Mensch-Hund-Bindung – Wie die Beziehung zum Menschen Hunde motiviert

Von Karin Joachim MA

Hund und Mensch leben seit Jahrtausenden zusammen. Nun ­verdichten sich immer mehr die Hinweise, dass die Mensch-Hund-Beziehung der von Eltern und Kindern ähnelt. Hunde lösen ­Probleme jedenfalls leichter, wenn ihre menschliche Bezugsperson dabei ist.

Welche Rolle eine gute Beziehung zum Menschen für das Wohl des Hundes und seine kognitiven Leistungen spielt, wurde gerade in zwei Studien ermittelt, die unter dem Titel „The Importance of the Secure Base Effect for Domestic Dogs“ zusammengefasst wurden. Die erste der Studien fand von Februar bis Juni 2010 mit 20 Hunden an der Eötvös Loránd University in Budapest statt („Experiment 1“). Die zweite von August 2012 bis März 2013 mit 26 Hunden im Clever Dog Lab in Wien („Experiment 2“). Getestet wurde die Motivation der Hunde, sich mit handelsüblichem interaktivem Futter­spielzeug zu beschäftigen, bei dem eine Futterbelohnung heraussprang. Bei „Experiment 1“ wurden je Hund drei verschiedene Situationen getestet: Der Besitzer war während der Beschäftigung mit dem futter­enthaltenden Spielzeug abwesend („Absent owner“) oder anwesend. Die Anwesenheit wurde einmal so ­gestaltet, dass der Besitzer ­seinen Hund mit Worten ­motivierte („Encouraging owner“). Ein andermal jedoch blieb dieser still und trug eine Brille, die es dem Hund nicht ermöglichte, dessen Augen zu sehen („Silent owner“). Was passierte? Die Hunde ­beschäftigten sich kürzer mit dem Spielzeug, wenn der vertraute Besitzer nicht anwesend war. Die Anwesenheit des Besitzers motivierte also den Hund, sich viel länger mit dem „Problem“, das Futter herauszubekommen, zu beschäftigen. Und das nicht nur, wenn der Vierbeiner bestärkt wurde, das zu tun, sondern sogar dann, wenn der Besitzer zwar im Raum war, aber nichts unternahm, um den Hund zu motivieren. Die reine Anwesenheit des Besitzers war es also, die die Hunde motivierte, sich konzentriert mit der gestellten Auf­gabe zu beschäftigen. Während dieses Experimentes fiel aber auch auf, dass sich die Hunde bei der Abwesenheit ihres Besitzers während des zweiten (von drei) Durchgängen näher beim Experimentator aufhielten, sie also bei diesem soziale Sicherheit zu suchen schienen.

In „Experiment 2“ wurden die einige Jahre zuvor festgestellten Ergebnisse bestätigt. Zusätzlich aber ­ergänzte man eine weitere Testsituation, ­nämlich einen fremden Menschen („Replaced owner“), der sich wie der „Silent owner“ verhielt, also ­passiv blieb. Wie verhielten sich die ­Hunde? Ihr Engagement ließ schneller nach als wenn der Besitzer dabei war und sie motivierte. Die Dauer der Beschäftigung mit dem Futterspielzeug bei der Anwesenheit des Fremden oder des stillen Besitzers unterschied sich statistisch gesehen dagegen nicht signifikant. Einen Grund hierfür sehen die Autoren der Studie in der unnatürlichen Situation, in der der Besitzer ja still blieb und eine die Augen verdunkelnde Brille trug, sie möglicherweise verunsichert waren. Die Hunde blieben allerdings eindeutig länger in der Nähe ihres stillen, unbeteiligten Besitzers als in der Nähe des Fremden.

Schlussfolgerungen der Studien
Hunde beschäftigen sich länger mit ihrem Spielzeug und sind motivierter, wenn ihr Besitzer dabei ist. Die Motivation war auch dann hoch, wenn der Besitzer sich gar nicht einbrachte, ­sondern einfach nur im Raum war. Dieses Verhalten zeigen auch kleine Kinder in ähnlichen Situationen. Hier testet man vor allem das Verhalten im Spiel. Für Kinder ist ein anwesender Elternteil ein sicherer Hafen, eine sichere Basis. In der Nähe von Mutter oder Vater wird die Umwelt wesentlich ausdauernder und mit größerer Begeisterung erkundet. Bei kleinen Kindern ist das eigentlich auch nicht weiter verwunderlich. Dieses Verhalten ist für das Überleben unverzichtbar. Im Grunde ist es bei unseren Hunden gar nicht so anders: Sie sind bis auf wenige Ausnahmen von der menschlichen Fürsorge abhängig. Menschen übernehmen also mehr oder weniger die Elternfunktion. Und das, obwohl sie nicht der gleichen Art angehören. Hier hat die lange Zeitspanne von der Domestikation der Hunde bis heute eindeutig ihre Spuren hinterlassen.

Hunde „fragen“ den Menschen
In früheren Studien wurde bereits herausgefunden, dass Hunde sich ungewöhnlich stark an ihrem Besitzer orientieren, wenn es darum geht, Probleme zu lösen. Kommen sie nämlich mit einer an sie gestellten Aufgabe nicht so gut klar, „bitten“ sie den Menschen regelrecht darum, dass er ihnen helfen möchte. Dann bellen oder kratzen sie schon einmal an dem Objekt herum und schauen den Hundehalter fragend, sogar fordernd an. Dieses Verhalten zeigen Hunde offensichtlich häufiger als es Wölfe tun, die sich insgesamt ausdauernder mit einer Problemlösung beschäftigen können. Zudem lernen Wölfe leichter von ihren Artgenossen als es Hunde tun. ­Letzere orientieren sich dagegen mehr am Menschen. Da Hunde wie Wölfe soziale Tiere sind, ist ihnen kooperatives Verhalten quasi mit in die Wiege gelegt, Kooperation ist die Basis ihres Sozialsystems. Im Laufe der Domestikation haben sie allerdings gelernt, mehr auf den Menschen zu achten. Er ist für sie der wichtigere Sozialpartner geworden. Man vermutet sogar, dass die Selektion auf Zahmheit und die damit verbundene geringe Aggression gegenüber Menschen Vorbedingung hierfür war („convergent evolution“; Hare/Tomasello). Indem Hunde dem Menschen Aufmerksamkeit schenken, haben sie auch gelernt, dass er ihnen hilft, ans Ziel zu kommen.

Wie gut ist die Beziehung?
Wir sprechen sehr häufig von einer guten oder auf der anderen Seite von einer weniger stabilen Beziehung des Hundes zu seinem ­Herrchen oder Frauchen. Aber wie lässt sich eigentlich die Qualität der ­Beziehung ­messen? Wir haben aus den Studien der Jahre 2010 und 2013 ­erfahren, dass die Anwesenheit seines ­Menschen dem Hund Sicherheit gibt und ihn befähigt, sich aus­dauernder mit einem Futterspielzeug zu beschäftigen. Woran liegt das?

Sehr junge Hunde sind in ihren ­ersten Lebenstagen und -wochen essentiell von der Mutter abhängig. Sie ­artikulieren schon früh ­infantile Unmuts­äußerungen und zeigen aktives ­Suchverhalten, wenn sie ihre Mutter nicht mehr fühlen und ­riechen können. Im Verlauf der juvenilen Entwicklung werden die Bande von Tag zu Tag ein wenig lockerer, was den Welpen ermöglicht, die Welt zu erkunden, immer noch aber in der Nähe der Mutter und der Wurfgeschwister. Es ist aber nicht nur der ­Löseprozess des Welpen von der Mutter und der Übergang in den menschlichen Haushalt, der den Hund dem Menschen so zugetan macht. Wir haben schon erfahren, dass Domestikation und jahrtausendelanges Leben in der menschlichen Gesellschaft Hunde verändert hat. Die Mensch-Hund-Beziehung ist eine Beziehung zwischen zwei Spezies, die sich über Jahrtausende entwickelt hat. Ohne den Menschen ist der Hund als solcher gar nicht denkbar.

Bindung und Art der Beziehung
In den aktuellen Studien kam auch der Aspekt der Trennungsangst zur Sprache. Bei Vortests wurde der Grad des trennungsbedingten Stresses ermittelt. Man fand heraus, dass die Dauer der Beschäftigung der Hunde mit dem Futterspielzeug in keinem Zusammenhang mit dem Grad der Trennungsangst stand. So konnte man verdeutlichen, dass das gezeigte Verhalten tatsächlich mit der Anwesenheit oder Nichtanwesenheit des Besitzers zusammenhing. Schon in früheren Studien zeigte sich, dass Hunde sich enger an den Menschen als an Artgenossen binden. Trennte man Hunde, die zuvor eng zusammengelebt hatten, so erhöhte sich ihr Stress nicht signifikant, solange sie in der ihnen bekannten Umgebung blieben. Brachte man einen der Hunde jedoch an einen anderen, ihm fremden Ort, so reduzierte sich sein Stress-Level erst, wenn seine Bezugsperson dazukam. Diese Studien machen also deutlich, wie eng Mensch und Hund zusammengehören. Allerdings sollten diese Erkenntnisse nicht darüber hinweg täuschen, dass es nicht nur auf eine irgendwie geartete Beziehung zwischen Mensch und Hund ankommt, sondern dass die Qualität der Beziehung ebenfalls großen Einfluss auf das Wohlergehen unserer Hunde hat.

Die Art der Beziehung zwischen Mensch und Hund kann mit der von kleinen Kindern zu ihrer Bezugsperson verglichen werden: Kinder mit einer sicheren Beziehung zu ihrer Bezugsperson geht es am besten. Bei uns Menschen ist eine sichere Beziehung dadurch charakterisiert, dass das Kind das Bewusstsein entwickelt hat, dass seine Bindungsperson für ihn da ist und nach einer kurzzeitigen Trennung immer wieder zurückkehrt. Hier wählt man gerne das Bild vom „sicheren Hafen“, ähnlich also dem der „sicheren Basis“ der Hundestudien.

Die Bindungsperson ist dadurch gekennzeichnet, dass sie einschätzen kann, was gut und was schlecht für das Kind ist, ohne es zu überbehüten und auf die Signale des Kindes eingeht. Damit wird diesen Kindern für das spätere Leben ein geeignetes Rüstzeug mitgegeben. Sie zeigen als ältere Kinder und Erwachsene ein ­passendes Sozialverhalten, sind kreativer, haben ein höheres Selbstwertgefühl und neigen weniger zu Depressionen.

Vieles davon lässt sich sicher auf die Mensch-Hund-Beziehung übertragen. Zum erfüllten Leben eines Hundes, dessen Bedürfnisse ­wahrgenommen werden, dem der Mensch in brenzligen Situationen beisteht und der ihn fördert und fordert gehört allerdings auch der Kontakt zu Artgenossen, nicht nur in den ersten ­Lebensmonaten. Auch das sollte nicht vergessen werden.

LITERATUR

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