Alltagsgeschichte: Hundesport auch mit behinderten Hunden

Von Monica Sterle

Die letzten 10 Sekunden der Musik brechen an. Caprioara geht wunderbar Fuß und ich stelle fest, daß sie schon längst in der Rückwärtsposition sein sollte. Schweißperlen auf meiner Stirn. Ist das die Hitze oder die Verzweiflung? Ich gebe das Signal. Mein Hund hat mich jedoch schon längst verstanden und grinst breit, was wohl bedeutet: „Frauchen, ich weiß, wir sind komplett falsch, aber ich dreh mich hier einfach mal ganz unorthodox in die andere Richtung und dann sind wir wieder richtig.“ Und tatsächlich. Auf den letzten Taktschlag landen wir in der Schlusspose. Total aufgekratzt von der guten Show galoppiert eine Ehrenrunde durch den Ring, daß mahn meinen könnte, ihr Rolli hebt gleich ab.

Ein behinderter Hund im Hundesport? Ja geht das denn? Ne, tuts nicht, es rollt. Caprioara und ich haben vor einigen Jahren ein gemeinsames Hobby entdeckt. 2011 kam der kleine Fox Terriermix aus Rumänien zu mir. Eigentlich nur als Pflegestelle. Ich war damals auf der Suche nach einem Azubi für meinen in die Jahre gekommenen Assistenzhund. Als behinderte Hundetrainerin bilde ich mir meine Assistenzhunde selbst aus. Ich wollte einen Welpen, bumperlgesund und auf keinen Fall einen Terrier! Doch bald war es um mich geschehen und sie durfte für immer bleiben. Caprioara ist eine Kämpferin. Sie überlebte einen Autounfall . Dadurch ist sie gelähmt und seh-hörbehindert. Ihre damaligen Besitzer waren sehr hilflos und wollten sie ertränken. Doch sie kämpfte sich aus dem Fluß heraus und saß am nächsten Tag wieder vor der Tür. So landete sie schließlich in einem guten Tierheim und danach bei mir.   Die Tierschützer hatten schon Erfahrung mit behinderten Hunden und zeigten mir alles, was ich lernen musste.

Caprioara war schnell mit den alltäglichen Dingen unterfordert. Ein behinderter Hund ist ja in erster Linie ein Hund und hat die gleichen Bedürfnisse wie ein nichtbehinderter Hund. Fuß gehen verstand sie innerhalb von 5 Minuten und genauso schnell war sie gelangweilt. So landeten wir beim Dog Dance und starteten relativ schnell bei unseren ersten Turnieren. Anfangs haben wir versucht genauso zu sein, wie die nicht behinderten Teams. Doch bald haben wir unseren eigenen Stil gefunden. So ein Rollihund kann z.B. fantastisch rückwärts gehen und exakt auf der Stelle drehen, weil ja nur zwei Beine koordiniert werden müssen. Nichtbehinderte Hunde müssen dafür lang trainieren.

Caprioara ist vor wenigen Tagen gestorben. Sie wurde nur 9 Jahre alt. Vermutlich war es eine  schleichende Vergiftung durch Umweltgifte. Ich habe es noch nicht geschafft ihre Rollstühle, einen für den Alltag, einen für das Turnier weg zu räumen. Auch ihre Hundepullis liegen noch fein säuberlich im Schrank. Der Schock sitzt tief. Dennoch bin ich mir sicher, daß es wieder einen Rollihund in meinem Leben geben wird.

Warum ich mir die Arbeit antue? Weil es keine Arbeit ist. Von vielen wurde Caprioara bemitleidet. Andere, die sie bei einem Auftritt gesehen haben dachten gleich an so etwas wie einen Wunderhund. Weder das eine, noch das andere trifft zu.  Behinderte Hunde aus dem Tierschutz haben oft schlimme Dinge erlebt. Sie haben sich ins Leben zurück gekämpft. Das bewundere ich. Dennoch sind es für mich ganz normale Hunde. Jeder Hund hat andere Bedürfnisse: Ein kleiner Hund benötigt oft einen Hundepulli und eine warme Unterlage zum drauf sitzen. Ein großer Hund braucht Platz. Einen Angsthund kann man nicht überall hin mitnehmen. Und bei einem körperbehinderten Hund hat man halt immer den Rolli mit dabei. Jeder Hund ist irgendwie anders. Es ist aber nicht so, daß sich das Leben mit einem Rollihund um 180 Grad dreht. Leider ist das selbst in den Köpfen von vielen Tierärzten noch nicht angekommen. Viel zu oft wird zum Einschläfern geraten, weil den Medizinern an dieser Stelle das Fachwissen fehlt.

Ein behinderter Hund ist in erster Linie ein Hund wie jeder andere Hund auch. Meine kleine Rollitänzerin, meine zarte Zaubermaus tanzt jetzt im Himmel und für immer in meinem Herzen.

Linda Erdl

 

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