Aggression und ihre Vorzeichen

Von Sarah Kautz

Hilfe, mein Hund schnappt!

Sarah Kautz ist Hunde-Körpersprache-Expertin und Pferde­trainerin. Abgeleitet von Methoden aus dem Natural Horsemanship (Pferdetraining) hat sie ein Modell für die erfolgreiche Therapie von angstaggressiven Hunden entwickelt. Für WUFF erklärt sie, warum ein Hund überhaupt angstaggressiv wird, wie man vorbeugen kann und welche Erste-Hilfe-Maßnahmen bei Angstaggression von jedem Hundehalter einfach angewendet werden können!

Warum ist der Hund aggressiv? Um einen Hund erfolgreich therapieren zu können, ist es zuerst wichtig zu verstehen, warum der Hund aggressives Verhalten zeigt. Oftmals ist der Grund keineswegs Dominanz, sondern schlichtweg Angst. Grundsätzlich muss Angst nicht immer von schlechten Erfahrungen kommen. Auch zu wenig abwechslungsreiche Eindrücke und Erfahrungen in der ­Prägephase können, müssen aber nicht – zu einem unsicheren Verhalten führen.

Wie bei uns Menschen gibt es auch bei Hunden Charaktertypen, die von Natur aus eher introvertiert und schüchtern oder extrovertiert und selbstsicher sind. Wächst ein Hund z.B. ohne viele Eindrücke alleine auf dem Land auf oder sieht selten etwas Anderes als die Wohnung des Halters und kommt dann zu einer unternehmungslustigen Familie in die Großstadt, wird ein von Natur aus selbstbewusster, verspielter Hund versuchen, all die unbekannten Menschen zu begrüßen, neue Hundebekanntschaften zu schließen und sich über die viele Aufmerksamkeit freuen. Ein von Natur aus unsicherer Hund wird sich im Gegensatz sehr ängstlich zeigen. Ähnlich wie Kinder am ersten Schultag, wo einige nur so strahlen, endlich in die Schule gehen zu dürfen, und die ­anderen mit der neuen Umgebung noch nicht umgehen können.

Kommen bei einem von Natur aus schüchternen Hund nun auch noch entweder keine oder negative Umwelteindrücke hinzu, ist der „Super-Gau“ vorprogrammiert.

Aggressiv – was jetzt?
Ganz egal warum ein Hund jedoch unsicheres und aggressives Verhalten zeigt, müssen wir verstehen, was der Hund mit seiner Aggressivität bezweckt. Haben wir einen Hund, der sehr un­sicher gegenüber fremden Menschen ist und z.B. bei Besuch aggressiv reagiert, ist das in der Regel erlerntes Verhalten. Kein ängstlicher Hund der Welt ist auch von Anfang an aggressiv! Die meisten Besucher sind in der Regel keine Hunde­profis und kommen auch nicht mit der Absicht, den Hund etwas zu lehren. Jeder will natürlich den süßen Hund streicheln – die Anzeichen von Stress, Unsicherheit und Unbehagen werden so lange ignoriert bzw. oft einfach nicht gesehen und verstanden, bis der Hund einmal knurrt oder schnappt. Dann wird aus Reflex zurückgewichen und der Hund meist in Ruhe gelassen.

Was lernt der Hund also?
Der Hund weiß nun schon länger, dass Besucher immer ein unangenehmes, beängstigendes Gefühl erzeugen, in seine persönliche Zone kommen und er sich nicht entziehen kann – er ist ja sooo süß! Der Besucher kommt, löst in unserem unsicheren Hund Angst aus und geht wieder von ihm weg, während er noch in einem ängstlichen Zustand ist. Ein fremder Mensch wird nun für den Hund mit Angst verknüpft. Er probiert also im Laufe der Zeit diverse Möglichkeiten aus, wie er der beängstigenden Situation entfliehen kann. Weglaufen, beschwichtigen, sich auf den Rücken legen, unter dem Tisch verkriechen, mal ein bisschen die Zähne zeigen … und siehe da, der furchteinflößende Besucher weicht kurz zurück. Ein bisschen später wird wieder angefangen den Hund zu streicheln und alles beginnt von vorne. Der Hund probiert wieder etliche Strategien aus, um sich „der Belästigung“ zu entziehen. Irgendwann probiert er es wieder mit Zähne-zeigen. Funktioniert – die Menschenhand zuckt wieder weg.

Bald versteht der Hund „Ahhh, ­Knurren bzw. Zähne-zeigen ist die Lösung – das wollen die Menschen also von mir!“ Um das nächste Mal schneller zu seinem Ziel zu kommen, schnappt der Hund dann zusätzlich auch noch her und tatsächlich, der lästige Besucher kommt erst gar nicht mehr her. Irgendwann ist das Verhalten so gefestigt, dass ­alleine das Klingeln an der Türe in dem unsicheren Hund Angst auslöst. Der Hund weiß mittlerweile die Lösung, sich Menschen fernzuhalten: Bellen, ­Knurren, Schnappen, Beißen! Wird der Hund dann auch noch von seinen Haltern weggesperrt oder bestraft ohne ihm die Möglichkeit gegeben zu haben eine neue, alternative Strategie zu erlernen, versteht der Hund die Welt nicht mehr und auch der letzte Funken Vertrauen, den er zumindest in seine Halter hatte, erlischt.

Hunden helfen, neue Verknüpfungen zu schaffen
Der ängstliche Hund hat nun eine Strategie gefunden, sich Menschen vom Leib zu halten – Aggression. Allerdings hat er nie gelernt, seine Angst zu überwinden. Allein das Geräusch von einer Tür­glocke löst in ihm Angst und mittlerweile Aggression aus. Die meisten Menschen bitten nun Freunde oder Nachbarn, dem Hund Leckerlis zu füttern, um ihm die Angst zu nehmen. Grundsätzlich kein schlechter Ansatz, jedoch erst viel später im Training. Die meisten Besucher sind in der Regel keine Hundeexperten. Sie können daher weder die Körpersprache des Hundes deuten, noch richtig darauf reagieren. Wir müssen daher den Hund im Vorfeld so selbstsicher machen, dass er auch mit lieb gemeinten Fehlern der fremden Person zurechtkommt.

Hunde sind Experten darin, unsere Körpersprache zu lesen. Umso schwerer fällt es einem verängstigten Hund dann, wenn der Mensch aus seiner Sicht z.B. zu viel Druck macht, denn was das ungeschulte Auge oftmals gar nicht sieht, kann der Hund als ernsthafte Bedrohung deuten. Für die meisten angst­aggressiven Hunde bedeutet schon ein Klopfen an der Türe Stress pur. Fehler von einem fremden Menschen können sich in diesem Stadium des Trainings ohne professionelle Unterstützung ­gravierend auswirken.

Erste-Hilfe-Maßnahmen: Hundetraining mit Strategien, die jeder anwenden kann
Das Problem wird meistens als Symptom gesehen und daher auch nur das Symptom behandelt. Besonders der Laie muss daher viel weiter hinten ansetzen, um den Hund an einen fremden Menschen gewöhnen zu können und Fehler zu vermeiden! Um einen Hund zu desensibilisieren fangen wir mit einfachen Übungen an:

Mit 5 Schritten zum Erfolg
1. Je nach Ausmaß der Unsicherheit läuten oder klopfen Sie vor jeder Fütterung an der Tür. Erst nur kurz und leise, bis Sie ohne Probleme sturmläuten können. Der Hund verbindet irgendwann mit einem Läuten an der Türe Futter und nicht mehr Angst.

2. Wenn das gut funktioniert und der Hund beim Klingeln und Klopfen an der Tür wedelnd in die Küche läuft statt in Panik zu verfallen, können wir einen Schritt weiter gehen. Lassen Sie einen Nachbarn kurz etwas vorbeibringen. Ein Klingeln oder Klopfen, ein freundliches „Hallo“ einer fremden Person an der Tür und eine sich füllende Futterschüssel in der Küche. Der Hund hat zu Beginn also noch gar nichts mit der fremden Person zu tun.

3. Beginnen Sie parallel zum „Tür-­Training“ den Hund im Alltag zu desensibilisieren. Lassen Sie dafür den ganzen Tag über alle möglichen Gegenstände fallen. Schlüsselbund, Zeitung etc. Immer wenn ein Gegenstand runterfällt, wird der Hund mit einem Stück Wurst oder Ähnlichem belohnt.

4. Bieten Sie Ihrem Hund besonders in der intensiven Trainingszeit mehr Auslauf als gewöhnlich. Gehen Sie zusammen Radfahren, Joggen oder machen Sie gemeinsame Wanderungen. Durch Bewegung kann Ihr Hund Adrenalin abbauen und sich leichter entspannen. Außerdem wird die Bindung und das Vertrauen gestärkt.

5. Erst jetzt macht es Sinn, den Hund an Besucher zu gewöhnen, wo die Basis geschaffen ist. Bitten Sie nun den Besucher anzuläuten. Sie öffnen die Tür und der Besucher wirft Ihrem Hund ein Leckerli zu. Gerade wenn es für den Hund interessant wird und er sich einen Schritt annähern möchte, bitten Sie den Besuch wieder zu gehen. Erst jetzt, wo der Hund von sich aus Interesse zeigt, kann langsam mit dem Füttern aus der Hand begonnen werden! Fremde Menschen sind nun im Kopf Ihres Hundes nicht mehr ­unter „Gefahr“ abgespeichert, sondern unter einem Gefühl von positiver Erwartung.

Der beschriebene Weg zum stressfreien Besuch ist als Maßnahme für leichte Angstaggression und als Vorbeugung bei unsicheren Hunden gedacht. Bei fortgeschrittenem aggressiven Verhalten ist ein professionelles Training unerlässlich. Ziehen Sie daher bei schwerwiegenderen Fällen unbedingt einen Profi zu Rate.

Pdf zu diesem Artikel:  vorzeichen_aggression

 

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