Viele Beeinträchtigungen von Hunde-Senioren werden aufs Alter geschoben – doch häufig stecken Schmerzen dahinter
Es ist ein Bild des Jammers. Border Collie Femke humpelt in die Praxis und lässt sich schwer auf den Fußboden fallen. „Sie muss sich gestern vertreten haben“, berichtet der besorgte Besitzer. Tatsächlich ist das linke Karpalgelenk geschwollen und heiß, vermutlich entzündet durch eine Zerrung oder Stauchung. Aber das ist bei weitem nicht der gesamte Befund. Beim Vorführen zeigt die freundliche Hündin ein extrem verspanntes Gangbild, und beim Abtasten finde ich blockierte Wirbel. Der gesamte Rücken ist schmerzhaft verspannt, und die Muskelverhärtungen lassen darauf schließen, dass Femke nicht erst seit gestern Probleme hat. Die Befragung des Besitzers ergibt denn auch, dass die elfjährige Hündin schon länger schwächelt: „Die bewegt sich immer weniger. Aber wir dachten, sie wird einfach alt.“
Ein anderer Fall. Zwei Brüder bringen Bosko in die Praxis. Der Golden Retriever war ihr bester Kumpel zu Teenagerzeiten. Jetzt studieren die Zwillinge und sind nur alle paar Wochen mal bei den Eltern. „Und da haben wir gesehen, dass sich Bosko in letzter Zeit enorm verändert hat. Unseren Eltern ist das nicht aufgefallen, die sehen ihn jeden Tag“, erklärt einer der Jungs. Mit dem Abstand einiger Wochen aber war der Unterschied gravierend. Bosko hatte zugenommen, sein Fell wirkte stumpf und er sah im Gesicht alt und traurig aus. Spaziergänge und sonstige Bewegung vermied er weitestgehend. Nur wenn es ums Fressen ging, wurde er aktiv – Hunger hatte er immer. Die Blutuntersuchung bestätigt dann auch den Verdacht: Der zwölfjährige Goldie leidet an einer Schilddrüsenunterfunktion.
Zwei ziemlich alltägliche Beispiele für Probleme von Hunden im Seniorenalter. Typisch ist aber auch, dass sich Veränderungen einschleichen. Häufig fällt deswegen erst nach langer Zeit auf, dass sich die körperlichen Beschwerden des Hundes nicht alleine mit dem Lebensalter erklären lassen. Manche Erkrankungen entwickeln sich so langsam, so undramatisch, dass wir sie kaum wahrnehmen. Und vielen Hundehaltern ist nicht bewusst, wie sehr mit jedem Lebensjahr das Risiko wächst, dass ihr Vierbeiner eines der typischen Altersleiden entwickelt.
Die Sparte „Geriatrie“ in der Kleintiermedizin ist noch jung, und noch lange nicht jede Veterinärpraxis bietet spezielle Vorsorge-Programme für Senioren an. Dabei ist die Zahl der greisen Vierbeiner in den letzten Jahrzehnten immens gestiegen. Manche Untersuchungen ergeben, dass sich die durchschnittliche Lebenserwartung der Hunde seit den 60er oder 70er Jahren verdoppelt hat. Zwar ist Altern keine Krankheit. Wir wissen aber aus der Humanmedizin, wie sehr die Anfälligkeit für Gesundheitsstörungen im letzten Lebensdrittel zunimmt. Ganz ähnlich sieht es in der Tiermedizin aus.
So leiden rund 16 Prozent der Hunde ab acht Jahren unter einer Nierenschwäche. Jeder fünfte Hund entwickelt Arthrosen an den Gelenken, viele andere haben Rückenbeschwerden. Bei einem Viertel der Caniden kommt es zur Krebserkrankung – die Anfälligkeit steigt mit dem Alter. Und weit mehr als die Hälfte aller Seniorhunde verliert nach und nach das Sehvermögen oder das Gehör – oder sogar beides.
Viele Hundebesitzer haben Schwierigkeiten zu erkennen, dass es ihrem Hund schlecht geht.
Denn in der Regel leidet der beste Freund des Menschen still und leise. Dass er durch Winseln
oder Aufschreien Schmerzen anzeigt, geschieht meist nur kurz im akuten Moment, etwa wenn er sich vertritt. Bei anhaltenden Beschwerden, bei chronischen Schmerzen, zieht er sich eher zurück. Während der menschliche Patient oft und ausführlich seine Pein in Worte fasst und gerne das gesamte soziale Umfeld über sein Elend in Kenntnis setzt, muss man die Zeichen des Hundes lesen können, um sein Leid zu bemerken. Es liegt in seiner Natur, körperliche Schwäche möglichst geheim zu halten, um sich nicht angreifbar zu machen. Selbst starke Beeinträchtigungen werden von manchen Hunden extrem gut überspielt. Umso wichtiger ist der wache Blick von Frauchen und Herrchen auf jegliche Abweichungen vom normalen Verhalten, die auf körperliches Unwohlsein hinweisen können.
Schmerzzustände machen sich mit diesen Anzeichen bemerkbar:
- Unruhe
- Apathie
- Bewegungsunlust
- Lahmheiten
- Vermeiden von Sprüngen oder Treppen
- Schwierigkeiten beim Aufstehen, Setzen oder Hinlegen
- Vermehrtes Beknabbern oder Belecken einzelner Körperstellen
- Leeres Schlucken, sich ums Maul schlecken
- Hektisches Grasfressen oder Ablecken von Bodenbelägen
- Schnelle oder flache Atmung
- Appetitlosigkeit oder wechselhafter Appetit
- Unsauberkeit
- Schonhaltung
- Vermehrtes Hecheln
- Ablehnen von Berührungen
- Aggressionen gegen Menschen oder Artgenossen
Alle derartigen Veränderungen können beim alt werdenden Hund auf Probleme hinweisen. Selbst wenn es nur Kleinigkeiten sind: Der Hund wird ruhiger, er läuft nicht mehr gerne, sein Schlafbedürfnis wächst. „Er ist eben nicht mehr der Jüngste“, meint man dann. Aber diese Aussage und das bedauernde Achselzucken können dazu führen, dass Erkrankungen nicht oder zu spät entdeckt werden. Dass das geliebte Tier Leiden ertragen muss – weil niemand wahrnimmt, dass es leidet.
Die Praxis zeigt, dass viele Grauschnauzen eben nicht „nur alt“ sind, sondern dass sich chronische Erkrankungen entwickelt haben. Und während das Alter an sich unheilbar ist, können Krankheiten und viele altersbedingte Schmerzzustände durchaus behandelt werden – womit die Lebensqualität des Hundes deutlich steigt. So lassen sich Probleme des Bewegungsapparates durch Physiotherapie, Akupunktur und schmerzlindernde Nahrungszusätze oder Medikamente lindern. Bei Organinsuffizienzen braucht es vielleicht nur eine angepasste Ernährung, und der Vierbeiner wirkt plötzlich um Jahre verjüngt. Selbst erste Auffälligkeiten durch ein Kognitives Dysfunktionssyndrom, wie die Demenz der Hunde genannt wird, lassen sich in vielen Fällen durch alltagstaugliche Maßnahmen abschwächen.
Vor der Therapie steht natürlich die Diagnose. Um diese zu bekommen, muss der Hund dem Tierarzt oder Tierheilpraktiker vorgestellt werden. Niemandem ist wohl mit der Sorge, er könne etwas übersehen. Daher empfiehlt sich bei Hunden mit Eintritt in die zweite Lebenshälfte ein jährlicher Gesundheitscheck beim Therapeuten. Mit Beginn des letzten Lebensdrittels ist eine Vorsorgeuntersuchung sogar alle sechs Monate sinnvoll. Beim „Senior-TÜV“ wird der Hund in Ruhe und Bewegung angeschaut, die Vitalfunktionen werden überprüft und Blut und Urin im Labor auf Abweichungen von der Norm getestet. Auch ein eingehender Blick ins Maul darf nicht fehlen, und natürlich tastet der Therapeut das Tier ab, um etwa Schmerzen oder tumoröse Zubildungen zu finden.
Viele Krankheiten lassen sich bei rechtzeitiger Behandlung heilen oder, wenn es sich um degenerative Prozesse handelt, zumindest verlangsamen. Endet der Oldie-Check mit einer Diagnose, wird man sich also darauf einstellen und Hilfe einleiten. Im Idealfall ergibt die Untersuchung keinen Befund, und Zwei- und Vierbeiner gehen erleichtert nach Hause – hoffentlich bis zum nächsten Senior-Check.
Die Autorin
Annette Dragun ist Tierheilpraktikerin und Ratgeber-Autorin. Zuletzt erschien ihr Buch „Tierisch Grau – So bleibt der Seniorhund gesund“ (ISBN 978-3750406070). Sie lebt und praktiziert im nördlichen Schleswig-Holstein. www.tierheilpraxis-nordfriesland.de