Aggression gegenüber anderen Hunden

Von Liane Rauch und Thomas Riepe

Und wieder eine innovative Artikelserie für WUFF-Leser.
Hundetrainerin Liane Rauch und Hundepsychologe Thomas Riepe über das, was viele Hundehalter als die häufigsten „Verhaltens­probleme“ ihrer Hunde ansehen. Oft eher unerwünschtes hundliches Normalverhalten als echtes Verhaltensproblem, geben die beiden Hundeexperten und WUFF-Autoren konkrete Ratschläge für manchmal entnervte Hundehalter.
Jeder der Autoren aus ­seiner speziellen Sicht. Die jeweiligen Lösungsansätze aus der eigenen ­Praxisarbeit der Autoren sind mit ihren Namen gekennzeichnet.
In diesem dritten Teil der Serie geht es um das Problem der ­Aggression eines Hundes gegenüber anderen Hunden.

Liane Rauch: Es gibt unterschiedliche Arten von Aggression. Da ist zum einen die natürliche, jedem Beutegreifer angeborene Aggression gegenüber Beutetieren. Ja, auch das ist Aggression. Dann gibt es noch eine „Gruppen-Überlebensaggression“, wie ich das gerne nenne. Hierbei geht es um die Verteidigung von Ressourcen, Fortpflanzungspartnern oder Revieren, in der ein Rudel oder eine Hundegruppe lebt. Und dann ist da noch die „Verteidigungs- oder Angstaggression“, bei der es darum geht, einfach nur das eigene Leben zu bewahren.

Thomas Riepe:
Da kann ich nur zustimmen. Wir Menschen machen meist den Fehler, Aggression grundsätzlich als etwas „Böses“ anzusehen. Dabei ist die Aggression an sich ein  unabdingbar wichtiger Faktor im täglichen Kampf eines Lebewesens. Ob nun Beuteaggressionen oder Aggressionen im sozialen Kontext oder zur Verteidigung, sie sind Teil eines jeden Lebewesens, welches sein Überleben und das Über­leben seiner Art sichern möchte. Natürlich müssen Aggressionen der Situation und dem Kontext gegenüber angemessen sein, damit dadurch nicht das eigene Leben oder das der sozialen Gruppe gefährdet wird. Erst wenn soziale Aggres­sion nicht mehr „angemessen“ ist, muss man eingreifen.

Liane Rauch: Die Gründe für „asoziales Verhalten“, wie ich das persönlich bei unseren domestizierten Hunden eigentlich lieber nenne, sind unterschiedlich. Deshalb ist vor allem in so einem Fall eine gründliche und individuelle Anamnese, WARUM der Hund das tut, unendlich wichtig. Kein Hund wird aggressiv oder bösartig geboren. In Fällen von „asozialem Verhalten“ gegenüber anderen Hunden oder Menschen wird der Hund zu diesem Verhalten genötigt oder dazu erzogen. Auch unbewusstes Fehlverhalten vom Halter (z.B. der Halter hat Angst vor großen Hunden) kann bei manchen Individuen Auslöser für „asoziales Verhalten“ sein.

Aus der Praxisarbeit: Aggressive Leinenpöbelei
Luna, eine 2-jährige Berner Sennen-Mix-Hündin kam aufgrund immer schlimmer werdender, wirklich aggressiver Leinenpöbelei zu mir. Ihr Frauchen hatte eigentlich Angst vor großen Hunden und wich ihnen ständig aus, ließ überhaupt keinen Kontakt zu großen Hunden zu. Kleine Hunde oder andere Tiere waren überhaupt kein Problem, die wurden auch niemals „angemacht“. Die Angst von Frauchen hat sich durch die Leine wie über ein Kabel auf den Hund übertragen. Hier arbeite ich in diesem Fall so, dass die Halterin die Leine nicht mehr in der Hand hat, sondern sich diese quer über die Schultern legt. Sind die Hände erst mal von der Leine weg, kann sie nicht mehr ruckartig zerrend und ziehend auf den Hund einwirken. Die Halterin kann damit ihre Unruhe nicht mehr direkt an den Hund weiterleiten. Die Situation entspannt sich auf diese Weise sehr schnell. Dann wird die Halterin dazu angeleitet, in normalem Tempo am anderen Hund vorbei zu gehen, ohne diesen zu beachten oder anzuschauen. Ich lasse mir von den Haltern dann immer eine Geschichte vom letzten Urlaub erzählen, das entspannt zusätzlich. In den meisten Fällen können wir dieses Problem recht schnell beheben, vor allem bei so jungen Hunden wie Luna. Bei älteren Hunden, bei denen Leinenaggression vielleicht schon länger verfestigt ist, dauert es natürlich dementsprechend länger, und die Abstände zum anderen Hund sollten am Anfang des Trainings größer sein.

Auch durch meine Tierschutzarbeit sind mir hier die haarsträubendsten Fälle bekannt. Hunde, die bei sogenannten Züchtern isoliert in Kellern, Ställen oder Gartenhäusern gehalten wurden. Futterverteidigung und Kampf ums eigene Überleben sind an der Tagesordnung. Von Prägung auf ­Alltagssituationen oder andere Hunde nicht zu sprechen. Solche Hunde sind schlicht und einfach komplett überfordert, wenn sie in die große weite Welt entlassen werden. Mir begegneten Hunde, die einfach aus Angst nach dem Motto „Angriff ist die beste Verteidigung“ vorgehen.

Ursachenfindung
Thomas Riepe: Es ist absolut wichtig, dass Liane Rauch hier die Problematik der Gründe für Aggressionen gegenüber anderen Hunden anspricht, also das WARUM. Und diese Gründe sind tatsächlich unglaublich vielfältig. Es kann mit den von Liane Rauch geschilderten Fällen von schlechter Sozialisierung, schlechter Haltung und Prägung zu tun haben, dass ein Hund nie gelernt hat, mit anderen Hunden so umzugehen, dass Konfrontationen vermieden werden. Aber es gibt auch die anderen von Liane Rauch beschriebenen Gründe, die nicht unbedingt mit der Vergangenheit und Herkunft der Hunde in Verbindung zu bringen sind. Oft treten diese Probleme auch bei Hunden auf, die als Welpen in liebevolle Hände gekommen sind. Aber manchmal sind die Hände dann auch „zu liebevoll“, das heißt, der Hundebesitzer möchte dem Hund jeglichen Ärger ersparen und lässt kaum Kontakt zu Artgenossen zu, oder er wird selbst schnell nervös und hat Angst vor Begegnungen seines ­Hundes mit Artgenossen. Dann wird bei einer Hundebe­gegnung schon vor dem direkten Aufeinandertreffen auf den Hund eingeredet, er brauche ja keine Angst zu haben. Aber dieses nervöse Verhalten des Besitzers überträgt sich auf den Hund, und weil es meist auftritt, wenn man anderen Hunden begegnet, glaubt der Hund schlicht, dass andere Hunde „böse“ sind, und versucht das für ihn vermeintlich „Böse“ aggressiv anzugehen. Und, es gibt noch einen weiteren, überaus wichtigen Grund, warum Hunde gegenüber Artgenossen aggressiv sein können. Doch dazu werde ich mich weiter unten noch etwas genauer äußern. Zunächst sei es noch einmal festgehalten, dass unangemessene Aggressionen eines Hundes gegenüber Hunden immer einen Grund haben – und dieser Grund kann die absolut unterschiedlichsten Ursachen haben. Sie können wie erwähnt aufgrund schlechter Haltung und Erfahrungen entstanden sein, aber auch aus Gründen von falschem Verhalten der besorgten Hundehalter bei der Begegnung mit Hunden. Letztendlich bedeutet alles für den Hund aber, dass Artgenossen böse sind, und die Aggressionen entwickeln sich letztlich aus der Annahme des Hundes, dass dies die einzige Möglichkeit ist, um dem „bösen Feind“ zu entgehen.

Aus der Praxisarbeit: Einsatz der Inflationierungs­methode

Liane Rauch: Meine heute 9-jährige Colliehündin war so ein Fall. Eine Gewöhnung an Umweltreize wurde beim Züchter sträflich vernachlässigt. Die Hunde wurden isoliert gehalten, ein Leben im Haushalt und eine Sozialisation auf fremde Hunde fand nie statt. Als sie zu mir kam, kannte sie wenig bis nichts. Vor allem große, unkastrierte Rüden waren ein beträchtliches Problem. Da sie ja nicht grundsätzlich unverträglich war – kleine Hunde und Hündinnen waren in der Regel o.k. – konnte ich hier wieder gut mit der (in der vorigen WUFF-Ausgabe beschriebenen) Inflationierungsmethode arbeiten. Meine Hündin offenbarte in ihrem Abwehrverhalten ein ganz klares Schema. Positive, immer häufiger und enger werdende Kontakte zu Rüden zeigten bald ihre Wirkung. Heute kann sie mit manchem dieser früher so „furchtbaren“ Tiere sogar spielen. Nicht mit allen, so sind nach wie vor große, einfarbig schwarze Hunde für sie ein imaginäres Lebensrisiko. Doch damit können wir gut leben, denn ich weiß meine Hündin sehr gut einzuschätzen und nehme sie aus für in ihren Augen brenzligen Situationen sofort heraus.

Leider konnte ich asoziales Verhalten auch bei Hunden beobachten, die sogenannte „Welpenspiel- und Präge­gruppen“ besucht hatten, und dort mit dem leider noch häufig vorkommenden Spruch „Da muss der durch …“ , alleingelassen vom Halter, Mobbingopfer anderer geworden waren. Solche Welpen lernen von klein auf: Verteidigung ist die beste Methode ungeschoren davon zu kommen. ­Definitiv kein guter Start in ein soziales Leben!

Entscheidender Lösungsansatz
Thomas Riepe:
Bei Hunden, die – aus welchen Gründen auch immer – glauben, dass ein fremder Hund böse ist, besteht der Lösungsansatz darin, dass man diese Annahme ändert. Das heißt, dass man die Verknüpfung im Gehirn (fremder Hund = böse) mit einer anderen Verknüpfung „überlagert“, nämlich der, dass fremde Hunde toll sind.

1. Ruhig bleiben: Zunächst sollte der Hundehalter lernen, in den kritischen Situationen ruhig zu bleiben und nicht auf den Hund einzureden, ihn mit „AUS“ oder aber anderen, wenn auch beruhigend gemeinten Worten zu „bombardieren“. Ruhe und Souveränität des Besitzers sind die Voraussetzung für eine Verbesserung der Situation.

2. Hundebegegnungen positiv gestalten: Bei Hundebegegnungen darf nichts passieren, was den Hund in seiner Annahme bestätigt, dass fremde Hunde böse sind. Es gibt da unterschiedliche Möglichkeiten, den gewünschten Erfolg zu erzielen – manchmal reicht schon das ruhige Vorbeigehen, sodass der Hund lernt, dass ja gar nichts passiert. In anderen Fällen kann man den Hund gegebenen­falls mit für ihn sehr schönen Dingen konfrontieren, immer wenn ein anderer Hund auftaucht: Leckerchen oder Lieblingsspielzeug, welches immer dann auftaucht, wenn auch der fremde Hund auftaucht. So lernt unser Hund, dass ein fremder Hund für ihn Leckerchen oder Spielzeug bedeutet, d.h. fremder Hund = Super.

Leichter gesagt als getan …
Das hört sich leicht an, ist aber in der Umsetzung für viele Hundehalter unglaublich schwer, vor allem an der Ruhe und Souveränität mangelt es oft. Ich rate daher, diese positiven Verknüpfungen zum Überlagern negativer Erfahrungen unter Anleitung eines guten Hundeexperten durchzuführen. Warum? Aus dem Grund, weil es dabei sehr stark auf das richtige Timing und die gesamte korrekte Umsetzung ankommt. Passt das nicht, kann man auch vieles ­deutlich verschlimmern. Achten Sie aber bitte darauf, dass der Hundeexperte, den Sie sich zur Hilfe heranziehen, auch wirklich nur die Verknüpfungen wie vorher beschrieben positiv überlagert. Es gibt nämlich auch viele Hundetrainer und Verhaltensberater, die einen komplett anderen Weg beschreiten, die nicht nach der Ursache forschen, sondern die Symptome nur mit allen Mitteln unterdrücken wollen.

Aggression nicht mit Aggression begegnen
So gibt es zum Beispiel „Hundeflüsterer“, die Hunde, die sich gegenüber anderen Hunden aggressiv verhalten, ­brutal mit Leinenruck, Stachelhalsbändern, Würgehalsbändern oder „Umwerfen und Auf-den-Boden-drücken“, gefügig machen. Sie setzen diese Mittel dann ein, wenn der Hund sich anderen Hunden gegenüber aggressiv zeigt. Sie ­wollen damit erreichen, dass der Hund das Verhalten einstellt, weil er Angst vor der Züchtigung hat. Und das funktioniert sogar – weil der so „gebrochene“ Hund die Welt überhaupt nicht mehr versteht und in eine Art angstbedingter Lethargie verfällt und sich dadurch ruhig verhält. Das Problem, dass der Hund fremde Hunde als böse Gefahr ansieht, wird so aber noch verstärkt, die schlimmsten Annahmen werden verstärkt, und die schlechten, schmerzhaften Erfahrungen bei den Hundebegegnungen machen das Problem nur oberflächlich besser. Ergebnis sind Hunde, die ein ängstliches und lethargisches Leben führen müssen und bei denen sich die unterdrückten Ängste und Aggressionen unter Umständen in bösen Beißattacken entladen können – und dann nicht nur gegenüber Hunden …

Holen Sie sich also adäquate Hilfe bei dem Problem, ver­meiden Sie aber „Experten“, die der hündischen Aggressivi­tät mit menschlicher Aggressivität begegnen. Achten Sie daher besonders auf die vorher genannten Punkte.

Liane Rauch:
Zu meinem Bedauern gibt es auch heute noch Hundesportplätze, die mit Methoden arbeiten, die aus der Erziehungs-Steinzeit stammen. Da wird geruckt und gebrüllt, die Hunde an Stachelhalsbändern geführt und es werden eigentlich verbotene Erziehungshilfsmittel eingesetzt. Ich frage mich immer wieder, wie es Hundehalter geben kann, die dorthin gehen, wo Derartiges mit ihren Vierbeinern praktiziert wird. Wir sind hier eingerahmt von solchen sogenannten „Hundesportlern“, viele von ihnen organisiert im ältesten Hundesportverein Deutschlands.
Frei laufen oder mit anderen, fremden Hunden spielen ­können deren Hunde nicht. Und beim Spazierengehen ­treffen? Nein, diese Leute treffen wir nie.

Eigenbrötlerhunde

Und ja, es gibt auch die Hunde, die schlicht und einfach auf andere Hunde verzichten können. Eigenbrötler, Eremiten, sogenannte Ein-Mann-Hunde oder wie man sie auch immer nennen mag. Vor allem in der Klasse der Herdenschutz­hunde kommen solche Typen vor. In so einem Fall wird auch jahrelange Arbeit wenig bis nichts bringen. Hier liegt es in der Verantwortung des Halters, Unglück und Gefahr von Menschen und anderen Hunden abzuhalten. In der Regel aber sind Hunde sehr gesellige Tiere, welche die Gesellschaft anderer sehr genießen. Doch wie immer gilt: Aus­nahmen bestätigen die Regel.

Evolutionäres Thema Ressourcen
Thomas Riepe: Wie bereits weiter oben angesprochen, gibt es eine weitere Ursache für Aggression von Hunden gegenüber Artgenossen, die nicht in der Haltung und/oder der persönlichen Vergangenheit begründet ist. Das ist der Grund, dass das Lebewesen Hund einen Artgenossen grundsätzlich erst einmal kritisch beäugt. Seine Ursache hat dies in der Evolution dieser Tierart, für eine nähere Betrachtung fehlt hier allerdings der Platz. Es ist aber so, dass ein Artgenosse die gleichen Ressourcen wie Nahrung, Revier und Fortpflanzungspartner benötigt wie ich selbst. Darum sind Artgenossen eigentlich meine „größten Feinde“, weil sie mir diese existenziellen Ressourcen streitig machen. Dies muss man natürlich differenziert sehen, die Domestikation etc. berücksichtigen. Aber die Annahme, dass sich Hunde immer vertragen müssen, steht aus evolutionären und verhaltensbiologischen Gründen eher auf dünnem Fundament. Halten wir hier, natürlich keinesfalls ausreichend, aber zur Vereinfachung fest, dass fremde Artgenossen nicht automatisch als Freunde angesehen werden. Familienmitglieder, Gruppenmitglieder oder auch Hunde, die der Hund kennt, sind Teil seiner sozialen Umwelt, die aus diversen Gründen das Überleben sichert. Fremde dagegen wollen nur meine Ressourcen … Das ist das schlichte Grundprinzip, wenn hier auch, wie gesagt, nur vereinfacht dargestellt, um ein wenig Verständnis für das Hundeverhalten an sich aufzuzeigen.

Und last but not least sollte man an dieser Stelle darauf ­hinweisen, dass Hunde trotz Rassezugehörigkeit und Selektion auf bestimmte Merkmale immer noch Lebewesen sind, von denen jedes einzelne ein Individuum ist. Und es gibt nun einmal Hundeindividuen, die einfach keine anderen ­Hunde mögen, wie Liane Rauch schon angesprochen hat. Das ­müssen wir dann akzeptieren, unsere Gepflogenheiten ­darauf abstimmen und uns an die Situation anpassen – wenn es uns Menschen auch furchtbar schwer fällt, etwas einfach hinzunehmen und das Beste daraus zu machen.

Das könnte Sie auch interessieren: