Auf vier Pfoten nach Alaska

Von Sonja Endlweber

Sie hat die unglaubliche Strecke von 10.000 Kilometern auf vier Pfoten zurückgelegt. Die Rede ist von Leni, der kleinen, tapferen Terrierhündin, die Günter Wamser und Sonja Endlweber auf ihrem langen Ritt von der mexikanischen Grenze bis nach Alaska begleitet hat. Ohne Leni wären wir den Herausforderungen der Reise niemals gewachsen gewesen, gibt Sonja Endlweber zu, die dem wichtigsten Mitglied im Team nun ein Buch gewidmet hat.

»Mein Leben hätte auch ganz anders verlaufen können. Vor allem, wenn man in Betracht zieht, wo ich herkomme. Ich wurde in Eiersheim geboren. Die Chance, dass jemand aus Eiersheim auf große Reise geht, ist ungefähr so groß, als würde man einen Dinosaurierknochen im Vorgarten ausbuddeln. Denn warum um alles in der Welt sollte ein kleiner Hund aus Eiersheim die gesamte Strecke von Mexiko bis Alaska laufen?« (…)

So beginnt die ungewöhnliche Geschichte über ein außergewöhnliches Hundeleben, erzählt durch die Augen – und die Nase – einer aufgeweckten, klugen Hündin. Denn Leni wurde auf ihrem Weg nach Alaska oft darauf angesprochen, dass sie viel zu erzählen hätte. Nun hat Leni reagiert und ihre Memoiren veröffentlicht. Ich habe ihr lediglich dabei geholfen, diese zu Papier zu bringen.

Nun, warum sollte ein kleiner Hund aus einem ganz gewöhnlichen Dorf in Deutschland nach Alaska laufen? Und was verbirgt sich überhaupt hinter diesem Wort Alaska – das jedes Mal, wenn es ausgesprochen wird, ein Leuchten in die Augen ihrer Menschen zaubert? Es ist eines von vielen geheimnisvollen Rätseln, denen Leni auf ihrem langen Weg nach Alaska auf die Spur kommt.

Dabei begann ihr Leben gar nicht so aufregend. Ihre ersten Monate verbrachte sie in einem ganz gewöhnlichen Dorf in Deutschland. Bis eines Tages ihr beschauliches Leben eine unerwartete Wendung nahm. In einem Flugzeug reiste sie nach Amerika, wo ihr Rudel ungewöhnlichen und – zumindest aus Lenis Sicht – höchst unerwünschten Zuwachs bekam: vier Pferde.

Die Aufmerksamkeit teilen …
Mit den ängstlichen Pflanzenfressern konnte Leni zunächst gar nichts anfangen. Sie versuchte alles, um unsere Aufmerksamkeit nicht mit den Pferden teilen zu müssen. Immer wieder lief sie mit einem Ball im Maul auf die Koppel, wo wir gerade mit den Pferden arbeiteten, und forderte uns zum Spielen auf. Vor den Pferden hatte sie keinen Respekt. Standen diese still, lief sie einfach unter ihrem Bauch und zwischen den Beinen hindurch, liefen sie zu schnell, bellte Leni die Pferde wütend an.

Sechs Wochen trainierten wir die Pferde, dann waren wir bereit. Der lange Ritt nach Alaska konnte beginnen. Alles war fix und fertig verpackt, Leni sprang fröhlich umher, auch sie konnte es kaum mehr erwarten, dass es endlich losging. An diesem Tag hatten Leni und ich eines gemeinsam: Wir waren beide voller naiver, abenteuerlustiger Vorfreude, und völlig ahnungslos, welches Leben nun wirklich auf uns zukam.

Der Einzige, der eine realistische Vorstellung hatte, war Günter. Bereits 11 Jahre zuvor hatte er sich an der Südspitze Argentiniens in den Sattel geschwungen mit der Idee nach Alaska zu reiten. In der Zwischenzeit hatte er Süd- und ­Mittelamerika durchquert und die Grenze zur USA erreicht. Der Rest des Teams musste sich erst an dieses Leben unter freiem Himmel gewöhnen.

Nicht enden wollender Spaziergang
Auf steilen, engen Pfaden kletterten wir auf fast 4.000 Meter empor, links und rechts von uns ragten die schneebedeckten Gipfel der Rocky Mountains in den stahlblauen Himmel. Immer wieder stiegen wir ab und führten die Pferde. Die Luft in dieser Höhe war dünn und machte uns und den Pferden zu schaffen. Nur nicht Leni. Unermüdlich sprang sie fröhlich neben den Pferden her, blieb abrupt stehen, schnupperte, verfolgte Haken schlagend eine Fährte durchs Gebüsch und kam in Galoppsprüngen zu uns zurück, umkreiste die Pferde, um sicher zu stellen, dass alle da waren, und kämpfte sich tapfer wieder an die Spitze des Rudels, um uns anzuführen. Sie sprühte förmlich vor Begeisterung über diesen nicht enden wollenden Spaziergang.

Doch als wir an diesem ersten Abend unser Lager am Waldrand aufschlugen, schaffte es Leni gerade noch ihren Futternapf zu leeren. Dann rollte sie sich auf einer Pferdedecke neben dem Lagerfeuer ein und fiel sofort in Tiefschlaf. Sie musste noch lernen, ihre Energie einzuteilen. Später trug ich sie ins Zelt, wo sie warm und weich gebettet zwischen unseren Schlafsäcken weiterschlief. Doch mitten in der Nacht wurde Leni vom Heulen der Kojoten geweckt. Sie antwortete mit wütendem Gebell. Kein Wunder, immerhin war es ihr erster Kontakt mit wilden Tieren. Noch hatte sie keine Ahnung davon, was sie im Laufe der nächsten Monate noch alles erleben würde.

Abseits jeglicher Zivilisation
Wochenlang zogen wir nun durch die Berge, ohne einem Menschen zu begegnen, völlig fasziniert von der endlosen Weite dieses Hochgebirges. In welche Himmelsrichtung wir auch blickten, kein Zeichen von Zivilisation, keine Hochspannungsleitung, keine Straßen, keine Sendemasten. Es war herrlich, so unterwegs zu sein. Ich fühlte mich leicht und unbeschwert, hüpfte innerlich auf und ab vor kindlicher Freude. Leider war das Glücksgefühl solcher Momente meist nur von kurzer Dauer. Dann standen wir vor dem nächsten Hindernis: einem Altschneefeld, in dem die Pferde bis zum Bauch einsanken, oder Bäumen, die vom Wind geknickt, kreuz und quer über dem Weg lagen, oder verwilderten, zugewachsenen Pfaden, dort wo einst ein Weg war. Nur eine hatte mit all diesen Hindernissen kein Problem. Klein und geschmeidig lief sie mühelos über die Schneefelder und schlüpfte unten durchs Gebüsch, während die Pferde mühsam durchs Dickicht schruppten.

Der erste Bär
Unserem ersten Bären, einem kleinen Schwarzbären, begegneten wir auf einer Waldlichtung. Der Wind wehte günstig, der Bär, – er war noch jung und unerfahren und ganz und gar damit beschäftigt, Wurzeln auszugraben, – hatte uns noch nicht gewittert. Ganz im Gegensatz zu Leni. Alarmiert hielt sie ihre Nase in die Luft, schnupperte und begann sofort leise zu winseln. Ich nahm sie auf den Arm, eigentlich um sie zu beschützen, und gab ihr damit ungewollt freie Sicht auf den Bären. Bei seinem Anblick verstummte Leni. Gebannt verfolgte sie jede Bewegung des Bären. Angst spürte ich allerdings bei ihr nicht. Im Gegenteil. Einmal mehr wurde mir bewusst, dass wir unsere kleine Terrierhündin vor ihrer eigenen Courage beschützen müssen. Ich wusste, sie würde, ohne zu zögern, ihr Leben für uns riskieren. Im Laufe der Jahre würde Leni verstehen, dass es ihre Aufgabe war, uns vor einer Gefahr zu warnen, und dass sie es nicht selbst mit jedem Angreifer aufnehmen musste. Auch wenn es ihr meist schwerfiel sich zurückzuhalten.

Mit Hund und Pferden unterwegs zu sein ist für Günter und mich die schönste Art zu reisen. Es ist, als würde man mit Freunden reisen, nur intensiver. Mangels Sprache verständigen wir uns auf einer viel subtileren Ebene. Oft reicht ein Blick in Lenis Hundeaugen und ich glaube zu wissen, was sie denkt und auch sie versteht uns ohne Worte. Es hat etwas mit Vertrauen zu tun und dem Gefühl von Zugehörigkeit. Wenn man vierundzwanzig Stunden des Tages mit seinen Tieren zusammen ist, dann lernt man die Welt durch ihre Augen wahrzunehmen. Unser Tagesablauf und auch unsere Lagerplätze richten sich ganz nach den Bedürfnissen unserer vierbeinigen Freunde. Durch Fresspausen und Ruhetage sind wir langsamer unterwegs als so mancher Wanderer. Doch das nehmen wir gerne in Kauf, im Gegenzug für Nähe und Freundschaft unserer Tiere.

Eine Freundschaft entsteht
Schon zu Beginn der Reise, während des Training, versuchten wir Leni und die Pferde aneinander zu gewöhnen. Wir setzten Leni sogar auf den Pferderücken, denn wir ahnten, dass es später Situationen geben würde, wo es wichtig war, dass sowohl Pferd als auch Hund damit zurechtkämen. Doch davon wollte Leni zunächst gar nichts wissen und blieb keine fünf Sekunden ruhig sitzen. Doch dann ritten wir durch die Wüste New Mexicos, und dort kletterte das Thermometer auf über 40 Grad. Plötzlich nahm Leni ihren Platz in der Satteltasche ohne zu murren an und ließ sich von Rusty, meinem Reitpferd, tragen, der sich ebenfalls nicht weiter über den ungewohnten Passagier zu wundern schien. Es war vielleicht das erste Mal, dass ich das Gefühl hatte, dass Hund und Pferd einander nicht nur tolerierten. Ganz langsam entstand so etwas wie Freundschaft. Leni suchte nun immer öfter auch im Lager die Nähe der Pferde und nicht selten schlummerte sie nur wenige Meter von Lightfoot entfernt, der so wie sie gerne lang gestreckt im hohen Gras schlief.

Je weiter wir auf unserer langen Reise nach Norden kamen, umso mehr änderte sich der Charakter der Reise. Anfangs kamen wir noch alle zwei Wochen durch ein Dorf, dann nur noch einmal im Monat und schließlich, im Norden Kanadas, waren wir monatelang in der Wildnis unterwegs ohne Kontakt zur Zivilisation. Unseren Proviant und Lenis Futter ließen wir mit Buschflugzeugen in die Wildnis fliegen und dort bärensicher verstauen. Unterwegs ergänzten wir diesen Vorrat mit Beeren, Pilzen und fangfrischen Fischen. Doch eigentlich hatten wir nicht geplant, auf diese Nahrung aus der Natur angewiesen zu sein. Das änderte sich schlagartig, als bei einem Proviantpaket mitten in der Wildnis des Yukon das Hundefutter fehlte. Nun mussten wir täglich zumindest einen Fisch fangen, erst der zweite war für Günter und mich. Denn Leni hatte sich ihr Futter mehr als verdient.

Leni – Freund, Tröster und Ratgeber
Mutig stellte sich unsere kleine Hündin allen Gefahren, verjagte Bären, schwamm durch eiskalte Gebirgsbäche, schlug sich durchs Dickicht und wurde mehr und mehr zu einer erfahrenen, hart gesottenen Abenteurerin und zu einem richtigen Muskelpaket. Und doch mangelte es ihr nie an Einfühlungsvermögen, wenn es darum ging, ihre Menschen aufzumuntern. Wenn man als Team auf so eine lange Reise geht, muss sich jeder auf den anderen verlassen können. Jedes Mitglied hat seine Rolle im Team, Günter, ich, die Pferde und natürlich Leni. Sie ist unser Wachhund. Hin und wieder kam es vor, dass unsere Pferde sich zu weit vom Lager entfernten und Günter sie suchen musste. Manchmal war er die halbe Nacht unterwegs. Dank Leni konnte ich trotzdem ruhig schlafen. Ich wusste, sie würde Alarm schlagen, wenn sich Gefahr näherte. Außerdem war Leni Spür- und Fährtenhund, wenn es darum ging, den Weg zu finden. Ihr wichtigster Job war jedoch der eines Begleithundes, der seinen Menschen als Freund, Tröster und Ratgeber zur Seite stand, wann immer wir sie brauchten. Leni wurde zu unserer wichtigsten Weggefährtin.

Im hohen Norden wurde die Reise mehr und mehr zur Expedition. Vier Monate waren wir in der Wildnis unterwegs, ohne Kontakt zur Zivilisation. Nun waren es keine Bäche mehr, die wir überwinden mussten, sondern reißende Flüsse, eiskalt und lebensbedrohlich. Auch fester Boden wurde zum Luxus. In der vom Permafrost gezeichneten Landschaft, entstehen riesige Sumpfgebiete. Immer wieder sanken die Pferde bis zum Bauch ein und blieben stecken. Diese Herausforderungen der Wildnis wuchsen auch Leni zunehmend über den Kopf. Nun war es auch für unseren tapferen, kleinen Terrier nicht mehr möglich, sich allein durchzuschlagen. So wie wir, musste auch sie den Pferden vertrauen und sich von ihnen durch Flüsse und Sümpfe tragen lassen.

Minus 40 Grad
Sieben Jahre dauerte unsere Reise nach Alaska, denn wir konnten nur in den Sommermonaten unterwegs sein. Jeden Herbst suchten wir uns einen neuen Platz zum Überwintern. Je weiter nördlich wir kamen, umso länger und kälter wurde der Winter, und umso einfacher unsere Behausungen. In einer einsamen, abgelegenen Blockhütte im Yukon erfuhr auch Leni wie kalt echte Winterkälte ist. Wir alle hatten noch nie so kalte Temperaturen erlebt. Bis auf minus 40 Grad sank das Thermometer. Die Luft gefror beim Atmen und bildete Eiskügelchen an unseren Wimpern und an den feinen Härchen um Lenis Schnauze. Der Holzofen wurde zu Lenis bestem Freund, die einfachen Möbel in unserer Hütte zu ihrem Trainingsparcours. Nach draußen ging sie nur, wenn sie unbedingt musste. Genau wie wir!

Nur den Pferden schien die Kälte nichts auszumachen. Sie standen im Kreis um einen riesigen Heuballen, dem sie ihre Hinterteile zugewandt hatten. In ihren Mähnen hingen Eiszapfen. Der Schnee blieb auf ihrem Rücken liegen, so gut isoliert waren sie in ihrem Winterfell.

Es war der letzte Winter auf dem langen Ritt. Im nächsten Sommer würde das Team Alaska erreichen. Doch es deutet alles darauf hin, dass Leni auf dieser letzten Etappe nicht dabei sein würde. Warum nicht? Das wird hier nicht verraten …

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Leni – Auf vier Pfoten nach Alaska

Die Abenteuerreiter, Günter Wamser und Sonja Endlweber, wagen ein kühnes Vorhaben: 10.000 km mit vier Mustangs von Mexiko bis Alaska auf sich allein gestellt zurückzulegen. Mit im Team die tapfere, kluge Hündin »Leni«. Leni – Auf vier Pfoten nach Alaska erzählt die unglaubliche Lebensgeschichte einer kleinen, eigensinnigen Terrierhündin mit großem Charakter. Sie ist jung, neugierig und lebensfroh und bereit für jedes Abenteuer. Doch selbst in ihren kühnsten Träumen ahnt sie nicht, was das Schicksal für sie bereithält: Ein ungewöhnliches Rudel und eine abenteuerliche Reise ans Ende der Welt.

Im neuen Buch der Abenteuerreiter nimmt uns Leni mit auf diese Reise an die Sehnsuchtsorte unserer Zeit, in die Wildnis des Nordens, in die intakte Natur. Gleichzeitig zeigt uns Lenis Blick auf die Welt, was im Leben wirklich wichtig ist: Mitgefühl, Mut und Zusammenhalt in einem eingeschworenen Team. Denn nur gemeinsam sind sie den Herausforderungen der Wildnis gewachsen.

Neuerscheinung Dezember 2021
432 Seiten, 32 Seiten Farbbildteil
Preis: 22,– Euro
ISBN 978-3-00-070287-7
Erhältlich: www.abenteuerreiter.de

 

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