Angst und Furcht – Ursachen, Symptome und Therapie

Unsicherheit, Furcht und Angst haben prinzipiell eine ­wichtige ­biologische Funktion, sind also nicht von vorneherein eine Verhaltens­störung. Es gibt beim Welpen und Junghund bestimmte Lebensphasen, in der Prägung und Sozialisierung möglich sind. Werden hier Fehler gemacht, kann dies den Welpen für sein Leben lang traumatisieren und Ursache von Unsicherheit, Angst und Furcht sein. Welche Lebensphasen des Hundes dafür von ­Bedeutung sind und was man tun kann, wenn man einen ängstlichen oder ­unsicheren Hund hat, erklärt Tierärztin und Verhaltensexpertin Sophie Strodtbeck im letzten Teil dieser dreiteiligen Artikelreihe.

Der Umgang mit der Angst beim Hund ist sehr zwiespältig: auf der einen Seite wird sie oft als Entschuldigung für vorsichtiges und ­zurückhaltendes Verhalten des Hundes benutzt, auf der anderen Seite wird sie häufig als ­unerwünschte ­Verhaltensstörung betrachtet, die man am besten ge­flissentlich ignorieren sollte.

Im ersten Teil dieser dreiteiligen Artikelreihe (WUFF 12/2011) ging es um die Differenzierung von Furcht, Angst und Panik, sowie um die daraus abgeleiteten Reaktionsmuster. Themen des zweiten Teiles (WUFF 2/2012) waren die Entstehung von Emotionen bei Tieren, die Beziehungen zwischen Stressoren und Angst und Furcht, weiterhin die mögliche Problemverstärkung durch die Leine und Zusammenhänge zwischen Angst und Lernen sowie die entsprechenden Verknüpfungen.

In diesem Teil werden die verschiedenen Lebensphasen vorgestellt, die für die (spätere) Entstehung von Angst oder Furcht Bedeutung haben, sowie die jeweils unterschiedlichen Therapieansätze.

Biologisch sinnvoll

In der Entwicklung von Wolfs- (und Hunde-) Welpen kann man etwa ab der 5. Lebenswoche die ersten negativen Reaktionen auf unbekannte oder gar unangenehme Umweltreize feststellen. Es ist also zu vermuten, dass die mit der Entstehung von Unsicherheit, Furcht und Angst zusammenhängenden Zentren des Gehirns in diesem Alter erstmals die Arbeit aufnehmen. Dennoch überwiegt bis zur 8. Woche deutlich die Neugier, was auch sinnvoll ist, um das eigene Rudel, Eltern und Wurfgeschwister bewusst kennenzulernen. Dann erst, wenn die Wurfhöhle verlassen wird, ist Angst erstmals ­biologisch sinnvoll.

Etwa ab der 8. oder 9. Woche kommt es zu einer Ortsbindung des Welpen. Dies bedeutet, dass er auf ihm unbekannte Gebiete zunächst mit Unsicherheit, oft auch mit Angst reagiert. Wichtig: Mit Territorialität hat das aber noch nichts zu tun! Erste Anzeichen von Territorialität sind bei Hunden und Wölfen frühestens nach dem Ende des 5. – 6. Lebensmonats nachweisbar.

Die zu früh erfolgte gewaltsame Entfernung eines Welpen vom Ort seiner Geburt kann das Tier in dieser Lebensphase bisweilen so traumatisieren, dass es sein Leben lang verunsichert bleibt. Diese plötzliche Ortstrennung eines zu früh von der ­Züchterfamilie getrennten Welpen hat einen viel ­größeren Einfluss auf seine Entwicklung als die Trennung von Wurf­geschwistern oder der Mutter.

Ab etwa der 14. Lebenswoche kann bei Hunde- und Wolfswelpen ein sogenanntes Fremdeln auftreten. Denn ab diesem Zeitpunkt ­werden bekannte Lebewesen, seien es ­Menschen, Hunde oder andere Tiere, von unbekannten deutlich unterschieden. Auf die unbekannten kann dann mit Unsicherheit, Rückzug und oftmals auch mit leichter Angst reagiert werden.

Prägephasen entscheidend für Angstbewältigung

Studien an Hunden und Wölfen haben gezeigt, dass es für die Angstbewältigung und Angstvermeidung mehrere wichtige Lebensabschnitte gibt. So ist nahezu jeder Gegenstand und jede Situation, die einem Welpen bis zum Ende der 12. Lebenswoche bereits als harmlos, unbedeutsam oder gar positiv dargestellt wurde, später auch im Leben ohne Stresserscheinungen oder gar Angstanfälle zu bewältigen. Denn in dieser Zeit findet noch die Verknüpfung der Nervenbahnen und Nervenzellen im Gehirn statt und auch die sog. Hilfszellen des Gehirns, die bspw. für Ernährung, Umhüllung von Nervenfasern etc. verantwortlich sind, werden bis zu diesem Altersabschnitt gebildet.

Gegenstände, Lebewesen und allgemeine Umweltsituationen, die der Hund in den ersten drei Lebensmona­ten nicht als bedeutungslos oder gar positiv kennengelernt hat, können dagegen bei Konfrontation im späteren Leben erheblichen Stress auslösen. Wird dann auch diese erste (spätere) Konfrontation nicht bewältigt oder kommt es dabei sogar zu negativen Folgen, entsteht Angst bereits vor einer weiteren Begegnung mit solchen Konfrontationen.

6.-9. Monat: Sozialisierung ­wiederholen!

Eine zweite sensible Phase liegt im Zeitraum zwischen dem 6. und dem 9. Lebensmonat. Auch das ist biologisch sinnvoll, wie sich aus der Wolfsforschung erkennen lässt. Denn wenn ein junger Wolf abwandert, ist er ganz neuen Gefahren ausgesetzt und tut gut daran, etwas vorsichtig zu sein. Daher sollten beim Hund in dieser Zeit alle prägenden und sozialisierenden Einflüsse nochmals wiederholt werden. Alle Dinge, Gegenstände und Situationen, die er in der ersten Sozia­lisationsphase noch nicht kennengelernt hat, kann man ihm jetzt noch (in einem positiven Kontext) vorstellen und sie werden dann in ähnlicher ­Weise zu einer Gewöhnung führen.

Was jedoch etwa nach dem Ende des 9. Monats (rassetypisch gibt es hier aber Unterschiede) nicht als harmlos, unbedeutend oder gar positiv vorgestellt wurde, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit im späteren Leben zunächst als Stressor wirken, und wenn es dann beim ersten Mal der Konfrontation nicht für den Hund erfreulich und positiv ausgeht, ist die Furcht oder Angst nicht mehr weit.

Pubertät

In der Pubertät tritt dann nochmals eine Phase auf, in der es zu einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für die Entstehung von Angst kommen kann. Denn die hormonellen Schwankungen in der Pubertät betreffen ja nicht nur die Sexualhormone, sondern auch die Stresshormone werden in dieser Zeit in eine Berg- und Talfahrt versetzt. Die daraus entstehenden Umorganisationen und Neuverknüpfungen im Gehirn können dann zu überschießenden Emotionen und überschießenden Verhaltensreaktionen führen. Zwar wird insgesamt während der Pubertät das Gehirn hin zu einem etwas rationelleren und überlegteren Handeln und weg vom rein emotionalen und bauchgesteuerten Handeln umorganisiert, in der Übergangsphase jedoch kann es sehr wohl zu Ungleichgewichten im Botenstoffsystem und in der Zuständigkeit der verschiedenen Hirnbereiche kommen. Neben unerklärlichen Wutausbrüchen und Depressionen sind auch Angst und Furcht in dieser Phase besonders leicht auszulösen.

Behandlungsmöglichkeiten

Die in diesem dreiteiligen Artikel vorgenommene Unterscheidung zwischen Angst und Furcht (s. Kasten auf Seite 14) ist also keineswegs nur Begriffsklauberei und Lust am Definieren. Im Falle eines Hundes (aber auch anderer Therapiepatienten) muss man nämlich je nach Sachlage völlig unterschiedlich vorgehen:

Bei Furcht kann im Sinne einer herkömmlichen Verhaltenstherapie durch langsame, sich mehr und mehr steigernde Konfrontation mit dem furchtauslösenden Reiz eine Gewöhnung und damit eine Desensibilisierung erfolgen, d.h. letztlich eine zunehmende Abschwächung der Reaktion des Hundes. Da das an Furcht beteiligte Hormon Noradrenalin auch als Lernverstärker wirkt, wird jede glücklich und unbeschadet überstandene Konfrontation auch zu einer weiteren Gewöhnung führen – wenn es richtig gemacht wird.

Bei Angst hingegen gibt es keinen auslösenden Reiz, an den eine Gewöhnung oder Desensibilisierung erfolgen könnte. Hier kann nur durch allgemein persönlichkeitsstärkende Maßnahmen, durch Stärkung des Selbstvertrauens und eine optimistische Gesamtausrichtung des Hundes eine langfristige Besserung erfolgen.

An dieser Stelle setzen dann auch die zusätzlichen Behandlungsmöglichkeiten durch Nahrungsergänzungsstoffe, durch mögliche Psychopharmaka oder andere Mittel an. Der Einsatz von Psychopharmaka als letztes (!) Mittel der Angstbehandlung wird häufig von Hundebesitzern sehr kritisch und ablehnend gesehen. Tatsache ist jedoch, dass es durch gezielten und kompetenten Einsatz der richtigen Medikamente möglich ist, einen Hund für eine begleitende und eigentlich zielführende Verhaltensbeeinflussung und Verhaltenskorrektur ansprechbar zu machen. Ziel einer Behandlung ist in solchen, schwerwiegenden ­Fällen nicht, den Hund sein Leben lang mit Medikamenten ruhig zu stellen und „zuzudröhnen", sondern ihm das Leben während der Behandlung so weit zu erleichtern, dass er überhaupt bereit ist, sich den Lösungsvorschlägen des Menschen gegenüber zu öffnen. Danach schleicht man nach erfolgreicher Behandlung diese Medikamente wieder aus und braucht sie oft ein Leben lang nicht mehr anzuwenden.

Bestimmte Lebensphasen ­entscheidend

Anhand der psychologischen Entwicklung von Wölfen und Hunden kann man bestimmte Lebensphasen festmachen, die für Angst oder Furcht von Hunden im späteren Leben maßgeblich sind.

■ bis 12. Lebenswoche: Alles, was der Welpe in dieser Zeit als harmlos oder positiv erlebt, wird für den Hund später meist ohne Stress oder Angst bewältigbar.

■ 6.-9. Lebensmonat: Dinge oder Situationen, die der Hund in seiner ersten Prägephase noch nicht kennengelernt hat, können ihm jetzt noch vorgestellt werden mit dem Ergebnis einer Gewöhnung.

■ Ab ca. dem 10. Lebensmonat (rasseabhängig unterschiedlich): Was der Hund bis jetzt nicht kennengelernt hat, kann nun als Stressor wirken und bei negativem Ausgang der Begegnung zu Furcht oder Angst ­führen.

Unterschiedliche Therapie von Furcht oder Angst

Für die richtige Therapie ist die Unterscheidung wichtig, ob es sich beim Hund um Angst oder Furcht handelt, wie im ersten Teil des Artikels (WUFF 12/2011) ausführlich beschrieben.

Therapie bei Furcht:
­Desensibilisierung, d.h. schrittweise zunehmende Gewöhnung an den auslösenden Reiz.

Therapie bei Angst:
Per­sönlichkeitsstärkende Maßnahmen, Vermittlung von Sicherheit.

Zusätzliche Therapiemöglichkeiten

■ Nahrungsergänzungsstoffe

■ ggf. vorübergehender Einsatz von Psychopharmaka durch den ausgebildeten Tierarzt.

Literatur

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