Training mit Angsthunden – Weil Angst krank macht…

Von Sabina Pilguj

Lange war man in Hundehalterkreisen der Meinung, die Angst eines Hundes müsse man ignorieren, andernfalls man sie ­verstärkt. Nun zeigt sich, dass dies so pauschal nicht richtig ist. Im Gegenteil, bei manchen Formen von Angst sind die Zuwendung und das Sicherheit-Geben durch den Halter von großer ­Bedeutung. Sabina Pilguj über das Training mit Angsthunden – weil Angst krank macht! Außerdem: praktische Tipps für die Aktivierung von Stressreduktionszonen beim Hund.

Angst kann Hunde krank machen. Dies hat die Artikel­reihe „Angst und Furcht. Ur­sachen, Symptome und ­Therapie" von Sophie Strodtbeck (WUFF 12/2011 bis 2/2012) ausführlich dargestellt. Professionelle Unterstützung braucht der Hund dann, wenn die Angst zu einer Beeinträchtigung seiner Lebensqualität (und damit auch der seines Halters) führt. ­Vermuten Hunde überall eine drohende Gefahr, leben sie in einem permanenten Er­regungszustand. Sie sind stets bereit zu Kampf oder Flucht – eine hormonelle Dauerbelastung.

Aus der Perspektive des Hundes

„Das Schlimmste, was man einem Tier psychisch antun kann, ist, ihm Angst einzujagen. Angst ist für Tiere schlimmer als Schmerz" (Temple Grandin, Dozentin für Tierwissenschaften an der Colorado State University). ­Ängste (hier synonym für Furcht) können sehr vielseitig und vielschichtig sein. ­Temple ­Grandin beschreibt die ­Ängste der Tiere als ­„hyperspezifische ­Ängste", d. h. ­Tiere fürchten sich schon vor winzigen Details in ihrer Umgebung. Als ­Autistin, ­Psychologin und Tierwissen­schaftlerin sieht Grandin einen Zu­­sammenhang in der Wahrnehmung von Tieren und der von autistischen Menschen. Denn bei ­beiden Gruppen kann nichts Abstraktes wahrgenommen werden, sondern es werden ausschließlich Details wahrgenommen. Nicht-autistische Menschen sehen eher „das Ganze", also bspw. eher den Wald als die einzelnen Bäume. Grandin ist der Meinung, „Probleme mit ­Tieren lassen sich nur dann lösen, wenn man ihre Perspektive einnimmt, und zwar wortwörtlich". Diese Aussage hat mich für meine verhaltenstherapeutische Arbeit mit Hunden sehr inspiriert. Sie entspricht auch dem, was Marc Bekoff, emeritierter Professor der Ökologie und ­Evolutionsbiologie der Universität von Colorado in ­seinen WUFF-Beiträgen immer wieder betont (u.a. in Marc Bekoff, Gefühle und Empfindungsfähigkeit bei Tieren, in WUFF 2/2006).

Angst: Komplex und individuell

Es ist nun nicht so, dass Angsthunde generell Angst haben müssen. Meist gibt es einen oder mehrere indivi­duelle Angstauslöser. Ein Mops, der beispielsweise durch einen Treppensturz eine „Stufenangst" entwickelt hat, war ansonsten ein ­unerschrocken­es und munteres Schlitzohr. Sein einziges Problem war wirklich nur die Treppe, und dies konnte in einer Trainings­einheit aufgelöst werden. Die Stufen, die ihm eigentlich beim Sturz eine heftige Schmerzerfahrung zugefügt hatten, wurden dem Mops mit Leckerlies einfach „schmackhaft" gemacht und somit konnte die ursprüngliche Angsterfahrung gelöscht und dauerhaft neu, als positive Konditionierung, bewertet werden. Ohne Zögern läuft der Mops heute wieder auf der Treppe.

Ängste bei Hunden sind immer individuell zu betrachten, sie können sehr vielseitig und vielschichtig sein. Es gibt nichts, wovor ein Hund nicht eine Angst entwickeln könnte. Dies kann sogar ein blauer Himmel ohne Wolken sein.

Beginnt man mit einem unsicheren oder ängstlichen Hund an der Alltagssicherheit zu arbeiten, dann merkt man, wie viele Angstauslöser einem begegnen. Oftmals sind es Gegenstände, Geräusche, Bewegungsmuster oder Übungen, die von „normalen" Hunden mit Leichtigkeit ausgeführt werden. Für ängstliche Hunde kann manchmal schon eine kleine Übungseinheit zur großen Herausforderung werden. Wenn in extremen Fällen ­solche Hunde im Alltag in Panik ge­raten, wollen sie nur noch flüchten oder schmeißen sich auf den Boden.

Entspanntes Training

Bei der Arbeit mit Menschen konnte ich viele Erfahrungen sammeln, die sich auf Hunde übertragen lassen. Daraus habe ich die Methode „Dog Reläx®" entwickelt, einen ganzheit­lichen Ansatz, der zu einem entspannten Miteinander von Mensch und Hund verhelfen soll und besonders beim Training mit Angsthunden hilfreich sein kann. Stressreduktion, Entspannung, Kommunikation zwischen Hund und Halter, soziale Bindung und Wohlfühlmassagen spielen dabei eine wichtige Rolle. Gerade im Training mit Angsthunden – vorausgesetzt die Hunde lassen Berührungen zu – habe ich mit intensiver Körperarbeit und der Berührung spezieller Stressreduktionspunkte schnell positive Veränderungen erreichen können. Die dadurch bedingte Ausschüttung des „Wohlfühlhormons" Oxytocin (WUFF 12/2011, S. 18) – was übrigens nicht nur beim Hund, sondern auch beim Halter stattfindet – trägt dazu bei, den Hund aus seinem erhöhten Erregungungszustand oder seiner Anspannung herauszuholen. ­Entspannt lernt es sich leichter. Denn auf hohem Stresslevel ist erfolgreiches Lernen nicht möglich, wie psychologische Lerntheorien beweisen.

Einem Angsthund als Halter „beiseite" zu stehen, finde ich in einigen Situa­tionen sehr hilfreich. Angst sollte niemals pauschal ignoriert werden! Sophie Strodtbeck hat dies ausführlich und treffend in ihrem Angstartikel beschrieben (WUFF 12/2011, S. 18).

Amigo und die wilden Bullen

Hierzu ein konkretes Beispiel. Amigo, mein junger Podenco-Rüde, hat sich bei der unerwarteten Begegnung mit einer Herde junger, schwarzer Bullen so sehr erschrocken, dass er in Panik geriet. Die Bullen waren unerwartet auf uns zugestürmt, als sie uns erblickten, und ich selbst hatte ein mulmiges Gefühl, ob der Weidezaun sie auch wirklich stoppen würde. Er hat sie gestoppt …

Nun wollte ich Amigo helfen, diese Angst- und Schreckerfahrung aufzulösen, und ging mit dem verunsicherten, zitternden Hund ein paar Mal mit großem Abstand am Weidezaun vorbei. Amigo wollte am liebsten flüchten, doch gab ich ihm ein Gefühl von Sicherheit, und so ließ seine Panikreaktion merklich nach. Als er nun schon etwas vertrauter mit den „fremden Tieren" war, nahm ich meinen Hund – mit Abstand zu den schwarzen Rindern – in die Sitzposition und begann, ihm entsprechende Stressreduktionpunkte an Stirn und Ohren zu massieren. Sein Erregungszustand minimierte sich, das unsichere Kläffen verstummte und er blickte nun direkt zu den Rindern, die da am Zaun standen.

Seelisches Trauma beim Hund

Sehr viel heftiger als die „normale" Angst ist die sog. traumatische Angst. Ein Trauma kann durch eine an sich harmlose Situation entstehen, in der der Hund aber extreme Hilflosigkeit oder gar Todesangst erfährt. Durch dieses Erlebnis wird die normale Verarbeitungsfähigkeit des Gehirns außer Kraft gesetzt, es kommt zu einer ­völligen Reizüberflutung, was dann eben zu Todesangst und damit verbundenem panischen ­Verhalten ­führen kann. Kommt der Hund nach einer ­solchen traumatischen Erfahrung später in eine ähnliche ­Situation mit einem entsprechenden Auslöser ­(Trigger), fühlt er sich in die ursprünglich erlebte Situation zurückversetzt, weil die im Gehirn abgespeicherten Informationen wieder abgerufen werden. Dies wird als posttraumatische Belastungsstörung bezeichnet. Es kommt dann zu einem sog. „Flash-Back", d.h. einem Wieder­erleben der ursprünglich erfahrenen Situation. Das zeigt sich dann in einem impulsiven bis zu aggressiven (= Verteidigungsreaktion) oder vermeidenden (= Fluchtreaktion) und reflexhaft gelähmten Verhalten (Totstellreflex). Eine amerikanische Studie belegt, dass Hunde durch eine traumatische Erfahrung unter posttraumatischen Belastungsstörungen leiden können (Burghardt 2009).

Traumatherapie

Natürlich ist nicht jedes ängstliche Verhalten mit einem seelischen Trauma in Verbindung zu bringen. Zeigen sich aber Ängste und extreme Furcht, Verhaltensweisen, die sich von einem Moment zum anderen plötzlich ändern und verhaltenstherapeutisch nicht wirklich erklärt werden ­können, dann kann dies ein Hinweis auf eine traumatische Erfahrung sein. Diese Unterscheidung hat nämlich für die Therapie große Bedeutung. Denn wenn ein Hund eine traumatische Erfahrung im limbischen System gespeichert hat, dann ist ein Training im Bereich der Verhaltenstherapie wenig erfolgreich. Ängsten kann man beispielsweise mit einem Desensibili­sierungstraining (unbewusster Gewöhnungsvorgang, Emotionen und Reiz „abstumpfen" lassen") oder Konditionierung begegnen. Anders hingegen ist es bei Ängsten als Folge eines Traumas. Bei ­außergewöhnlichem Stress reagiert das Gehirn nicht mehr und verliert seine Fähigkeit, das Verhalten zu steuern. Es gewinnen dann die Reflexe und instinktive Verhaltens­weisen die Oberhand, weshalb es schwierig ist, mit einem traumatisierten Hund zu trainieren.

Im nächsten WUFF beschreibt ­Sabina Pilguj ausführlich ein konkretes ­Beispiel aus ihrer praktischen Arbeit. Anhand der vier ­Hauptproblembereiche eines Greyhounds (Extreme Angst vor ­Männern, Stöcken, Zweirädern und Artgenossen) werden Schritt für Schritt für jeden einzelnen Problembereich der Trainingsaufbau und die Ergebnisse vorgestellt.

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