Angst und Furcht – Ursachen, Symptome und Therapie

Von Sophie Strodtbeck

Der Umgang mit der Angst beim Hund ist sehr zwiespältig:
auf der einen Seite wird sie oft als ­Entschuldigung für ­vorsichtiges und zurückhaltendes Verhalten des Hundes benutzt, auf der ­anderen Seite wird sie häufig als unerwünschte Verhaltensstörung ­betrachtet, die man am besten geflissentlich ignorieren sollte.

Im ersten Teil dieses Artikels in der vorigen Ausgabe ging es um die Differenzierung von Furcht, Angst und Panik, sowie um die ­daraus abgeleiteten Reaktionsmuster. Themen dieses Teiles sind nun u.a. die Entstehung von Emotionen bei Tieren, die ­Beziehungen zwischen ­Stressoren und Angst und Furcht, ­­­­weiter­hin eine mögliche Problemverstärkung durch die Leine und ­Zusammenhänge zwischen Angst und Lernen sowie die ­entsprechenden Verknüpfungen.

Wie im ersten Teil des Artikels in der vorigen Ausgabe beschrieben wurde, werden häufig Zustände wie Unsicherheit, Furcht oder Angst, sowie Phobien und Panik des Hundes miteinander ­verwechselt. Eine klare Unterscheidung dieser Begriffe ist aber für das Verständnis und die Behandlung des Problems erforderlich. Im Kasten auf Seite 15 finden Sie nochmals eine tabellarische Zusammenfassung.

Seitdem man begonnen hat, auch in der Tierforschung nicht nur über objektiv messbare Stör­reize und Stressoren, sondern auch über die dadurch entstehenden subjektiven Empfindungen, Gefühle und Emotionen bei Tieren nachzudenken, haben sich sehr viele Studien mit der Entstehung von Angst und Furcht bei Tieren befasst.

Negative Emotionen generell sind ja in der Evolution keineswegs eine Fehlentwicklung. Denn nur wer sich merkt, dass bestimmte Situationen unangenehm sind, und zukünftig versucht, sie zu vermeiden, kann und wird überleben. Und dass viele Tiere ähnliche Emotionen haben wie der Mensch auch, ist mittlerweile in der Wissen­schaft weitgehend unbestritten. Negative Emotionen wie Angst, Wut, Furcht oder Trauer sind hier ebenso zu nennen wie positive, etwa Freude oder Lust.

Wissenschaftliches Modell: Wann entstehen Emotionen?

Ein in der Tierforschung weitver­breitetes Modell geht davon aus, dass negative Emotionen bei Tieren dann entstehen, wenn Dinge oder Zustände fehlen, die für das Tier bedeutsam bzw. lebenswichtig sind. Beispiele dafür sind etwa ein permanenter Nahrungsmangel oder das Fehlen von Sicherheit mit der Folge des Em­pfindens eines Gefühls von Un­sicherheit und potenzieller Bedrohung. Positive Emotionen hingegen entstehen dann, wenn Dinge vorhanden sind, die man zwar nicht unbedingt zum Leben braucht, die aber das Leben schöner machen.

Ein konkretes Beispiel: Dauernder Nahrungsmangel würde bei einem Tier, wie erwähnt, Anlass für eine negative Emotion sein, weil hier das Leben bzw. die Gesundheit bedroht sein könnte. Die „Extragabe" eines besonders schmackhaften Leckerlis hingegen führt zu positiven Emotionen, wie etwa Freude oder Lust. Hier muss wieder Beaglehündin Andra als Beispiel herhalten, die ihr Glück kaum fassen kann, wenn es ein Schweine­ohr oder ähnliches gibt, die dann über das ganze Gesicht lacht und vor lauter „vor-den-anderen-drei-Hunden-Schaulaufen, das-Schweineohr-hochwerfen, um-dann-wieder-begeistert-hinzurennen-und-darauf-zu-springen-und-außer-sich-zu-sein" das Fressen der Beute ganz vergisst. Wer dieses Schauspiel beobachtet, wird kaum mehr daran zweifeln, dass Tiere Emotionen wie Glück empfinden können!

Angst „abgewöhnen"?

Auf der anderen Seite führt z.B. die Abwesenheit des Sozialpartners, also die Vereinsamung bei einem sozial lebenden Tier, zu negativen Emotionen, häufig auch zu Angst. Betrachtet man tierische Emotionen (sowohl positive wie auch negative) unter diesem Gesichtspunkt, so wird schnell klar, dass es gar nicht sinnvoll ist, einem Hund z.B. die Angst ­„abzugewöhnen" oder gar wegzu­dressieren, weil sie ein durchaus ­nützliches Verhalten ist. Viel wichtiger ist es, ihm zu vermitteln, dass es eben bestimmte Situationen gibt, in denen man konkret keine Angst haben
muss. In unsicheren und unübersichtlichen Situationen dagegen weiterhin Angst zu haben, kann auch für ­unseren Haushund durchaus noch lebens- und gesundheitserhaltend sein.

Studie: Vorhersehbarkeit ­entscheidend

In den vergangenen Jahren wurden bei Hunden eine Reihe ­einschlägiger Untersuchungen durchgeführt. So hat eine holländische Arbeitsgruppe Hunde unterschiedlichen ­störenden Reizen ausgesetzt. Diese Reize bzw. Stressoren unterschieden sich­ ­darin, dass sie entweder für den Hund vorhersehbar und konkret auf einen Menschen beziehbar waren oder aber aus heiterem Himmel und ­völlig unvorhersehbar auftraten. Zu den erkennbar und vorhersehbaren ­Reizen gehörte das Aufspannen eines Regenschirms oder das Festhalten des Hundes durch den Menschen. Zu den unvorhersehbaren Reizen gehörten plötzliche kurze Ausbrüche von lauter Musik, eine plötzlich herunterfallende Plastiktüte und ähnliches.

Die Reaktion der Hunde auf die beiden Arten von Stressoren war völlig unterschiedlich. Während sich einige Hunde bei den erkennbaren und vorhersehbaren unangenehmen Reizquellen eher unterwürfig und auf die betreffende Reizquelle hin gerichtet submissiv verhielten, zeigten sie bei den unerwarteten und unvorhersehbaren Reizen alle körperlichen Symptome des ängstlichen Hundes. Auch die Hormonausschüttungen, die in beiden Fällen zu messen waren, waren völlig unterschiedlich. Nur im zweiten Falle waren deutlich erkennbare Reaktionen des Cortisolsystems zu messen. Entsprechend der Definition (siehe ersten Teil des Artikels) würden wir in diesem Fall von Angst ausgehen. Pulsmessungen bei den Hunden in der ersten Gruppe von (zuordenbaren) Reizen ergaben bei manchen einen Anstieg von Adrenalin – womit man hier definitionsgemäß von Furcht ausgehen muss. Und wieder andere Hunde lässt dergleichen buchstäblich kalt.

Leine verstärkt das Problem

Ein besonderes Problem im Zusammenhang mit der Entstehung von Angst oder Furcht ist bei Hunden gerade dann zu vermerken, wenn sie durch Leinen und andere einschränkende Maßnahmen nicht so reagieren können, wie sie das gerne täten. Auch hier müssen wir zwischen Angst und Furcht als Auslöser von entsprechenden Reaktionen unterscheiden. Hunde, die sich an der Leine generell verunsichert und potenziell handlungseingeschränkt fühlen, würden eher mit Angst und einem Anstieg der Cortisolwerte reagieren. Hunde, die sich an der Leine stärker gegen ­konkrete Situationen aufbauen und dann „dicke Backen machen", ­würden wir eher als furchtsam titulieren. ­Hierzu gibt es Daten einer Disserta­tion von Ute Olsen von der Universität Berlin. Sie konnte zeigen, dass Hunde, die generell bei Menschenansammlungen zögerlich reagieren, oft dann mit deutlicher Angst antworten, wenn sie zusätzlich noch an der Leine in diese Gruppe hineingeführt werden. Hunde, die nicht zögerlich in Menschenansammlungen gehen, reagieren auch nicht ängstlich, wenn sie das an der Leine tun müssen.

Im Freilauf reagieren diejenigen ­Hunde, die häufig an der Leine geführt werden, wesentlich ängstlicher beim Umgang mit Kindern und auch bei plötzlichen Geräuschen und anderen unangemeldeten Reizen als Hunde, die weniger oft angeleint sind. Auch knurren oft angeleinte Hunde sowohl im Kontakt mit Menschen als auch im Kontakt mit Hunden wesentlich ­häufiger als ihre „freien" Artgenossen.

Dies zeigt, dass Hunde, die oft angeleint geführt werden, insgesamt zu einer ängstlicheren Grunddisposition neigen und dass dadurch auch eine potenzielle Verschärfung ihrer Verhaltensprobleme eintreten kann. Da es sich um eine sogenannte korrelative Studie handelt, also eine Studie, die nur die Ist-Zustände abfragt und vergleicht, ist allerdings nicht klar, ob entweder ängstliche Hunde öfter angeleint werden, oder aber angeleinte Hunde öfter ängstlich werden. Trotzdem sind die Ergebnisse im Zusammenhang mit der sich immer weiter ausbreitenden generellen ­Leinenpflicht von großer Bedeutung und sollten zu einer Neubewertung dieser Situation führen.

Mangelnde Bewältigung

Im ökologischen Zusammenhang ­können Ängste entweder als Folge des (motorischen) Versagens oder auch schon im Vorfeld eines möglichen ­solchen Versagens entstehen. Hier wären beispielsweise die ­bekannte Situation des Hundes, der keine ­Treppen kennt, oder auch die Ver­haltensreaktion auf unbekannten Fußbodenbelägen zu nennen.

Auch als Folge von Einschränkungen oder des Versagens der Sinneswahrnehmungen kann Angst entstehen. So weigern sich manche hundliche Senioren mit eingeschränkter Sinnes­leistung in der Dunkelheit oder bei anderen, unbekannten Situationen spazieren zu gehen. Und dann kann Angst auch als Folge von Fehleinstellungen gegenüber der Umwelt auftreten. So etwa dann, wenn der Hund bestimmte Reize nicht kennt, bspw. als fern jeglicher Zivilisation aufgewachsener Auslandshund plötzlich in die Großstadt verpflanzt wird und buchstäblich überwältigt ist von den vielen dort auftretenden Geräuschen, Gerüchen etc. In diesem Falle ist der überwiegende auslösende Faktor der Angst in einer mangelnden Bewältigungsstrategie zu sehen, da ihm die mit Lernen und Erfahrungsverarbeitung befassten Teile des Gehirns keine Handlungsanweisung für diese unbekannte Situation geben können.

Angst und Lernen

Angst und Lernen sind in einer sehr komplexen Weise miteinander verknüpft. Angst entsteht immer dann, wenn man eine unbekannte Situation nicht überblicken kann und deshalb mit dem Schlimmsten rechnet: „Der Himmel könnte einem auf den Kopf fallen". Diese bei erstmaliger Konfrontation mit der betreffenden Situation entstehende und oftmals lebens­rettende negative Emotion kann jedoch beseitigt werden, wenn wir oder Hund lernen, mit dieser Situation umzugehen. Sobald diese Erfahrung gemacht ist, wird sie abgespeichert und das Großhirn wird uns beim nächsten Kontakt mit dem gleichen Reiz beruhigend einflüstern, dass es keinen Grund zur Aufregung gibt.

Situationen, Umgebungen und Objekte

Angst und Lernen können jedoch auch eine negative Verknüpfung eingehen. Das Gehirn ist nämlich sehr bereit­willig, sich Situationen, Umgebungen und Objekte zu merken, unter denen man Angstanfälle bekam oder die einem konkrete Gefahren vermittelt haben. Dafür sind mehrere wichtige Gehirnteile verantwortlich. So ist die Hirnrinde des vorderen, im Nasen­bereich liegenden Teils des Großhirns wichtig, um furchtauslösende ­Objekte oder allgemein angstauslösende ­Situationen zu speichern. Demgegenüber wird im sogenannten Hippocampus, einem tiefer gelegenen Teil des Gehirns, der Ort gespeichert, an dem man die betreffenden Negativ­erlebnisse gehabt hat. Und das führt dann dazu, dass der Hund jedesmal gleich wieder Speichelfluss, erhöhte Atmung und erhöhte Herztätigkeit zeigt, wenn er entweder wieder mit dem aus­lösenden Gegenstand oder dem Ort, an dem es ihm schon mal schlecht ging, konfrontiert wird. Siehe das konkrete Beispiel mit dem Canis ­autisticus, dem Ziegenknochen und dem Garten im ersten Teil des Artikels.

Im nächsten WUFF der letzte Teil mit der Darstellung verschiedener Lebensphasen, die für die (spätere) Entstehung von Angst oder Furcht Bedeutung haben, und die je unterschiedlichen Therapieansätze.

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