WIE soll mein Hund lernen?– oder doch besser WAS?

Von Sabine Lagies

Da hat man nun ein neues vierbeiniges ­Familienmitglied und sofort stellt sich die ­Frage: Welche Hundeschule für meinen Hund? Welche Methode soll angewandt werden? Soll der Trainer umfangreich ausgebildet sein oder nicht, wenn ja, welche Ausbildung sollte er haben? Fragen über Fragen. Worüber erstaunlicherweise immer noch weitgehend Konsens herrscht, ist die Frage, WAS der Hund lernen soll. Bei der Frage, WIE er es lernen soll, scheiden sich die Geister. WUFF-Autorin Sabine Lagies geht­ ­diesem Thema auf den Grund und gibt praktische ­Ent­scheidungshilfen.

Dass über die Frage, WAS ein Hund lernen soll, immer noch oft – und nicht hinterfragt – Konsens besteht, ist hier bei uns im Diensthundewesen begründet, wie dies analog beim Menschen in den Ausbildungsmethoden in militärischen und paramilitärischen ­Organisationen der Fall ist: Der Hund – oder der Soldat – soll auf Kommando „funk­tionieren", immer und in allen Lebenslagen. Und vor allem soll er nichts alleine entscheiden. Und zur Not darf Gewalt eingesetzt werden, um das zu erreichen. Und tatsächlich, ­viele Gebrauchshunde werden immer noch so ausgebildet. Ob das wirklich (noch) in unsere Welt passt und ob das ­wirklich eine Eigenschaft ist, die ein Familienhund in der heutigen Zeit braucht, wollen wir im Folgenden ­herausfinden.

Gehorsam mit modernen Methoden
Doch sehen wir uns erst einmal an, wie der Gehorsam mit modernen Methoden erreicht werden soll: Da wird geklickert, belohnt und bestraft – auch mal mit einem Schlag. ­Dog-Dancing, Longieren (war das nicht was für Pferde?), Beschwichtigungssignale und vieles mehr – von der dafür nötigen Ausrüstung mal gar nicht zu reden – stürmen auf einen ein. Und sehr schnell fühlt man sich sehr hilflos. Denn zu allem Übel verteufelt noch die jeweils eine Erziehungsrichtung die anderen und auch die Ausrüstung muss eine ganz bestimmte sein, denn natürlich wird die Erziehung nur dann Erfolg haben, wenn auch Geschirr xy getragen wird, und nicht etwa – Gott behüte!

Und weil selten etwas sofort funk­tioniert, wird „gehoppt" – beim ­heimischen Fernseher würde man sagen, gezappt. Wenn das nicht gefällt, geht man zum nächsten. Und am Ende hat man nicht nur einen vollends verwirrten Hund, der – ­bestenfalls – merkwürdiges, aber nicht gefährliches Verhalten zeigt, sondern man fragt sich auch selbst, wie man da je durchblicken und das Richtige finden soll.

Um etwas Licht ins Dunkel zu bringen, ist es hilfreich, den Konsens, WAS der Hund lernen soll, zu hinterfragen. Da nicht alles mit jeder Methode gelernt werden kann, schauen wir uns die Sachlage näher an.

Wie lernt ein Hund eigentlich?
Die meisten Hundetrainingsmethoden basieren auf der behavioristischen Lerntheorie, die besagt, dass auf einen Reiz immer eine Reaktion folgt und diese Reiz-Reaktions-Muster auch von außen aktiv gesteuert werden können. Gearbeitet wird ­entweder mit Belohnung oder Strafe, das heißt, der Hund bekommt ein Kommando (= Reiz), zeigt eine Reaktion, und je nachdem, ob diese Reaktion erwünscht oder unerwünscht ist, folgen Lob oder Strafe (= Reaktion), um das Verhalten abrufbar und damit steuerbar zu machen. Dabei kann es anfangs durchaus so ein, dass der Hund spontan ein erwünschtes Verhalten zeigt. Bestätigt man das nun zeitnah (innerhalb von 2 Sekunden), so kann man es damit verstärken und abrufbar machen – zumindest nach einigen Übungseinheiten.

Das Prinzip ist hier dasselbe wie bei Dressuren im Zirkus: Der Mensch möchte, dass das Tier ein bestimmtes Verhalten zeigt, ob es nun durch einen Reifen springen oder Platz machen soll, er setzt dazu die operante Konditionierung ein, und irgendwann ist das Verhalten abrufbar, das Tier hat ein Kunststückchen gelernt. Wenn, ja wenn nicht irgendwelche anderen ­Reize höher bewertet werden. Das kann ein unbekannter Mensch sein, das können Geräusche sein, das können auch Hunger, Durst oder Müdigkeit sein. Dann wird das Kommando nicht befolgt, weil nach der Maslowschen Bedürfnispyramide einfach schlicht ein anderes Bedürfnis höherrangiger ist.

Maslow, ein amerikanischer ­Psychologe, fand heraus, nach welchen Gesetzmäßigkeiten welche Motive verhaltensbestimmend werden und dass es Bedürfnisse mit unterschiedlichen Rängen bzw. Wertigkeiten gibt, d.h. einige werden zuerst erfüllt, andere hintangestellt. So brauchen Menschen z.B. Luft und Wasser dringender als ein neues Auto. Ähnlich sind die Bedürfnisse auch bei Tieren organisiert – auch wenn ein Hund sich kaum je ein neues Auto kaufen wird. Dafür wird er aber, wenn er z.B. ein Galgo ist, jederzeit den davon stürmenden Hasen und damit sein Jagdbedürfnis an die oberste Stelle seiner Bedürfnisse stellen – und nicht etwa Herrchens Kommando „Sitz". Auch Leckerchen, Klicker oder Streicheleinheiten werden in diesem Moment schnöde verschmäht.

Und dann gibt es noch Eigenschaften und Verhaltensweisen unserer Hunde, die in unserer engen Welt unverzichtbar sind, mit Konditionierung aber so gut wie gar nicht erlernt werden können: Sich anfassen lassen, Toleranz gegenüber neuen oder überraschenden Ereignissen, Frustrationstoleranz, sozial angepasste Entscheidungen treffen können, einfach ein in sich ruhender Hund werden.

Thema Angst
Ein weiteres, ganz zentrales Thema in der Hundehaltung, dem mit Konditionierung auch kaum beizukommen ist, ist Angst. Die mit am häufigsten auftretenden Angstäußerungen von Hunden sind Knurren, Schnappen, ­Beißen. Und dieses Verhalten hat sowohl aus sicherheitsrelevanten Gründen, aber auch aus Tierschutzgründen eine große Bedeutung im Zusammenleben von Mensch und Hund. Ein Tier, das unter Dauerangst lebt, wird niemals sozial sicheres, berechenbares Verhalten zeigen, sondern potenziell ­gefährliche Übersprungshandlungen wie z.B. unmotiviertes Angriffsverhalten, was sehr schnell zum Tod des Tieres durch Einschläferung führt. Angstauslösende Dinge sind in erster Linie unbekannte Dinge, Überforderung, Reizüber­flutung, körperliche Bestrafungen. Auch hier erreicht man mit Konditionierung nichts, auch wenn man manche Angstsymptome für eine begrenzte Zeit unterdrücken kann, indem man selbst noch mehr Angst erzeugt und sofern der Hund einer leichtführigen Rasse angehört. In der Jagdgebrauchshundeausbildung ist das z.B. üblich: Die Angst vorm evtl. zubeißenden Wild ist kleiner als die vor der Strafe des Hundeführers.

Tägliches Lernen mitten im Leben
Wie beim Menschen auch, werden Selbstsicherheit, Toleranz gegenüber Reizen, Entscheidungen-treffen-­können, Frustrationstoleranz etc. in der ständigen Interaktion mit der Umwelt gelernt: 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr. Die Theorie dazu ist die Theorie des Sozialen Lernens. Diese Theorie besagt, dass bei JEDER Interaktion mit der Umwelt gelernt wird – ob man nun will oder nicht. Nimmt man dazu, dass der Hund – ähnlich wie der Mensch – mit einem sehr formbaren Gehirn auf die Welt kommt und dadurch in der Lage ist, sich an viele verschiedene Lebens­räume anzupassen, so wird klar, ­welche Verantwortung hier dem Menschen zukommt, der mit dem Hund zusammenlebt. Salopp bayrisch formuliert bringt es der Spruch „wie der Herr, so’s Gscherr" auf den Punkt.

Der Mensch und seine Art zu leben sind das Hauptlebensumfeld des Hundes. Der Mensch bestimmt, wie gelebt wird, welche Kontakte zur Außenwelt stattfinden, in welcher Form sie stattfinden, ob der Hund Freiräume hat oder nicht u.v.m. Jede dieser Erfahrungen verändert das Gehirn des Hundes und damit sein zukünftiges Verhalten. Dieses tägliche Lernen wiegt weit mehr als die Stunde Hundeschule in der Woche.

Der Hund lernt am wenigsten in der künstlichen, berechenbaren Umgebung des Hundeplatzes – zumindest was die so genannten „soft skills" angeht –, sondern er lernt rund um die Uhr, draußen, mitten im Leben.

Was soll der Hund lernen?
Geht man von der Prämisse aus, dass der Hund für das tägliche Leben lernt, soziale und persönliche ­Kompetenzen erwerben muss, zurechtkommen ­können muss in unserer engen, an Reizen übervollen Welt, merkt man schnell, dass „Sitz" und „Platz" dafür nicht ausreichen. Auch dann nicht, wenn sie punktgenau und form­vollendet ausgeführt werden.

Kein Mensch hat seine Aufmerksamkeit ein Hundeleben lang immer zu 100% am Hund, stets bereit, ein Kommando zu geben. Das ist sehr klar zu sehen am Fall des Diensthundes der Polizei Franken, der Ende 2012 im Beisein seiner Hundeführerin im Freilauf sechs spielende Kinder angefallen und so schwer mit Bissen in Bauch und Brust verletzt hat, dass die Kinder stationär behandelt werden mussten. Der Hund stand zwei Wochen vor seiner Abschlussprüfung als Diensthund im Polizeieinsatz und war ganz sicher in der Lage, Kommandos zu befolgen. Hier kann man sehr deutlich die Grenzen der Konditionierung und der nahezu hundertprozentigen Steuerbarkeit des Hundeverhaltens sehen. Steuert der Steuermann nicht, so zeigt der Hund ein Verhalten, das weit weg von hoher Reizschwelle und sozialer Kompetenz ist, da er schlicht nie gelernt hat, sich auch ohne Kommandos angepasst zu verhalten. Der Hund wurde von Gutachtern als nicht aggressiv eingestuft und ist es sicher auch nicht. Er war einfach – bildlich gesprochen – ein führerloses Schiff in ungewissen Gewässern.

Die eierlegende Wollmilchsau?
An diesem Punkt wird aber auch sehr schnell klar, dass wir von unseren Hunden in aller Regel Unmögliches erwarten: Sie sollen eine immens hohe Reizschwelle mitbringen und sich durch nichts aus der Ruhe bringen lassen, andererseits aber binnen Millisekunden für sie sinnlose Kommandos befolgen, die auch nur Reize sind.

Sie sollen sich sozial angepasst verhalten, selbst passende Entscheidungen treffen können – und werden im Gegenzug umgehend dafür gerügt, wenn sie es denn tun und etwa den Hundeführer beim zehnten „Platz"-Kommando in Folge fragend ansehen, etwa in dem Sinn „Wozu das Ganze", oder gar – Gipfel der Unverschämtheit – die elfte Ausführung ver­weigern.

Sie sollen Sozialkompetenz erwerben, dabei gestatten wir ihnen meist nicht mal freundliche Hundebegegnungen im Freilauf, geschweige eine kleine gepflegte Rangelei unter Rüden.

Keine Frage, es gibt einige wenige Kommandos, die jeder Hund – und das auch relativ zügig – befolgen sollte, „Komm" zum Beispiel. Aber im Gegenzug braucht der Hund auch die Freiheit, zu tun und zu lassen, was er für richtig hält, er braucht die Möglichkeit, Erfahrungen mit Menschen und Hunden jeglicher Couleur zu sammeln, ein Umfeld, das ihm diese Möglichkeit bietet und Besitzer, die die Souveränität und Kompetenz haben, ihrerseits an den Hund angepasst unerwünschtes Verhalten zu unterbinden, ohne den Hund zu zerstören. Und die ein unerschütterliches Vertrauen in ihren Hund haben, dass der kommt, wenn sie rufen – ohne dass sie sich dieser Tatsache im Sekundentakt versichern müssen. Denn gerade die Hunde, die die hohe Reizschwelle per Rasse mitbringen, sind in aller Regel auch die, die sich dafür ganz und gar nicht begeistern lassen.

Umdenken statt Methodenstreit
Viele Hundeschulen müssten also umdenken und anders unterrichten bzw. anderes unterrichten, anstatt sich im Methodenstreit zu verlieren. Reiner „Kadavergehorsam" wird unserer hoch komplexen Welt nicht gerecht und verlangt auch uns Menschen Unmögliches ab, nämliche absolute Aufmerksamkeit in jeder Sekunde des Tages. Hunde benötigen wie wir Menschen auch echte Sozialkompetenz, um in dieser Welt zurechtzukommen und andere nicht zu schädigen. Und die lernen weder Menschen- noch Hunde­kinder im Klassenzimmer (bzw. auf dem Hundeplatz). Und da es für Menschen wie Hunde bestimmte Zeitfenster gibt, müssten diese Überlegungen als erstes in die Welpentrainings einfließen, die grundlegend modifiziert werden müssten, damit aus den tapsigen Welpen umweltsichere, stabile, souveräne Begleithunde werden. Ein sicherer Begleiter ist erwachsen – und kein Kind. Aber die Chance, erwachsen zu werden, die müssen wir unseren Hunden geben!

Im Kasten über das ­Welpentraining für den umweltsicheren Hund ist – zunächst ohne über Methoden zu sprechen – eine Checkliste über wichtige Fragen angeführt, um die es für einen Welpenbesitzer gehen sollte. Was Ihr Hund am wenigsten braucht, wenn er ein alltagstauglicher Familienhund werden soll, ist eine Dressur zur Befolgung von Kommandos – egal ob mit Leckerchen, Klicker oder Strafe. Eine Mutter mit drei Kindern, einem anderthalbjährigen, das weint, weil es müde ist, einem Dreijährigen, der sich brüllend am Boden wälzt, weil er das Eis nicht bekommt, und einem Siebenjährigen, der grade Steine auf die Fahrbahn kickt, hat kein Auge und keinen Nerv mehr für den Familienhund, der auch mit von der Partie ist und jetzt bitte nicht über die Fahrbahn stürmen soll, um eine gepflegte kleine Rauferei mit Terrier Otto anzufangen. Diese Mutter will einen souveränen Begleiter, der Otto schlicht ­ignoriert – von allein. Und wenn er gut ist, den Dreijährigen ablenkt. Auch von allein. Hunde, die für andere Tiere oder Menschen eine potenzielle Gefahr darstellen, nur weil sie gerade nicht unter einem Kommando stehen, haben in unserer Welt, sowohl aus Tierschutz- als auch aus Menschenschutzgründen, keinen Platz. Wir sollten unseren Hunden die Chance geben, so werden zu können!

HINTERGRUND

Welpentraining für den umweltsicheren Hund

Folgende Punkte sollten idealer­weise auf dem Stundenplan des frisch gebackenen Welpenbesitzers stehen:

– Wie gewinne ich das Vertrauen meines Hundes?

– Wie werde ich zum „Leuchtturm" meines Hundes, an dem er sich gerne und freiwillig orientiert?

– Wie lernt der Hund, Frustrationen zu ertragen?

– Wie lernt der Hund, sozial angepasst seine Wünsche zu äußern?

– Wie gewinnt der Hund Sozial­kompetenz?

– Wie lernt der Hund, Regeln zu befolgen – jenseits von Sitz und Platz, sondern z. B. dass fremde Menschen nicht gezwickt werden dürfen?

– Wie lernt der Hund, sich anfassen und kämmen zu lassen, ohne dass Zwang angewendet werden muss, den er später nicht mehr dulden wird?

– Wie lernt der Hund, sozial ­adäquate Entscheidungen zu ­treffen, OHNE dass ein Mensch ihm ein Kommando gibt?

– Wie kann man dem Hund ­Frei­räume gewähren und welche ­Freiräume braucht der Hund?

– Wo sind die Grenzen der Er­ziehung?

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