Konsequente Inkonsequenz: Die beste Form der Hundeerziehung – Quo vadis Hundeerziehung? Zwischen Stachelhalsband und Wattebausch

Von Thomas Baumann

In WUFF-Ausgabe 5/2015 erschien der Artikel „Kontroverse – Zwischen Stachel­halsband und ­Wattebausch", in dem die ­Fallbeispiele zweier Hunde­führer gegenübergestellt wurden. In dem einen wurde der Hund absolut gewaltfrei geführt, in dem anderen Fall mit dem Einsatz von Starkzwangmethoden. Im Folgenden ein Leserbeitrag des erfahrenen und ­bekannten Hundetrainers Thomas ­Baumann zu diesem Thema.

Im Grunde genommen müssen wir seit Mitte des Jahres 2014 nicht mehr darüber diskutieren, welche Erziehungsform die höchste Lebensqualität verspricht. Das gilt für die Erziehung von Hunden und für die Erziehung von Kindern gleichermaßen, denn die übereinstimmenden Parallelen sind ja ohnehin schon lange bekannt. Verantwortlich für Erkenntnisse zum besten Erziehungsstil ist eine Studie des Universitätsklinikums Erlangen, durchgeführt von Carolin Donath. Dabei wurden 44.134 Kinder beziehungsweise Jugendliche in ganz Deutschland per Fragebogen kontaktiert und anschließend die Ergebnisse ausgewertet. Gegenstand der Studie waren die drei sehr unterschiedlichen Erziehungsstile autoritär, liberal und autoritativ.

Die autoritäre Erziehung ist besonders gekennzeichnet durch Kontrol­lieren, Beherrschen, Begrenzen, Regle­mentieren, Dominieren und damit auch Unterordnen.

Die liberale Erziehung (Fachbegriff permissiv) wird auch als antiautoritäre Erziehung bezeichnet. Sie ist im Gegensatz zur autoritären Erziehung durch weitgehenden Verzicht auf Zwänge und Unterordnung gekennzeichnet. Stattdessen ist sie geprägt durch Toleranz, Freizügigkeit, Liebe und Zuneigung.

Die autoritative Erziehung enthält sowohl die Elemente der autoritären als auch der liberalen Erziehung. Sie befindet sich sozusagen in der Mitte zwischen hart und weich.

Um herauszufinden, welcher Erziehungsstil die höchste Lebensqualität verspricht, wurde unter anderem eine sogenannte „Suizid-Rate" ermittelt. Das Ergebnis war recht eindeutig:

Kinder, die von ihren Eltern sehr liebevoll, aber auch mit starker Kontrolle und Regeln erzogen werden, haben als Jugendliche ein deutlich geringeres Risiko, sich selbst umzubringen. Weder eine einseitig durch Liebe, Fürsorge, Zuneigung und Toleranz geprägte Erziehung, noch eine durch ausschließlich autoritäre Handlungen gekennzeichnete Erziehung versprechen die höchste Lebensqualität bei Kindern. Kommt allerdings ­beides zusammen – ein hohes Maß an Autorität in Verbindung mit einem ­herzlichen und liebevollen Umgang –, dann wird das als autoritativer Erziehungsstil bezeichnet.

Zitat der Zeitschrift Fokus zu dieser Studie: "Erschreckende neun Prozent gaben an, bereits versucht zu haben, sich umzubringen. Bei der Auswertung der Fragen zeigte sich ein klarer Zusammenhang (Donath). In der Gruppe der sowohl kontrolliert, als auch liebevoll (autoritativ) erzogenen 15-Jährigen war das Risiko eines Suizidversuchs um ein Fünftel gesunken. Der autoritative Erziehungsstil – Regeln setzen, aber dabei Empathie und Zuneigung nicht vernachlässigen – beugt schweren, seelischen Krisen vor." 

Autoritativ bedeutet genau genommen, konsequent, klar und deutlich erzieherische Kontrolle auszuüben und gleichzeitig auch eine gefühlvolle Zuneigung, Liebe und Empathie aufzeigen. Da an dieser Stelle die Kinder­erziehung deutliche ­Parallelen zur Hundeerziehung aufweist, ­können sich alle Hundehalter und auch Hunde­trainer bestätigt sehen, die der ­traditionellen Hundeerziehung mit blanker Autorität genauso wenig abgewinnen können wie den modern gewordenen Wattebausch-Strategien, die sich ausdrücklich gegen ein erzieherisches Reglementieren und damit gegen Zwänge aussprechen.

Im Rahmen meiner langjährigen Arbeit, insbesondere mit schwierigen Hunden, treffe ich immer weniger auf rein autoritär erzogene Hunde und deren Menschen und zunehmend ­häufiger auf angeblich modern und liberal ­erzogene Vierbeiner.

Dass die so hoch gepriesene zwang­lose Hundeerziehung bei vielen Hunden als modernste Form der Tierquälerei angesehen werden muss, steht für mich außer Frage. Die rein zwanglose Hundeerziehung scheitert bei vielen Hunden an der natürlichen Hürde der Pubertät, in der sich viele junge Rüden und Hündinnen eine neue Welt erobern wollen. Dieses Bestreben steht unseren Vierbeinern auch absolut zu und muss durch uns Menschen umsichtig und souverän begleitet werden. Das zunehmende Erobern einer neuen Welt kollidiert jedoch immer wieder mit gesellschaftlichen Ansprüchen (unerzogene Hunde ­werden nun mal nicht toleriert), weshalb ein erzieherisches Koordinieren doch unausbleiblich ist. Wattebauschwerfer stoßen nun schnell an ­Grenzen, schimpfen aber gleichzeitig über die Anwendung von Gewalt in der ­Hundeerziehung. Dabei ist ihnen nur selten klar, dass Gewalt nicht gleich Gewalt ist.

Der Begriff der Gewalt und die Bewertung von Gewalt erfordert eine exakte Bewertung im sozialen Kontext. Gewalt wird, je nach Zusammenhang (Psychologie, Soziologie, Rechtswissenschaft), in unterschiedlicher Weise definiert und differenziert. "Als Gewalt werden soziale Zusammenhänge bezeichnet, in denen auf Menschen, Tiere oder Gegenstände beeinflussend, verändernd oder schädigend eingewirkt wird. Gemeint ist das Vermögen zur Durchführung einer Handlung, die den inneren oder wesentlichen Kern einer Angelegenheit oder Struktur (be)trifft (Wikipedia).    

Unter dieser Betrachtung wird in der Erziehung von Hunden die Beeinflussung und Veränderung von Verhaltensweisen durch korrigierende Zwänge unausbleiblich sein, um sowohl Verlässlichkeit als auch Kontrollierbarkeit des Familienhundes in ausreichender Weise gewährleisten zu können. In vielen gesellschaftlichen Bereichen steht der Begriff Gewalt in synonymem Zusammenhang mit dem Begriff Zwang. Die Konditionierung von erzieherisch erfolgreichen Basics ist bei vielen Familienhunden ohne die Anwendung beeinflussender Zwänge beziehungsweise Verhaltenskorrekturen deshalb häufig nicht möglich, weil über eine ausschließlich liberale Erziehung jedem Hund die letzte Entscheidungsfreiheit selbst überlassen bleibt. Das kann nun mal nicht immer gut gehen.

Die höchste Lebensqualität durch konsequente Inkonsequenz
Wenn nun, durch eine groß angelegte Studie belegt, die autoritative Hundeerziehung die höchste Lebensqualität verspricht, dann finden wir in dem angesprochenen WUFF-Artikel von Angelika Prinz sowohl ­autoritäre Wegweiser von Axel M. als auch ­permissive Vorgaben von Nadja B., die – im richtigen Verhältnis gemischt – zukunftsweisend im Hundewesen sein dürften.

Wer (noch) keinen Problemhund sein Eigen nennt, kann die Lebensqualität seines Vierbeiners dann sogar nochmals erhöhen, wenn er in der Lage ist, situativ und formal erzieherisch zuverlässig einwirken zu können. Dann darf er auch konsequent inkonsequent sein. Ein gutes Beispiel dazu: Wenn ein Hund aufdringlich und belästigend am Tisch bettelt, hat er nichts zu erwarten. Wenn er „brav" (diszipliniert, zurückhaltend) bettelt, bekommt er ab und zu auch etwas vom Tisch. So und nicht anders funktioniert Hunde­erziehung, die mit einer hohen Lebensqualität für Hund und Halter verbunden ist. Der Hund bekommt damit nicht konsequent „nichts vom Tisch", sondern kann durch erwünschtes Verhalten selbst dazu beitragen, sein Leben zu bereichern. Dieses Beispiel ist übrigens auf sehr viele alltägliche Situationen, zuhause und unterwegs, übertragbar.

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