Man kann die Zahl der Hunde auf der Erde mit etwa 500 Millionen annehmen. Nur 50 bis 60 Millionen davon stellen von kynologischen Verbänden anerkannte Rassehunde dar. Von den Ahnen der Hunde, den Wölfen, gibt es hingegen nur mehr circa 50.000!
Die Nicht-Rassehunde gehören zu den so genannten Straßen- und Dorfhunden, darunter zu den Pariahunden, sowie, als Übergang zu den höher domestizierten Rassen, den sog. „Landrassen" dieser Welt, das sind Populationen bestimmter Varianten. Sie werden meist als „Primitivhunde" zusammengefasst, unter denen es interessante Formen gibt. Doch nur wenige davon werden heute auch als anerkannte Rassen in der westlichen Welt gezüchtet. Die interessanteste davon ist vielleicht der kongolesische Basenji, ein so genannter Schensihund, der noch manche Züge eines Wildtieres aufweist.
Die Primitiv- oder Urhunde
Sie bilden in ihren unzähligen Erscheinungsformen – zusammen mit den rasch auf ihre Kosten sich vermehrenden Kreuzungen der Hunde anerkannter Rassen untereinander und mit ihnen – die weit überwiegende Mehrzahl der Hundebevölkerung auf der Welt.
Südliche Primitivhunde
Eine wesentliche Gruppe davon bilden die Schensis, die Primitivhunde der Tropen. Sie zeigen alle eine gewisse Ähnlichkeit, meist sind sie sandfarben über fahlgelb bis rot, kurzhaarig und oft stehohrig, klein bis mittelgroß. Zu ihnen gehören auch der australische Dingo und der kleinere Neuguinea-Dingo. Ersterer lebt seit etwa 5.000 Jahren in Australien, wohin er vermutlich mit frühen Einwanderern aus Südwestasien gelangte. Er lebt seither als wilder Hund und beherrschender Beutegreifer dieses Kontinents. Doch ist er heute durch unerbittliche Verfolgung durch die europäischen Siedler und Verkreuzung mit europäischen Hunden ein stark gefährdetes Tier, so dass sich auf dem Festland kaum mehr reine Exemplare vorfinden. Zusammen mit dem Neuguinea-Dingo gehört er wohl zu den interessantesten Haushundformen überhaupt.
Da Haushunde als Haustiere keinen gesetzlichen Schutz als gefährdete Arten genießen, sieht die Zukunft der Dingos leider düster aus. Lange versuchte man, ihnen den Status einer Art zuzusprechen, um ihre Ausrottung zu verhindern, teils aus australischem Patriotismus, teils aus biologisch-ökologischer Sicht, doch sind sie ehemalige Haushunde, was heute auch durch DNA-Untersuchungen belegt ist. Vielleicht aber sind sie zu retten, wenn ihre Bedeutung für die regionale Fauna, die sie zweifellos haben, als schutzwürdig anerkannt wird, allerdings wahrscheinlich nur in Inselreservaten.
Nördliche Primitivhunde
Primitivhunde haben mit dem Menschen sowohl den tropischen Regenwald als auch die Arktis besiedelt. Die arktischen Hunde sind im Gegensatz zu den Dingos nirgends verwildert, was – abgesehen von den harten Lebensbedingungen – mit dem Vorhandensein von Wölfen erklärbar ist. Die arktischen Hunde haben das Leben von Menschen in diesem Gebiet erst ermöglicht und sind alle spitzähnlich, kompakt gebaut mit dichtem Haar, oft zurückgebogener Rute und kleinen Steh-ohren, wie es das kalte Klima erfordert.
Pariahunde
Pariahhunde bilden den Übergang von den südlichen (Schensis) und nördlichen (arktischen) Primitivhunden zu den höher domestizierten Rasse- und rasselosen Hunden des gemäßigten Klimas. Höhere Zuchtformen wurden dagegen vorwiegend in Europa entwickelt, und diese stellen heute das Gros der registrierten, anerkannten Hunderassen der industrialisierten Länder dar.
Die Pariahunde finden sich vor allem im Orient, sind rasse- und herrenlos, leben aber immer in oder nahe von menschlichen Siedlungen. Als Straßenhunde haben sie sich seit jeher vor allem mit den regionalen Wach- und Herdenhunden verkreuzt, heute immer mehr mit europäischen Hunderassen. Da viele Primitivhunde auch eine Tollwutgefahr darstellen, werden sie regional oft bekämpft. Dadurch und wegen der Verkreuzung mit immer mehr importierten europäischen Rassen sind viele interessante Hundeformen schon verloren gegangen.
Übergangsformen: Wind-, Polar- und Herdenschutzhunde
Windhunde
Die ältesten Hundetypen, die sich schon früh in Rassen aufgliedern ließen, sind die Windhunde, die es schon auf 7000 Jahre alten Abbildungen zu sehen gibt. Sie stehen den Schensis nahe, doch liegen sie auf einer höheren Domestikationsstufe. Vor allem die Araber schafften es – wie auch bei der Pferdezucht durch den Araber – sehr früh, einen hervorragenden Jagdhund vom Altertum bis in die Neuzeit zu züchten und zu bewahren. Der Typ des heutigen arabischen Saluki ist schon früh auf ägyptischen Abbildungen zu erkennen und hat sich bis heute so gut wie unverändert erhalten. Dieses geschichtlich lange Überleben eines Rassetyps war nur möglich, weil die Hunde nur nach ihrer Jagdleistung zur Zucht verwendet und weil durch Handelsverbindungen wie auch als Geschenke immer wieder fremdblütige Hunde zur Zucht verwendet wurden (Anm.: Verringerung der Inzucht). Außerdem hatte dieser Windhund seit jeher ein ungeheuer großes Verbreitungsgebiet im Orient.
Herdenschutzhunde
Eine bedeutende, höher domestizierte Hundegruppe sind die Herdenschutzhunde, die seit etwa 10.000 Jahren die überlebenswichtige Aufgabe des Schutzes der Herden vor den Raubtieren erfüllten. In Europa standen sie regional nahe vor dem Aussterben, erleben jedoch derzeit durch die Rückkehr von Wolf und Luchs in Deutschland, der Schweiz und Frankreich eine gewisse Renaissance. Unter ihnen finden sich viele sehr große kräftige Vertreter, wie Tibetdogge, türkischer Kangal, Kaukasier, Cuvac und andere.
Polarhunde
Auch die Polarhunde werden den Primitivhunden zugerechnet, obwohl sie als Zug-, Jagd- und Hütehunde wichtige Aufgaben erledigen. Sie entsprechen eher dem Spitztypus und ähneln dadurch im Aussehen aufgrund der Anforderungen von Klima und Umwelt noch den Wölfen.
Europa – Ursprungsgebiet der weltweit maßgebenden Hochleistungs-Gebrauchshunde
Das wichtigste Entstehungsgebiet für die heutige Vielfalt anerkannter Hunderassen ist Europa. Früh bildeten sich aus der Vielfalt der in der Jagd, als Hauswächter und Herdenbewacher und –hüter verwendeten Hunde zahlreiche so genannte Landrassen. Deren Mannigfaltigkeit ist heute bei den Jagdhunden noch am größten. Schon im Mittelalter gab es Rassen für Baujagd, Hetzjagd und Jagd mit Falken und Netzen. Aus letzteren bildeten sich die Stöber-, Vorsteh- und Wasserhunde heraus. Ihr Ursprung waren die Laufhunde (Bracken), die selbständig jagen konnten und aus denen auch die Schweißhunde für die Suche nach angeschossenem Wild erzüchtet wurden. Auch heute gibt es noch zahlreiche Brackenrassen. Die kleinen Hunderassen, die man früher auf den urzeitlichen Torfhund zurückführte, entwickelten sich in England zu den ebenfalls jagdlich (für die Baujagd auf Fuchs und Dachs) verwendeten Terriern, in Mitteleuropa zu den Schnauzern und Pinschern, die vor allem bei der Bekämpfung von Ratten und Mäusen und allgemein als Wachhunde erprobt waren.
Die ursprüngliche Zuchtstrategie früherer Zeiten war übrigens auch in Europa dem oben erwähnten System der arabischen Salukizucht nicht unähnlich und bewahrte damals – im Gegensatz zum heutigen Zuchtbuchsystem – die genetische Vielfalt und in Kombination mit der Gebrauchsauslese die Gesundheit. Auch in Europa wurden Hunde innerhalb der Aristokratie häufig verschenkt oder auf Reisen erworben. Häufig wurde mit solchen Hunden auch gezüchtet. Von Hundeausstellungen war damals aber noch keine Rede.
Die Sonderstellung Europas in der Hundezucht hat sich übrigens überraschender Weise in amerikanischen DNA-Studien herausgestellt. Während alle darin enthaltenen Daten der nicht-europäischen Rassen ausschließliche oder vorwiegende genetische Nähe zum Wolf aufweisen, ist dies bei den europäischen Rassen nicht der Fall. Die europäischen Rassen teilen sich dagegen genetisch in vier Gruppen ein, die vielfach mit deren heutiger Verwendungsart übereinstimmen.
Warum das so ist, ist allerdings unklar, weil in Untersuchungen, die nach anderen Kriterien geführt wurden, eine solche Unterscheidung zwischen europäischen und nicht-europäischen Rassen sich keineswegs zeigt. Daher sind bei weiteren Forschungsarbeiten auf diesen Gebieten wohl noch sehr interessante Aufschlüsse zu erwarten.
Zweifellos sind spezielle komplizierte Gebrauchsleistungen auf vielen Gebieten ohne europäische Rassen nicht denkbar. Versuche, solche Leistungen mit Primitivhunden oder gar durch Kreuzung mit Wölfen zu erzielen, müssen fast immer scheitern. Sie setzen nämlich eine lange Selektion auf enge Zusammenarbeit mit dem Menschen voraus, wie sie vor allem bei Hütehundrassen (Schäferhunde) und Büchsenjagdhunden (Vorsteh-, Stöber- und Apportierhunde) seit Jahrhunderten stattfand. So wollte man in Skandinavien – erfolglos – für die Minensuche in Südostasien örtliche Straßenhunde ausbilden, da europäische Rassen unter dem Klima litten.
Primitivhunde sind durch den Jahrtausende alten Lebenskampf geprägt, sie sind oft eigenständig und sehr interessant, doch kaum für eine andauernde, verlässliche und konzentrierte, nicht ihrer Natur entsprechende Arbeit auszubilden. So findet man heute als Such-, Rettungs- und Blindenführhunde etc. nur Vertreter europäischer Rassen der oben erwähnten Kategorien.
Leben, Leistung und Leiden der Primitivhunde
Das oben Beschriebene soll aber nicht bedeuten, dass Primitivhunde nicht vielfach unerreichte Leistungen, oft unter unvorstellbaren Schwierigkeiten, erbringen können, man denke nur an Schlittenhunde in der Arktis. Zum Abschluss sollen daher hier in knapper Darstellung zwei Beispiele für das Leben von Hunden im äußers-ten südlichen und nördlichen Lebensbereich geschildert werden.
Im nordwestlichen Sibirien finden sich die Ur-Samojedenhunde, jene Polarhunde, von denen die heute bei uns gezüchteten weißen Samojeden abstammen. Über sie hat der russische Biologe Vladimir Beregovoy ausführlich berichtet. Sie sind die Hunde der Nentsys, eines ostsibirischen Volksstammes, früher Samojeden genannt, was aber eine verächtliche Bezeichnung ist. Sie kommen in verschiedenen Farben vor und werden sowohl als Schlittenhunde, als Jagdhunde, die verschiedenes Wild wie Schneehühner und Eichhörnchen zum Aufbaumen veranlassen und verbellen (russische Bezeichnung: Laika), als auch als Hütehunde bei den Rentieren eingesetzt. Enten werden auch aus eisigem Wasser apportiert. Bei der Arbeit werden sie mit Fleisch von Rentieren, Robben oder Walen, sowie eingesalzenen Fischen gefüttert. Im Sommer leben sie frei, die Fütterung ist unregelmäßig, aber die Behandlung gut. Sie sind freundlich, wedeln Fremde an, ziehen sich dann aber zurück. Sie sind allerdings sehr aggressiv gegen fremde Hunde. Im Sommer leiden sie sehr unter Mücken und graben sich dann zum Schutz Löcher an windigen Flussufern. Hündinnen sind ausgezeichnete Mütter, sie bauen Höhlen und brauchen im Sommer keinerlei Hilfe.
Ein Gegenstück sind die Hunde von Zimbabwe. Nach einer Studie von J.R.A. Butler und J. Bingham dienen sie dort in erster Linie als Wächter gegen Fremde sowie gegen Wildtiere wie Paviane, Elefanten, Leoparden und Löwen. Hunde aus diesem Gebiet zeichnen sich daher durch großen Mut und hervorragende Reaktionsfähigkeit aus – sie töten auch Giftschlangen. (Aus ihnen wurde unter Kreuzung mit europäischen Jagdhundrassen der „Löwenhund", der Rhodesian Ridgeback, erzüchtet.) Die Fütterung der Hunde von Zimbabwe erfolgt mit Polenta und gelegentlich Milch und Knochen. Sie leben meist frei, nur etwa ein Zehntel ihrer Besitzer bindet sie gelegentlich an. Sie streunen manchmal, aber es gibt kaum verwilderte Hunde. Kaum jemand hält sie als Gesellschaftstier oder für die Zucht oder das Hüten von Rindern.
Die Zahl der Einwohner und Hunde nimmt im Land ständig zu. Dennoch kommt es gegenüber diesen Hunden zu keiner Intoleranz, obwohl sie für 47% der Tollwutfälle und sogar 90% der tollwutbedingten Todesfälle verantwortlich gemacht werden. 70% dieser Hunde sterben schon im ersten Lebensjahr! Dennoch vermehrt sich ihre Population jährlich um 6,5%, da nur ein geringer Prozentsatz sterilisiert ist! Eine Studie berichtet, dass bei Krankheit des Hundes in 47% der Fälle der Besitzer nichts tut, in 40% werden die Hunde zur Veterinärstation gebracht und 18% erhalten traditionelle Medizin. Die Hunde dieser Region werden bei den Europäern wenig geschätzt. Jetzt allerdings wurde aus diesen Hunden eine Rasse namens „Africanis" kreiert. (The Veterinary Record, 14/10/2000, J.R.A.Butler, J. Bingham, Demography and dog-human relationships of the dog population in Zimbabwean communal lands).
Zukunftsaspekte
Was hat man in der Kynologie zu erwarten? Es sieht so aus, als stünde die eigentliche Domestikation erst bevor. Nach der erfolgreichen Analyse des Genoms, d.h. des Genbestandes des Haushundes, macht die immer rasantere Entwicklung der Molekulargenetik es nun möglich, die jeweils tatsächlich aktiven Gene in einem Hund oder einer Rasse – das „Phenom" – zu bestimmen. Man wird in absehbarer Zeit wissen, welche Gene für welche Eigenschaften zuständig sind. Damit wird es machbar, die Eigenschaften einer Rasse noch besser an unsere Wünsche anzupassen.
Freilich, so manches, was zur Hundenatur gehört, könnte dabei verloren gehen. Wird es bald Hunde geben, die nicht mehr bellen werden? Die sich nicht mehr in Unrat wälzen oder markieren? Werden alle Rassen „lammfromm" sein und keine Erziehungsschwierigkeiten machen? Wird es also keine ursprünglichen, natürlichen Hunde mehr geben? Viele, die die Vorteile des genetischen Studiums der Hunde begrüßen, werden antworten, dass auch der heutige Hund ja von uns nach unseren Bedürfnissen stark verändert wurde, also kein „reines Naturprodukt" sei. Und eine neue Zeit erfordere eben auch neue Maßstäbe für auf unsere geänderten Bedürfnisse angepasste Hunde. Wie auch immer man dazu stehen mag, ein kynologischer Umbruch scheint bevor zu stehen …