An lockerer Leine gehen: Vom Wunschtraum zur Realität

Von Yvonne Adler

Die Leinenführigkeit ist mit Sicherheit eines der häufigsten Themen, das Hundehalter beschäftigt. Entspannt mit seinem Hund an lockerer Leine spazieren zu gehen, ist eine sehr schöne und angenehme Vorstellung, die durchaus auch zur Realität werden kann.

Zu Beginn ist es besonders wichtig, sich Gedanken darüber zu machen, was »Leinenführigkeit« überhaupt bedeutet. Dieser Schritt ist notwendig, um eine ganz klare Zielsetzung zu entwickeln. Selbstverständlich müssen auch die Rahmenbedingungen der Haltung des eigenen Hundes unbedingt miteinbezogen werden. So ist es natürlich völlig illusorisch anzunehmen, dass ein Welpe von Beginn an völlig entspannt an der lockeren Leine gehen wird. Natürlich gibt es Ausnahmen, aber ganz allgemein sind junge Hunde dazu meist nicht in der Lage, da ihnen dafür insbesondere die Umgebungsreize, die Ablenkung und die jugendliche Neugierde dazwischenkommen. Es ist daher ganz wichtig, sich gemeinsame und auch realistische Ziele zu setzen.

Unter einer Leinenführigkeit ist kein permanentes »Fuß« Gehen des Hundes, eng am Hundebesitzer mit Blickkontakt, gemeint. Dieses Verhalten dauerhaft zu setzen, wäre für eine gesunde Hundehaltung im Alltag weder erstrebenswert noch zielführend. Für eine funktionierende Leinenführigkeit hat sich eine rund 2,5 bis 5 Meter lange Leine als besonders günstig und alltagstauglich herausgestellt. So kann beispielsweise bei einem Spaziergang auf einer ruhigen Waldstraße, auf der der Hundehalter mittig geht, der Hund ganz entspannt mit einer 3 Meter langen Leine rechts und links am Straßenrand schnüffeln, ohne dass die Leine spannen würde. Das bedeutet, der Hund kann sich im Leinenspielraum frei bewegen, die Leine soll dabei immer locker bleiben und keinesfalls spannen. Selbstverständlich kann sich das im städtischen Gebiet ganz anders darstellen und womöglich ist eine 3 Meter lange Leine hier nicht akzeptabel. Denn sie würde bei den vielen Autos, Menschen, Radfahrern, engen Gehsteigen und dergleichen dem Halter kein sicheres Führen des Hundes ermöglichen.

Ziehen lernen an der Roll-Leine
Eine weitere Frage stellt sich in diesem Zusammenhang auch nach dem entsprechenden Equipment. Welche Leine und welches Brustgeschirr oder Halsband wird verwendet? Denn es ist eine Hilfe, dass der Hund mit dem Training auch das Equipment verbindet. Folgendes Beispiel kann dies verdeutlichen: Wird der Hund an einer »Ausziehleine« geführt, also einer Leine, die sich durch den Zug des Hundes ausrollt, lernt er damit genau das Gegenteil von dem, was sich der Hundehalter erwartet, nämlich das entspannte Laufen an lockerer Leine. Aus der Sicht des Hundes ist es nämlich so zu betrachten: Ich muss ziehen, um mehr Spielraum zu erhalten. Deshalb ist es verständlich, dass ein Hund, der häufig an einer Ausziehleine geführt wird, auch dann zieht, wenn er mit einer normalen Leine unterwegs ist. Sollten zwei verschiedene Leinenarten kombiniert werden, muss auch beides getrennt voneinander aufgebaut und trainiert werden. Nur so erlernt der Hund den Unterschied, wann das Ziehen erwünscht ist bzw. nicht toleriert wird.

Schmerz ist kein guter Lehrer
Auch beim Brustgeschirr gibt es mittlerweile viele Auswahlmöglichkeiten bis hin zu jenen Modellen, die den Hund, wenn er an der Leine zieht, beispielsweise in der Achsel einengen. Ich bin der Meinung, dass der Hund kein entspanntes Kommando erlernen kann, wenn damit für ihn Unwohlsein oder gar Schmerzen verbunden sind. Es ist sogar möglich, dass dadurch im Hund unerwünschte Negativ-Verknüpfungen, wie beispielsweise eine Leinenaggression, entstehen, wenn er mit Schmerzreiz ausgebildet wurde.
Grundsätzlich eignet sich jedes gute breite Halsband, selbstverständlich kein Zughalsband, dessen Durchmesser sich bei Spannung verkleinert(!), und/oder ein gut sitzendes Brustgeschirr. Dabei sollte ein ganz besonderes Augenmerk auf »gut sitzend« gerichtet werden. Im Handel gibt es bedauerlicherweise auch einige Brustgeschirr-Modelle, welche den Hund in der Schulterbewegung blockieren und somit langfristig sogar den Bewegungsapparat schädigen können. Die Inanspruchnahme einer Beratung von einem Fachtierarzt für Chiropraktik/Physiotherapie ist in diesem Fall durchaus sinnvoll. (Anm. der Redaktion: Im aktuellen Sonderheft »WUFF-Spezial Gesundheit« wird das Thema Brustgeschirre ausführlich behandelt)

Der erste wichtige Schritt des eigentlichen Trainings ist ein gutes Management. Jeder Hund benötigt ausreichend Auslauf. Ist der Hund jung und hat viel Energie, kann es zum Beispiel zu Beginn notwendig sein, dass er vorerst ausreichend Freilauf erhält, bevor mit dem Leinentraining beim Spaziergang begonnen wird. Handelt es sich um einen älteren Hund, der auf seinen gewohnten Strecken sehr stark an der Leine zerrt, kann es eine geeignete und zielführende Managementmaßnahme sein, dass er auf seinen bekannten Strecken vorerst am »gewohnten Equipment« ziehen darf und er erst danach auf das neue Equipment »umgeleint« wird, womit das Training schrittweise beginnt. Dabei würde mit dem Lernfortschritt in weiterer Folge das neue Kommando auch auf die gewohnten Umgebungen umgelegt werden.

Der oft angeführte Tipp, dass das Stehenbleiben beim Hund das Leinenproblem löst, ist insofern schwierig zu sehen, weil dadurch der »Fluss im Spaziergang« gestört wird und die meisten Hunde eine (für uns Menschen unerwünschte) Verhaltenskette lernen. Zerrt der Hund an der Leine, bleiben die Menschen stehen und warten darauf, dass sich der Hund zu ihnen umorientiert bzw. den Zug aus der Leine nimmt, wofür er dann gelobt wird. Aus Hundesicht ist es daher logisch, dass der Hund zuerst ziehen muss, um dann durch die Umorientierung seine Belohnung (in welcher Qualität auch immer) vom Menschen zu erhalten. Der Rat, auch mal Schlangenlinien oder im Zick-Zack zu gehen, damit der Hund lernt, auch auf den Hundehalter zu achten, funktioniert nur, wenn der Hund überhaupt die Aufmerksamkeit am Halter hat. Meistens wird er aber eher an der Umgebung und an anderen Reizen orientiert sein als an seinem Menschen. Wenn man diese Teile des Richtungswechsels hingegen mit einem sinnvollen Training und der Verstärkung für richtiges Verhalten zur Leinenführigkeit kombiniert, kann das eine effektvolle Übungsvariante darstellen.

Die Schritt-für-Schritt-Umsetzung
Wir nehmen für unser Beispiel einen mittelgroßen Hund und das gemeinsame Ziel, dass dieser entspannt an einer normalen Leine laufen soll. Der Hund erhält ein gut sitzendes, passendes sowie bequemes Brustgeschirr und der Leinenspielraum beträgt 3 Meter. Ca. 1 Meter Leinenlänge reicht von der Rückenpartie des Hundes bis zur Hand des Hundehalters. Wird eine beispielsweise 1,20 Meter kurze Leine zum Spazieren verwendet, ist der Hund fast durchgängig in der gespannten Leine, weil ihm der Spielraum fehlt und er bereits bei wenigen Schritten zur Seite, um etwa zu schnüffeln, die Leine spannen muss.

1.) Der Hund ist bereit fürs Training, mögliches Management erfolgt, Equipment wird angelegt.

2.) Zu Beginn muss eine ablenkungsarme Umgebung fürs Training gewählt werden – das kann ruhig auch der eigene Garten sein.

3.) Der Hundehalter hält die Leine am Ende, womit der Hund die gesamte Leine als Spielraum hat. Manche Hundehalter müssen das erst üben, weil viele sofort beginnen, die Leine durch ein Umwickeln der Hand zu verkürzen. Es soll immer mit gleich langer Leine trainiert und später auch spaziert werden. So lernt der Hund nachhaltig den zur Verfügung stehenden Spielraum.

4.) Sobald der Hund an lockerer Leine läuft (Körpergefühl und Muskelerinnerung des Hundes werden mit dem Signal verknüpft), erfolgt das neue Kommando des Hundehalters. Das kann beispielsweise so lauten: »Langsam Leine«, dabei wird der Hund verbal und mit Freude gelobt. Gerne kann auch ab und zu – je nach Erregungslage des Hundes – ein Leckerchen gegeben werden, das mit der Aufregung dieser Situation konkurrieren kann. Konkret – eine schwierige Situation erfordert eine sehr hochwertige Belohnung. Darüber hinaus sollte direkt die Geschwindigkeit eines echten Spazierganges trainiert werden. Das heißt, im Training wird das Tempo gewählt, mit dem man später auch unterwegs sein wird.

5.) Bleibt der Hund stehen, etwa um zu schnüffeln, sollte der Halter nicht an der Leine ziehen, sondern ihn ansprechen und mit einem Hörzeichen wie »Komm weiter« sowie durch die eigene Körperhaltung und eine einladende Handbewegung zum Weitergehen auffordern. Bleibt der Halter stehen und starrt den Hund an, blockiert er selbst den Fluss des Weitergehens. Wichtig, der Hund muss unbedingt für richtiges Verhalten (Weitergehen) gelobt werden!

6.) Ausgiebiges Lob erhält der Hund für »Langsam Leine«, und dabei können in der täglichen Übung auch verschiedene Varianten eingebaut werden. Es ist wichtig, dass das Kommando mit dem Körpergefühl der lockeren Leine und der Geschwindigkeit des Spazierganges verknüpft wird. Daher muss immer, wenn der Hund die Übung von sich aus richtig macht, Signal gegeben und gelobt werden.

7.) Sollte der Hund die Leine spannen, ist das zu Beginn auch ein wichtiger Lernfaktor, denn er muss den gewünschten Spielraum ja erst kennenlernen. Hier wäre es wichtig, dass der Hundehalter in seiner Bewegung bleibt, durch Ansprache den Hund jedoch wieder dazu bringt, an lockerer Leine zu gehen. Wenn der Hund beispielsweise gerade am Wegesrand die spannende »Hundezeitung« riecht und durch den aktiven Zug an der Leine auch den Hundehalter dorthin ziehen möchte, arbeitet man bereits gegen den Hund statt miteinander. Schafft es der Hund, seine Wünsche durch verstärkten Zug erfüllt zu bekommen, ist natürlich aus Hundesicht keine Notwendigkeit gegeben, mit dem Halter mitzuarbeiten. Deshalb ist es wichtig, sich selbst nicht wegziehen zu lassen, die Leine straff zu halten und durch die Weiter-Bewegung sowie Ansprache den Hund zum Mitgehen zu motivieren. Wichtig! Aus Hundesicht ist für ihn jene die größte Belohnung, die er gerade am meisten möchte. Das ist natürlich ein riesiger Verstärker für richtiges Verhalten. Hat es der Hundehalter geschafft, sich nicht umziehen zu lassen, den Hund zum Weitergehen zu bewegen und ist er auch bereit, sein Kommando durch Konsequenz (nicht Gewalt!) einzufordern, so kann man anschließend sogar, wenn der Hund weitergegangen ist, die heiß begehrte Stelle als Belohnung gemeinsam aufsuchen.

8.) Training, Training, Training. Alles in Maßen und in mehreren kurzen Einheiten am Tag verteilt, sodass Hund & Hundehalter Spaß und Freude daran haben.

Das sollte unbedingt beachtet werden:
Für ein Training zur Leinenführigkeit ist jeder Hund geeignet. Wurden mit dem Hund bereits Kommandos, wie Aufmerksamkeit auf Signal, trainiert, wird das Training schneller Erfolg haben, da der Halter seinen Hund ansprechen kann, noch bevor dieser die Leine spannt. So kann auch die Wiederholungsrate im richtigen Verhalten (lockere Leine) deutlich erhöht werden.

Es macht sich auch bezahlt, einen »kommunikativen Spaziergang« einzubauen. Das bedeutet, der Hund lernt, dass er beim Spaziergang mit dem Hundehalter Spaß haben kann. Somit verlagert der Hund seinen Fokus mehr auf den interessanteren Halter als auf die Umgebungsreize. Dies impliziert, dass man sich als Hundehalter etwas mehr »entschleunigen« sollte und auch das Handy, die Kamera etc. weggepackt lässt. Durch einen aufmerksamen Hundehalter im Trainingszeitraum kommen viele wichtige Wiederholungsraten im richtigen (von uns Menschen gewünschten) Verhalten zustande.

Die Ablenkung kann mit dem Trainingsfortschritt erhöht und auch die Dauer der Leinenführigkeit ausgedehnt werden. Ein neues Verhalten nachhaltig zu etablieren, hat auch mit einem guten Management zu tun, damit der Hund im optimalen Fall keine Möglichkeit mehr erhält, das alte und unerwünschte Verhalten zu zeigen und damit auch weiterhin zu üben. Es muss auch klar gesagt werden, dass der Erfolg neben anderen Faktoren ganz entscheidend vom Individuum Hund abhängig ist. Ein »Löschen« einer Erinnerung ist nicht möglich und je nachdem, seit welchem Alter der Hund das Verhalten zeigt und wie groß seine aktuelle Stressbelastung ist, können alte Verhaltensweisen auch nach langer Zeit und nach erfolgreichem Training wieder – wenn auch abgeschwächt – auftreten. Als Faustregel für den notwendigen Trainingszeitraum kann man sich vor Auge führen, dass das Training genauso lange weitergeführt werden muss, um das neue Verhalten zu festigen, so lange wie es gedauert hat, um das Ziel zu erreichen.
Außerdem sollte man sich vor der Zielsetzung genau überlegen, ob das Training zur Leinenführigkeit für den eigenen Hund schon passend ist. So wird man etwa einen »Angsthund« in einer Paniksituation unter keinen Umständen zu einer entspannten Leinenführigkeit bringen. Hier würden die Trainingsfelder in einem ganz anderen Bereich liegen. Auch bei einem sehr jagdambitionierten Hund kann es sein, dass vorrangig ein gut aufgebautes Anti-Jagdtraining umgesetzt werden muss, bevor mit dem Leinenführigkeitstraining gestartet werden kann. Hier liegt meist die Ursache des Problems bei der Jagd-Problematik und das gezeigte Symptom ist das »Leine zerren«. Daher ist es immer sinnvoll, einen Profi aufzusuchen und auch gemeinsam zu besprechen, ob ein Leinenführigkeitstraining schon Erfolg bringen würde oder man vorerst noch andere Trainingsfelder zu erarbeiten hat.

Pdf zu diesem Artikel: lockere_leine

 

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