsatz" meines Hundes Zar kommen würde.
So war es dann auch. „Bubi" befand sich als Sandler (Anm.: Rumtreiber, Penner) verkleidet im Bahnhofswarteraum. Verbal ließen wir die Schein-Amtshandlung schließlich eskalieren, und ich musste Zar einsetzen. Der hatte seine Freude daran, wieder einmal „Action" erleben zu dürfen. Neugierige Zuschauer, die nicht wussten, dass es sich um eine Übung handelte, erregten sich über das renitente Verhalten von „Bubi". Und plötzlich geschah etwas Unerwartetes. Unter den Beobachtern befand sich ein Polizist aus Deutschland, der meinte, dem österreichischen Kollegen zu Hilfe kommen zu müssen. Er sprang zu „Bubi" und ohrfeigte ihn. Wir waren alle völlig überrascht, dann jedoch konnte ich mir ein Lachen nicht verkneifen, denn Offizier „Bubi" war nicht gerade unser aller Liebling. Und auch Bubi wusste nicht, ob er weinen oder lachen sollte. Um den Schein vor den Zuschauern zu wahren, ließ ich mir dann vom deutschen Kollegen noch helfen, den vermeintlichen Sandler in das Wachzimmer am Südbahnhof zu verfrachten, wo wir dann alles aufklärten. Wir schlossen dann Freundschaft mit dem beherzten ausländischen Kollegen und saßen noch eine Weile in einer fröhlichen Diskussionsrunde. Und man konnte auch die geheime Freude aller Kollegen im Wachzimmer erkennen, dass ein Polizeioffizier seine „Tätschn" (Anm.: Wienerisch für Ohrfeige) bekommen hatte. „Bubi" zog daraus allerdings seine Konsequenzen: Ich wurde von ihm nie mehr mit solchen Nachtübungen belästigt."
Die lachende Katze am Wiener Südbahnhof
„So viele Eisenbahner mitten in der Nacht auf einem Fleck hat noch keiner außer mir gesehen", behauptet Peter. Was steckt dahinter? Peter und Zar waren auf Polizeistreife im Wiener Südbahnhof. Dort hatte man seinerzeit gegen die Ratten viele Katzen gehalten. Kurz nach Mitternacht wird der Bahnhof zugesperrt. Peter: „Zar und ich befanden uns fast allein am Gelände. Es war gegen drei Uhr früh. Plötzlich eine Katze. Sie befand sich genau unter den Eisenregalen, auf welchen lose die blechernen Waggonschilder gelagert waren. Die Katze blickte zu Zar und Zar fixierte die Katze. Geduckt schlich er sich dann an die noch regungslos verharrende Katze, offensichtlich in der Meinung, noch nicht von ihr entdeckt worden zu sein. Sie ließ meinen Hund bis knapp zwei Meter an sich heran – und verschwand dann blitzartig. Zar setzte ebenso zu einem Blitzstart an und donnerte voll in das Regal. Ein Krachen – es dröhnte von zahllosen, auf den Boden donnernden Waggonschildern, und der laute Hall im leeren Bahnhof verstärkte den Lärm noch ungemein. Es klang wie eine unglaublich laute Detonation. Das führte zu einem Auflauf von allen Eisenbahnern – es müssen an die 150 gewesen sein, die erschreckt herbei eilten. Was sie sahen, war ein Schäferhund, der benommen zwischen und unter den Blechtafeln hockte, und eine Katze, die neuerlich zwei Meter von ihm entfernt saß – und ihn auslachte! Ich habe noch nie vorher ein Tier lachen gesehen. Auch die Eisenbahner lachten, und für einige Zeit hatte man eine Geschichte über einen dämlichen Polizeihund zu erzählen."
Dieser dämliche Polizeihund wurde aber von allen geliebt, denn er hatte eine sehr „kuschelige Ader". Er setzte sich gerne auf Peters Schoß, ließ seinen Kopf über die Schulter des Herrchens hängen und genoss sein Hundeleben. In der Diensthundeabteilung machte man sich über diese Neigung von Zar lustig und meinte spöttisch, er sei kein richtiger Schutzhund. Peter meint, dass diese leichtsinnige Äußerung einem Kollegen das Leben kostete. Aber das ist eine andere Geschichte. Und die lesen Sie in einer der nächsten Ausgaben von WUFF.
481
Vorheriger Artikel