Wieder ein Fall von „Animal Hoarding" –, der krankhaften Sammelsucht von Tieren: Insgesamt 231 Hunde seien am 19. Mai auf dem Hof von Gisela V. im brandenburgischen Liebenwalde sichergestellt worden, berichtete Michael Garske, Gesundheitsdezernent des Landkreises Oberhavel, in einer Pressekonferenz am 30. Mai. 169 Hunde seien älter als 6 Monate, 48 Tiere seien Welpen, 9 Hunde hätten aufgrund ihres extrem schlechten Gesundheitszustandes eingeschläfert werden müssen, und darüber hinaus habe man auf dem Hof 5 Hundekadaver gefunden. So wie fast alle Hunde würden sich auch 9 Ponys in einem besorgniserregenden Zustand befinden.
Tierquälerei, nicht Tierliebe
Der Zustand der Tiere macht es unübersehbar – auf dem Hof von Gisela V. wurde nicht Tierschutz betrieben, sondern Tierquälerei. Dennoch stehen Sympathisanten weiterhin zur „Herrin der Hundehölle", zu welcher Gisela V. mittlerweile medial mutiert ist. Dass die Frau die Problematik selbst nicht erkennt, ja, sie auch im Angesicht der eindeutigen Situation von toten, verletzten und kranken Hunden einfach leugnet, wird in der Literatur als klassisches Symptom einer psychischen Erkrankung bezeichnet, dem „Tierhorten". Völliger Realitätsverlust und fehlende Einsicht seien nämlich typische Symptome. Ein Tierhorter sei kein Tierschützer, sondern ein kranker Mensch, der psychologische Hilfe benötige.
Auf den Fall Liebenwalde treffen sämtliche Kriterien der Krankheit „Tierhorten" zu (siehe Kasten): Das Missverhältnis zwischen der Anzahl der Tiere und der Fähigkeit ihrer adäquaten Versorgung, der exorbitante Schmutz sowohl im Tierbereich wie auch insbesondere im menschlichen Wohnbereich, und schließlich die schon erwähnte fehlende Einsicht bzw. die Realitätsverweigerung.
SAT.1 – AKTE 06 bei WUFF
Ein Kamerateam der AKTE 06-Redaktion von SAT.1 war bei der Zwangsräumung in Liebenwalde dabei. Eine Redakteurin und ein Kameramann fuhren mit dem Film nach Niederösterreich in die WUFF-Redaktion und ließen ihn von WUFF-Herausgeber Hans Mosser kommentieren. In einem Interview erläuterte Mosser die Symptome von Animal Hoarding und wies vehement darauf hin, dass es sich nicht um Tierschutz oder Tierliebe, sondern um eine psychische Erkrankung handele. Dies müssten Tierschützer klar erkennen. Und die Situation vor Ort zeige dies immer auch sehr deutlich, wenn man weiß, nach welchen Symptomen man suchen muss, betonte Mosser.
Was wird aus den geretteten Tieren?
Seit Ende Mai bemühen sich die Behörden um die Vermittlung der Hunde, die sich derzeit in einer Auffangstation befinden. Man rechne damit, dass 80% der Hunde vermittelbar seien. Doch solle man darauf gefasst sein, dass die Hunde nicht an Halsband und Leine gewöhnt seien. Dass die Abgabe der Hunde, die de facto noch im rechtlichen Besitz der Tierhorterin stehen, eine rechtliche Grauzone darstelle, ist dem Gesundheitsdezernenten des Landkreises Oberhavel, Michael Garske, bewusst. Dennoch seien die ggf. erhobenen Schadensersatzforderungen von Gisela V. erwartungsgemäß geringer als die Bezahlung der Unterbringung im Tierheim. Dass Tierhorter tatsächlich immer wieder rechtliche Schlupflöcher finden, Tiere zurück zu erhalten, ist ebenfalls charakteristisch. Aus diesem Grund erließ der Senat des US-Bundesstaates Illinois 2001 ein eigenes Gesetz, das die Wegnahme der Tiere sowie die psychiatrische Untersuchung des Tierhorters ermöglicht. Schon 1994 hatte Illinois ein Gesetz verabschiedet, nach welchem Tierärzte der Behörde einen Verdacht auf Animal Hoarding melden müssen.
Kritik am Amtstierarzt
Der Fall Liebenwalde wurde vom zuständigen Amtsveterinär Ralf Schönherr allerdings nicht gemeldet – kein Wunder, es besteht für Animal Hoarding auch keine Meldepflicht, weder in Deutschland noch in Österreich. Dass die Tiere krank und verletzt seien, konnte der Tierarzt nicht feststellen. Die Hunde seien nicht vernachlässigt, berichtete er einer Regionalzeitung im Februar 2006. Und nur zwei Tage vor der Zwangsräumung der „Tierhölle" durch die Behörden sei der Amtstierarzt vor Ort gewesen und habe 98 Tiere gezählt. Offensichtlich war er von der Tierhorterin getäuscht worden. Wie die Frau 133 Hunde vor dem Veterinär verstecken konnte, bleibt unklar. Und so steht der Vorwurf, sich auf dem Grundstück nicht ordentlich umgesehen zu haben, im Raum. Und wenn nach Angaben der Behörden und Tierärzte fast alle Hunde in einem sehr schlechten Gesundheitszustand gewesen seien – 9 Tiere mussten sogar sofort eingeschläfert werden –, stellt sich die Frage, wie der Amtstierarzt drei Monate vorher die Hunde als „nicht vernachlässigt" bezeichnen konnte. Allerdings – auch das ist typisch bei Animal Hoarding: Amtstierärzte scheinen das Problem häufig nicht zu sehen – oder sich nicht darum zu kümmern.
Multidisziplinärer Zugang erforderlich
2003 war es das Hundemagazin WUFF, das erstmals im deutschsprachigen Raum über Animal Hoarding berichtete (Mosser H., Animal Hoarding – Nicht Tierliebe, sondern psychische Erkrankung. WUFF April 2003). Anlässlich eines Falles im niederösterreichischen Pommersdorf wurden die Symptome und das typische Profil der Erkrankung dargelegt. Schon damals war klar geworden, dass als falsche Tierliebe unterschätzt oder missverstanden wurde, was in Wahrheit Tierquälerei war. Die multifaktoriellen Ursachen des Animal Hoarding, der Umstand, dass unterschiedlichste Bereiche (Gesundheitsamt, Tierarzt, psychosozialer Dienst, Polizei, Tierschutz, Amtsarzt usw.) involviert sind, und die Tatsache einer fast 100%igen Rezidivrate von Animal Hoarding erfordern sowohl für die Diagnose wie auch für die Lösung des Problems einen multidisziplinären Einsatz aller betroffenen öffentlichen Stellen. Ein solcher ist auch entscheidend für den Erfolg einer Präventionsstrategie.
Fallmanagement und Prävention
Voraussetzungen für ein professionelles Management von Animal Hoarding und für eine Prävention sind laut WUFF-Herausgeber Dr. Mosser:
• Leitlinien für ein Erkennen von Animal Hoarding als Krankheit und Information sowie Aus- und Weiterbildung betroffener Stellen, darunter Tierärzte, psychosoziale Dienste, Gesundheitsämter, Bezirksämter, Polizei usw.
• Aufbau eines Netzwerks von Ansprechpartnern in den unterschiedlichen Behörden mit gegenseitiger Kommunikation beim Verdachtsfall
• Konkrete Leitlinien für ein Fallmanagement von Animal Hoarding – sowohl des betroffenen Menschen wie auch der Tiere
• Leitlinien für eine Prävention des Animal Hoarding
Zunahme der Fälle
Dass sich Menschen mit einer obsessiv-zwanghaften Persönlichkeitsstörung oder Erkrankung vermehrt dem Tierhorten widmen, mag unter anderem auch daran liegen, dass ihr „Sammelgegenstand" heute zunehmend verfügbarer wird als früher. Ursachen dafür sind einerseits die Hundevermehrung durch Massenzüchter im eigenen Land und andererseits die in den letzten Jahren massiv gestiegenen – perfekt organisierten – massenweisen Hundeimporte aus Süd- und Osteuropa, die Österreich und Deutschland überschwemmen. Die Protagonisten solcher Organisationen müssen sich von seriösen Tierschützern oft den Vorwurf gefallen lassen, mit ihren Importen ein an sich gut funktionierendes Tierschutzsystem, wie es hierzulande (gerade noch) besteht, zum Kollaps zu bringen und in Wahrheit das Hundeleid zu vermehren. Die fehlende Einsicht mancher dieser Hundeimporteure in genau diese Problematik und das manchmal zwanghaft anmutende Engagement haben Ähnlichkeit mit der Realitätsverweigerung und der besessen-zwanghaften Störung beim Animal Hoarding und könnten laut Mosser durchaus auch als eine aktive Sonderform des Tierhortens interpretiert werden. Da das Thema Animal Hoarding aber bisher noch nicht das Interesse der Wissenschaft in Europa gefunden hat, existieren dazu derzeit hier noch keine Studien. Vielleicht geben ja auch Berichte wie dieser einen Anstoß dazu.
Echter Tierschutz ist nicht Tierhorten
Nicht mit Animal Hoarding zu verwechseln ist die Arbeit von Tierschützern, die unter Aufbietung eigener Mittel und mit großem persönlichem Einsatz für Tiere eintreten, private oder öffentliche Tierheime gründen und unterhalten. Die fehlende Anwendbarkeit der Kombination der Kriterien für Animal Hoarding, wie sie in diesem Artikel dargestellt wurden, lässt die Unterscheidung zu. Auch sind echte Tierschützer um die Vermittlung der Tiere auf gute Plätze bemüht, während Tierhorter genau dies nicht tun, sondern die Tiere zwanghaft sammeln (oder auch zwanghaft importieren).
Tierhorten: Primär ein menschliches Gesundheitsproblem
WUFF-Herausgeber Dr. Mosser ist jedenfalls beim Animal Hoarding intensiv um Aufklärung bemüht. Mosser: „Erst wenn außer bei den Tierärzten und Behörden gerade auch bei Tierschützern die Krankheit Animal Hoarding mit den negativen Auswirkungen für die Tiere bekannt ist, wird sie rechtzeitig erkannt, und es kann Leid für Mensch und Tier vermindert oder verhindert werden. Animal Hoarding ist primär ein menschliches Gesundheitsproblem mit einem daraus resultierenden Tierschutzproblem. Was dringend erforderlich ist, ist eine Vernetzung aller beteiligten Strukturen im Sinne eines ‘Frühwarnsystems’.
WUFF HINTERGRUND
Animal Hoarding („Tierhorten") –
Psychische Krankheit, nicht Tierliebe!
Die pathologische Sammelsucht von Tieren wird in der Öffentlichkeit oft als Tierliebe fehlinterpretiert. Doch blickt man hinter die Kulissen der Tierhorter, erkennt man schnell, dass es sich in Bezug auf die Tiere in Wahrheit um eindeutige Tierquälerei handelt.
Das Horten von Tieren wurde in der Literatur erstmals 1981 beschrieben. Die amerikanischen Ärzte Dooley Worth und Alan Beck berichteten über 31 Fälle, in denen durchschnittlich 34 Katzen oder 23 Hunde in New Yorker Wohnungen gehalten wurden. Auch tote Tiere seien in den Wohnungen gefunden worden, einige sogar unprofessionell ausgestopft. (Worth D., Beck A.M., Multiple ownership of animals in New York City. Transactions & Studies of the College of Physicians of Philadelphia, 3/4:280-300;1981) Der Ausdruck „Animal Hoarding" findet sich aber erst 1999, als der amerikanische Tierarzt Gary Patronek in einer Studie die erste große systematische Arbeit über das Tierhorten vorstellte. (Patronek G.. Hoarding of Animals: An Under-Recognized Public Health Problem in a Difficult-to-Study Population. Public Health Reports, 114;81-87;1999) Nach dieser Studie handelte es sich bei den Tierhortern überwiegend um alleinstehende ältere Frauen, mit einem Missverhältnis zwischen der Tierzahl und der Möglichkeit einer ausreichenden Versorgung dieser Tiere. In 80% würden lt. Patronek Tierhorter auch andere – leblose – Objekte sammeln. In dieser Studie wurde auch erstmals festgestellt, dass es sich dabei um eine psychische Erkrankung handeln müsse.
Besessen-zwanghafte Persönlichkeitsstörung
Ein Jahr später verfasste der amerikanische Psychologe Randy Frost in der Zeitschrift „Psychiatric Times" den nächsten Artikel zu dem Thema (Frost R.,People who hoard animals. Psychiatric Times. XVII,4;2000). Er bestätigte im Wesentlichen die von Worth und Patronek beschriebenen demographischen Daten und diskutierte verschiedene psychiatrische Modelle der Ursachen des Tierhortens. Nach Frosts Meinung handelt es sich überwiegend um ein psychiatrisches Problem des OCD-Formenkreises (obsessive compulsory disorder/disease – besessen-zwanghafte Persönlichkeitsstörung/Krankheit). So sammeln etwa 30% der Patienten mit dieser Persönlichkeitsstörung oder Erkrankung verschiedenste Objekte. Seltenere Ursachen sind eine Form von Suchtverhalten, Bindungsstörungen sowie auch Zoophilie, wobei Tiere auch sexuell missbraucht werden. Frost betont, dass ein Tierhorter typischerweise selbst intensiv glaubt, seinen Tieren ausreichend Versorgung zu bieten, trotz evidenten Gegenteils. Dies sei Ausdruck einer Wahnstörung, ebenfalls typisch für derartige Erkrankungen des Formenkreises der OCD. In weiterer Folge erscheinen seit den 1990er Jahren zunehmend Studien zum Thema, allerdings fast ausschließlich in den USA.
WUFF HINTERGRUND
Animal Hoarding:
Die Symptome der Krankheit
Animal Hoarding ist eine psychische Erkrankung bzw. Persönlichkeitsstörung, die – studiert man die vorliegende Literatur – durch folgende Symptome gekennzeichnet ist:
1. Akkumulation einer großen Anzahl von Tieren (wobei es auf eine konkrete Mindestanzahl nicht ankommt).
2. Missverhältnis zwischen Anzahl der Tiere und Fähigkeit der Einhaltung von Mindeststandards der Tierhaltung (häufig kranke, verletzte und tote Tiere).
3. Völlige Verschmutzung sowohl im Tierhaltebereich wie auch im eigenen Wohnbereich..
4. Fehlende Einsicht in die negativen Folgen für die Tiere sowie für die eigene Lebenssituation, Realitätsverlust, Realitätsverweigerung.
Typisches Profil eines „Tierhorters"
In der Zeitschrift „Public Health Report" wurde ein typisches Profil der „Tierhorter" beschrieben:
• 76% sind weiblich.
• 46% sind 60 Jahre oder älter.
• Mehr als die Hälfte lebt allein.
• Bei 69% der Fälle ist der Boden im Wohnbereich mit tierischen Exkrementen bedeckt.
• In über 25% der Fälle befanden sich Kot und Urin auch im Bett des „Tierhorters".
• In 80% fanden sich auch tote Tiere, in 60% nahm die Person davon keine Notiz.
(Patronek G., Hoarding of animals: an underrecognized public health problem. Public Health Report 114:81-87,1999; zitiert in WUFF April 2004)