Der Hund, unser „Umweltsensor“
Der tägliche Gassigang wird bei vielen Hundehaltern zum alltäglichen Trott. Maximilian Pisacane erzählt uns in seiner Kolumne, wie er mit seinem Doggen-Mix Rico den Gassigang zum Abenteuer macht. Der Hund als unser „Umweltsensor“? Eine interessante Betrachtungsweise …
Kaum aus der Tür raus, beginnt das Abenteuer: Gassigang! Ob nun bei entspannter Runde sich mal auf die Sinne des Hundes einlassen und so ganz Neues entdecken oder ob nun beim Guerilla-Gassi inklusive Streiterei mit Hundehaltern vom Typus Besserwisser. So oder so, immer wieder spannend und lustig für mich und meinen Doggen-Mix Rico.
Sogleich geht sein Kopf runter, pendelt hin und her. Seine Nasenflügel vibrieren, jedes Geruchsmolekül wird auf Quantenebene analysiert und abgespeichert. So zeigt er mir die erste Frühlingsblume ebenso wie die Hinterlassenschaften seiner Fellkollegen. Schafe und Kaninchen nehme ich dank des Dog-Radars nun viel eher wahr – ähnlich dem Spinnensinn von Spider-Man. Zuweilen findet er auch einen Schatz – manchmal den Hundeschatz Schafshaufen, manchmal den Menschenschatz verlorene Münzen, viel öfter aber menschliche und hündische Schätze in Form von Begegnungen. Die machen jeden Gassigang zu einem wahrlich lohnenden Abenteuer – Pfoten- und Lachattacken quasi garantiert.
Vieles entgeht mir denn auch, wenn Rico mal nicht dabei ist. So wie die einzelne Strumpfhose über der Ampel (was wohl aus der anderen geworden ist? Ob eine der beiden für einen maskierten Überfall genutzt wurde?) oder auch die ordentlich zusammengestellten Damenschuhe auf dem Bürgersteig (welche Frau setzt ihre Schuhe aus? Verlieren ist ja noch unwahrscheinlicher…). Ganz zu schweigen von den vielen Tieren: kein Eichhörnchen oder Hase entgeht mir – sei es (wenn ich Glück habe), dass ich ihn zuerst erspähe oder weil Rico ihn zuerst erschnüffelt (und ich das hoffentlich rechtzeitig an seiner Körperhaltung bemerke – der kleine Schuft vergewissert sich meist vorher, ob ich achtsam bin, bevor er losjagt). Auch die Ente auf dem Autodach oder so manches moderne Kunstwerk wäre mir wohl entgangen ohne die Spürnase meines Döggelchens. Ob ein neuer Hund in der Nachbarschaft ist, weiß ich oft schon, bevor ich ihn gesehen habe. Ebenso, ob die neue Bekanntschaft zu uns passt oder nicht. Denn mein kleines Döggelchen zeigt es mir durch seine Körpersprache an.
So ein Fellfreund erschließt einem eine wunderbare Welt. Im Team nehme ich viel mehr wahr, registriere Dinge, die mir ansonsten entgangen wären … Vom Misthaufen bis hin zur netten Bekanntschaft. Weil mein Hund mit anderen Sinnesprioritäten wahrnimmt und mir dieses wiederum signalisiert. Daher fühle ich mich irgendwie „amputiert“, wenn mein Doggen-Wookiee Rico nicht da ist (er spricht manchmal wie der Wookiee Chewbacca aus Star Wars – ich hätte mir wohl mit ihm als Welpe die Filme nicht anschauen sollen – naja, immer noch besser, als wenn er sich das Pfeifen von R2D2 zum Vorbild genommen hätte). Aber es ist nicht nur das Gefühl, als fehlte was. Nein, mehr noch, es ist als sei ich wahrlich „eingeschränkt“. Wie jemand, der die Welt nicht mehr zur Gänze wahrnimmt – so als sei man in eine abschirmende Watte gepackt, durch die Gerüche, Geräusche und andere Sinneswahrnehmungen nur noch gedämpft durchkommen.
Welch wunderbare Wesen doch diese Hunde sind, wie viel Energie sie darauf verwenden, uns – die oft irrationalen und inkonsequenten – felllosen Primaten zu verstehen. Und das über Artengrenzen hinweg. Wir Menschen schaffen das ja meist nicht einmal innerhalb der eigenen Art. Für mich ist es daher eine Form des Respektes, dass ich zumindest versuche, so viel Energie wie möglich darin zu stecken, meinen Hund zu verstehen. Und wenn man etwas versteht, dann wird es irgendwie auch zu einem Teil von einem selber …
Fast ist es so, als ob mein Hund wie ein biologischer Satellit ist, der mit exzentrischen Bahnen um mich kreist. Und dessen Sensoren mir viele Daten aus der Umwelt – SEINER Umwelt – liefern. Sie sind uns in so Vielem ähnlich, als soziale Tiere. Und ihre Wahrnehmung ist doch so anders, so komplementär zu unseren. Kein Wunder, dass viele Anthropologen und Prähistorkiker, die sich mit der Geschichte der Hunde beschäftigt haben, der Meinung sind, dass die Verbindung Hund-Mensch ein nahezu unschlagbares Team bildet. Und jeder Gassigang ist ja das moderne Pendant zu den Jagd-Streifzügen unserer Vorfahren, die vor Jahrzehntausenden Freundschaft mit Wölfen schlossen – und genau so ein Abenteuer.
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