Der Mensch kann denken, und das ist gut so, jedenfalls oft. Manchmal aber auch nicht, nämlich dann, wenn er sich etwas ausdenkt, weil man nie genau weiß, was dabei herauskommt. Und so ein sprießendes, üppiges Pudelfell in den verschiedensten Farben reizt zum Denken und wirft die Frage auf: „Was kann ich damit machen?" Und schon ist es passiert. Ein Jeder will den Anderen im Erfinden der abenteuerlichsten Pudelschuren übertreffen – ohne Rücksicht auf das „Opfer"!
Im Zeitalter der Elektrizität zaubert die Schermaschine aus einem wolligen Pudel in kürzester Zeit einen wunderschönen, gepflegten, charaktervollen Hund oder eine Lachnummer aus einem bösartigen Witzblatt. Das ist wie beim Heckenschneiden in Ziergärten vergangener Zeiten: Hier eine Kugel, da ein Bommel auf dem Po und dort ganz nackt.
Des Pudels Kern
Armer Pudel! Da bist Du aber gewaltig auf den Hund gekommen! Wenn man einige dieser lächerlichen Gestalten sieht, möchte man sie am liebsten in die Arme schließen und trösten, weil sich der Mensch an ihrer Würde vergangen hat! Nur wenige Menschen werden jemals verstehen, dass ein prächtiger Pudelrüde z.B. als „Winnetou mit Bommeln auf dem Po" (extremer „Puppy-Clip") schön sein soll! Wo ist hier des Pudels wahrer Kern geblieben? – Tröstlich, dass unter der äußeren Erscheinung ein echter Hund steckt!
Gott sei Dank setzt sich immer mehr die „Modeschur" durch, abgeleitet von der damals revolutionären Karakulschur des Hans Thum, bei der man sieht, welch herrlicher Hund ein Pudel sein kann, ob nun Großpudel oder Toy – in vielen natürlichen Farben vom Lackschwarz über das satte Schokoladenbraun, das helle Apricot, das strahlende Weiß bis zu den bunten Scheckungen. Dass der Fanatiker gelegentlich mit „Kunstfarbe" nachhilft, ist leider traurige Tatsache! Lesen Sie im Folgenden die – noch sehr gemäßigte – Abrechnung einer langjährigen Pudelhalterin mit dem übertriebenen Ausstellungswesen der Pudel, das bis zur Tierquälerei reicht! Eigentlich dürfte das alles laut Tierschutzgesetz gar nicht erlaubt sein, und doch findet es statt!
Jetzt reicht’s
von Ruth Mix
Seit über 40 Jahren ist der Pudel mein ständiger Begleiter auf allen meinen Wegen, in Freud und Leid. Immer war er da, lustig, aufmerksam, liebevoll und bescheiden, mit einem Wort: ein Schatz. In den 70er Jahren haben wir mit den Ausstellungen begonnen. Erst mir einem silbernen Zwergpudel und später mit dem ersten braunen Großpudel Brenda. Als ich aber merkte, dass Brenda Ausstellungen überhaupt nicht mochte, haben wir damit Schluss gemacht.
Doch dann kam Indra, ein wahrer Kobold. Aber wenn es zur Ausstellung ging, war sie ein ganz anderer Hund. Man sah ihr an, dass es ihr großen Spaß machte, sich im Ring zu zeigen. Und sie war auch von Anfang an sehr erfolgreich, obwohl Indra in der Modeschur und ohne Haarspray vorgestellt wurde. Und nun bin ich bei dem Thema, das mir so sehr am Herzen liegt:
Die Ausstellung
Der Ideenreichtum der Züchter ist unerschöpflich. Es fällt ihnen stets etwas Neues ein, den fröhlichen, aufgeweckten und liebenswerten Pudel lächerlich zu machen durch immer abartigere Schurvarianten. Besucher einer Ausstellung, die sich über Hunderassen informieren möchten, werden mit Sicherheit keinen Pudel wählen, nachdem sie das gesehen haben. Besonders junge Leute lehnen das ab, was ihnen da gezeigt wird. Es ist besonders schade, da ja erst durch die Modeschur der Pudel wieder interessant wurde. Und durch solche Ausstellungen wird alles wieder zerstört. Da brauchen sich die Züchter nicht zu beklagen, dass der Welpenkauf so sehr zurück geht, sie helfen ja fleißig mit, das Image das Pudels zu ruinieren.
Tierquälerei?
Außerdem frage ich mich oft, wo da die Tierliebe aufhört und die Tierquälerei anfängt. Oder ist das tiergerecht, wenn manche Pudel starr vor Haarspray 5-6 Stunden auf ihrem Tisch sitzen – oder liegen, wenn sie Glück haben? Aber ich habe es auch selbst gesehen, dass sie stundenlang auf dem Tisch stehen mussten. Und zu trinken gab es kaum etwas, damit sie nicht „raus" mussten, wo es vielleicht regnete oder ein Lüftchen die „Frisur" hätte beschädigen können! Nachdem Herrchen oder Frauchen dann ihren großen Auftritt hatten, wurden sie in den Käfig gesteckt. Das war's dann!
Wie schon erwähnt, gehe ich mit Indra auch zur Ausstellung, aber sie hat noch nie einen Käfig von innen gesehen. Auch wird sie nicht stundenlang gekämmt, geschnitten oder gar gesprayt, und sie ist trotzdem sehr erfolgreich.
Mit dem Haarspray ist das auch so eine Sache. Obwohl auf jeder Ausstellung auf großen Schildern darauf hingewiesen wird, dass das Benutzen von Spray verboten ist, wird ungeniert weiter damit gearbeitet. Und so lange das von den Richtern toleriert wird, ändert sich daran auch nichts. Erst auf einer einzigen nationalen Ausstellung habe ich erlebt, dass ein Richter diese gesprayten Pudel aus dem Ring geschickt hat. Leider haben nur wenige den Mut dazu! Zu Wenige. Auch ist es verwunderlich, dass es Richter nicht stört, dass bei dem „Continental Clip" das Hinterteil so kurz rasiert wird (Von geschoren kann man da leider nicht mehr reden!), dass sogar Hautverletzungen in Kauf genommen werden. Obwohl man so tut, als distanziere man sich von dieser Schur, werden diese Pudel leider meist von den Richtern bevorzugt. Ausstellungen könnten etwas Schönes sein, aber nicht so, wie sie sich in der letzten Zeit entwickelt haben: Zum Kuriositäten-Kabinett!
478
Vorheriger Artikel