Doktor auf vier Pfoten – Hunde als Diagnostiker

Von Sylke Schulte

Der Hund war immer schon mehr als nur ein Haustier für seine menschlichen Partner. Schon sehr früh wurden die Vierbeiner auch zur Arbeit eingesetzt und stellten ihre Dienste dem Menschen beim Jagen oder Hüten zur ­Verfügung. In den letzten ­Jahrzehnten haben sich die Felder, auf denen Arbeitshunde eingesetzt werden, um ein Vielfaches erweitert, heute sind die Fellnasen auf den verschiedensten Gebieten anzutreffen: Als ­Wachhunde, Therapie­hunde, Rettungshunde oder Spürhunde lassen sie ihre außergewöhnlichen Sinnesorgane für den Menschen arbeiten. Dass Hunde allerdings auch als ­Diagnostiker eingesetzt werden, ist noch wenig bekannt.

Hunde als Diagnostiker – ­dieser Trend lässt sich in der Humanmedizin zunehmend beobachten: Sogenannte Epilepsie- oder Diabeteswarnhunde warnen ihre Herrchen und Frauchen bereits erfolgreich vor dem nächsten Anfall oder vor einer Unterzuckerung.

Während Hunde in der ­traditionellen chinesischen Medizin bereits seit Jahrhunderten auch als ­Diagnostiker unterwegs sind, arbeiten Ärzte und Hundetrainer auch ­hierzulande vermehrt an einem weiteren ­Einsatzbereich für die ­Supernasen: Hunde sollen in Zukunft auch bei der Krebserkennung zur Diagnostik ­eingesetzt werden. Doch ­funktioniert das tierische Frühwarnsystem? Können Hunde tatsächlich Krebs und womöglich noch weitere Krankheiten erschnüffeln?

Prostatakrebs erfolgreich erschnuppert
Im letzten Jahr sorgte eine ­italienische Studie für Furore in der medizinischen Fachwelt. Wissenschaftler vom Humanitas Clinical and Research Centre in Mailand stellten die Fähigkeiten zweier Deutscher Schäferhunde namens Zoe und Liu, die bereits für das italienische Militär als Sprengstoff-Spürhunde gearbeitet hatten, auf die Probe (Taverna 2015). Beiden Hunden wurden insgesamt 902 Urinproben vorgestellt, 362 dieser Proben stammten von Männern, bei denen Prostatakrebs in verschiedenen Stadien diagnostiziert worden war, und 540 entstammten einer gesunden Kontrollgruppe. Die Ergebnisse der größten bisher durchgeführten Studie zur Krebserkennung mithilfe von Hunden waren verblüffend: Die diagnostische Genauigkeit der Hunde lag bei 98 Prozent, dabei erschnüffelten die Hunde sowohl Frühformen als auch fortgeschrittene Prostatakarzinome. Die wichtigsten Schlussfolgerungen der Studie fasst Studienleiter und Urologe Dr. Gianluigi Taverna folgendermaßen zusammen: „Krebs produziert offensichtlich einen bestimmten Geruch und Hunde sind in der Lage, diesen spezifischen Geruch praktisch immer wahrzunehmen. Es bleiben noch viele Fragen zu klären, zum Beispiel, was genau der Hund riecht und was genau diesen Geruch produziert." Trotz aller verbleibenden Fragen sieht Taverna großes Potenzial im Einsatz von Hunden in der Krebsdiagnostik: „Mit den heute gängigen Methoden zur Diagnostik von Prostata­krebs erreichen wir eine Genauigkeit von 30-35 Prozent. Mit den ­Hunden haben wir eine Genauig­keit von 98 Prozent und nur einen Bruchteil der Kosten."

Die Supernasen
Die italienische Studie ist nur ein Beispiel von vielen, das das Potenzial von Hundenasen in der humanmedizinischen Diagnostik auf die Probe stellt. Auch bei Studien mit anderen Schwerpunkten konnten die Vierbeiner Krebszellen mit einer Genauigkeit von nahezu 100 Prozent feststellen. So erreichten zwei Riesenschnauzer bei einer Studie zur Diagnostik von Ovarialkarzinom der Universität Göteborg (Schweden) eine Erfolgsquote von 99 Prozent (Horvath 2013). Das Geheimnis der vierbeinigen Doktoren liegt dabei in ihrem außergewöhnlich feinen Geruchssinn, durch den die Tiere auch extrem niedrige Konzentrationen von Krebszellen und Molekülen erkennen können. Je nach Rasse verfügen Hunde über etwa 220 Millionen Riechzellen – zum Vergleich: der Mensch verfügt über gerade einmal 30 Millionen – welche die Vierbeiner zu richtigen Supernasen machen. Das Potenzial, das sich daraus für den Menschen ergibt, wird schon seit längerer Zeit von Rettungs- und Suchmannschaften genutzt. Doch in der Medizin reagiert man noch zögerlich.

Für den Menschen ist das Riechen im Vergleich zu anderen Sinneswahrnehmungen eher zweitrangig, doch unsere Hunde nehmen die Welt zu einem beachtlichen Teil über die Nase wahr. Dem Riechorgan kommen dabei eine Vielzahl von wichtigen Funktionen zu: Es unterstützt bei der Suche nach bekömmlichem Futter, bei der Partnerwahl, beeinflusst das Verhalten im sozialen Verband und warnt nicht zuletzt vor Gefahren. Hunde sind in der Lage mit einer Frequenz von bis zu 300-mal in der Minute zu atmen, wodurch sie eine Vielzahl von Geruchsstoffen ­aufnehmen können. Man nimmt an, dass ungefähr zehn Prozent des Hundegehirns ausschließlich damit beschäftigt ist, ­Geruchsinformationen zu verarbeiten. Hunde können Ge­rüche nicht nur über eine Distanz von mehreren Kilometern wahr­nehmen, sondern auch „stereo" ­riechen – also zwischen links und rechts unterscheiden. Auf diese Weise kann ein Hund auch winzigste Spuren von Duftmolekülen wahrnehmen und identifizieren und diese „Daten" später wieder abrufen.

Krebsspürhunde in Deutschland
Krebskrankheiten rangieren hoch unter den Todesursachen in unserer modernen Gesellschaft. So sterben zum Beispiel jährlich 40.000 Menschen an Lungenkrebs. Dabei kann gerade in der Krebsdiagnostik eine Früherkennung Leben retten. Das Potenzial der vierbeinigen ­Fellnasen auf diesem Gebiet wird dabei ­leider immer noch nicht ausreichend gewürdigt, obwohl die Hunde eine kosteneffiziente und nicht-invasive Möglichkeit der Früherkennung ­bieten. Doch auch hierzulande haben sich Hundeexperten, Wissenschaftler und Ärzte bereits aufgemacht, Pionierarbeit zu leisten: Das Projekt Krebsspürhunde in Deutschland steht in den Start­löchern. Mit Hilfe von Kooperationspartnern und ehrenamtlichen Helfern hat sich Dr. Würfel von der Onkologie des Krankenhauses Martha Maria in Nürnberg eine Verbesserung der Früherkennungsmethoden von Lungenkrebs auf die Fahnen geschrieben, um so auf lange Sicht Leben retten zu können. Um reproduzierbare Ergebnisse zu bekommen, werden erstmals mehrere Hunde und ihre Halter zu Diagnoseteams ausgebildet. Dr. ­Würfel erklärt: „Zunächst stehen dabei Fragen im Vordergrund wie: Können die Hunde den Krebs überhaupt erkennen? Und wenn ja, mit welcher Treffsicherheit? Die Prophylaxe in der Lungenkrebsdiagnostik ist bis dato noch unzureichend und mit invasiven, teuren und teils riskanten Verfahren verbunden, eine Diagnose per Atemluft würde nicht nur viel Geld und Zeit sparen, sondern auch die Früherkennung optimieren." Das Ziel der Studie liegt nicht nur in der Verifizierung der Leistungen der Hundenasen, sondern langfristig auch in der Entwicklung von technischen Geräten, die es den Fellnasen gleich tun können. Zu diesem Zweck will die Firma Siemens in München auf Grundlage der Ergebnisse eine „elektronische Nase" entwickeln, die zur Prophylaxe und zur Früherkennung in der Lungenkrebsdiagnostik eingesetzt werden kann. Würfel: „Dies ist noch Zukunftsmusik, doch angesichts der rasanten technischen Entwicklungen auf dem medizinischen Sektor kann man sich durchaus vorstellen, dass die Geräte irgendwann in jeder Hausarztpraxis stehen könnten."

Die Ausbildung
Die Arbeit mit den Hunden innerhalb des Projekts übernimmt das Bayrische Rote Kreuz, genauer, der Kreisverband Südfranken unter der Leitung der Sozialpädagogin Heidi Ulm, die sich auf tiergestützte Therapien spezialisiert hat. Sie erklärt zur Auswahl der Hunde: „In der Regel eigenen sich eher Hunde, welche aus sogenannten Arbeitslinien stammen. Natürlich ist auch die Anatomie der Nase, also die Länge der Nase, von Vorteil, um gute Riechleistungen abzuliefern. Die Vierbeiner sollten 24 Monate alt und gesund sein. Für unser Projekt suchen wir gut sozialisierte Hunde mit einem soliden Grundgehorsam, da das wöchentlich stattfindende Training bis zu einem bestimmten Ausbildungsstand in der Gruppe stattfindet. Vorteilhaft – aber keine Voraussetzung – ist es sicherlich, wenn der Hund schon in irgendeiner Weise mit seiner Nase gearbeitet hat. Nicht außer acht lassen darf man die Beziehung, welche zwischen dem Halter und seiner Fellnase besteht. Eine hohe Motivation, der sogenannte „will to please" des Hundes, mit seinem Halter gemeinsam zu arbeiten, vereinfacht diese Arbeit natürlich."

Zur Auswahl der Hunde und auch der Menschen, die sich für die Studie eignen, wurden Castings durchgeführt. Nicht nur die Hunde mussten der Aufgabe gewachsen sein, auch Herrchen und Frauchen wurden sorgsam überprüft. Die Ausbildung der Hunde erfolgt über das Klickertraining. Während der Ausbildung werden die Hunde zunächst auf Ersatzstoffe konditioniert, da echte Proben sehr teuer und nur zeitlich begrenzt haltbar sind. Wie bei anderen ­„schnüffelnden Experten" lernen sie dabei, zum Beispiel durch Hinlegen, anzuzeigen, sobald sie einen gewissen Geruch wahrnehmen. Neben dem Training mit der Hundeschule müssen die Zweibeiner und ihre vierbeinigen Studienkollegen Hausaufgaben erfüllen und diese auch in Aufzeichnungen belegen.

Ulm: „Ein Trainingsdurchlauf dauert ca. zwei bis fünf Minuten. Diese Arbeit ist sehr anstrengend für die Hunde, da sie starke Konzentration fordert. Ausgleich bekommen die Hunde über Spiel, Gassigehen etc. Es sind ansonsten ganz normale Familienhunde!"

Im Gegensatz zu ähnlichen Studien sollen die Hunde bei der geplanten Versuchsreihe außerdem frei, also unangeleint, an den Proben schnüffeln können. Auf diese Weise wird eine Beeinflussung durch den Leinenführer ausgeschlossen.

Kritik & Grenzen
Das Potenzial der vierbeinigen Supernasen ist auch in der Medizin schon lange kein Geheimnis mehr, und so mag man sich fragen, warum Hunde nicht bereits seit längerer Zeit zum medizinischen Personal in unseren Onkologien gehören. Neben den vielen Zweifeln an der Zuverlässigkeit, die sich Hunde seitens alt eingesessener Mediziner gefallen lassen müssen, liegt der Hauptgrund im Aufwand, der mit einer solchen Untersuchung verbunden wäre. Allein die Masse der Proben, so die Argumentation, sei mittels der tierischen Kollegen nicht zu bewältigen. Zudem haben auch Hunde gute und schlechte Tage, und somit sehen viele Kritiker ein erhöhtes Risiko von Fehldiagnosen. Obwohl die gängigen Diagnosemittel häufig ­unzureichend sind und Hunde eventuelle Krebs­erkrankungen auch schon im Frühstadium erkennen können, begegnen die meisten Schulmediziner einer tierischen Diagnose immer noch mit großem Vorbehalt. Aus diesem Grund liegt das Ziel der­artiger Studien im In- und Ausland in der ultimativen Entwicklung einer „elektronischen Nase", die es mit den Hundenasen aufnehmen kann.

Doch diese Entwicklung wird noch einige Zeit auf sich warten lassen, da es alles andere als einfach ist, ein solch perfektes Organ wie die Hunde­nase in ihrer Vielschichtigkeit und Funktion zu kopieren. Vielerorts, wie zum Beispiel in den USA, will man deshalb nicht darauf warten, dass die Technik die Natur einholt, und so stehen vereinzelte ­Trainer und ihre Krebsspürhunde dort bereits nicht nur der Forschung, sondern auch betroffenen, kranken ­Menschen mit Rat und Nase ­helfend zur ­Seite. Würfel gibt aber zu bedenken: „Neben rein praktischen Gesichtspunkten, die gegen einen Einsatz von Hunden direkt im Krankenhaus sprechen, sollten auf jeden Fall zunächst Daten über jeden im ­Einsatz befindlichen Hund vorliegen. Ein derartiges Unterfangen braucht Zeit."

Kein Stress bei der Arbeit
Diese „Doktorspielchen" dürfen für die Hunde natürlich nie in Stress aus­arten, weshalb die Hunde immer genau beobachtet werden sollten. Die Konditionierung muss entsprechend immer über Belohnung erfolgen, und der Spaß am „Spiel" darf den Vierbeinern nicht verloren gehen – auch im Interesse der Patienten. Ruhepausen, Ausgleich und die konsequente Vermeidung von Überforderungen gehören deshalb zu jedem tierischen Arbeitseinsatz. Der Dienst am Menschen macht vielen Hunden sogar Spaß: Gerade „Spiele", bei denen ihre Nasen gefordert werden, stacheln Hunde oft zu Höchstleistungen an, und so ist, im Rahmen einer hundegerechten, ­spielerischen Ausbildung und vielen Pausen zwischen nur kurzen Arbeitseinsätzen, auch aus tierischer Sicht nichts gegen den Einsatz als Doktoren auf vier Pfoten einzuwenden.

WUFF-Information
Kontakte
Bewerbung für die Krebsspürhunde­staffel des BRK an: hunde@brk-suedfranken.de mit Angabe zu Alter, Rasse und Ausbildung des Hundes.
Der Onkologe Dr. Michael ­Würfel bittet um Atemproben von Lungenkrebspatienten:
Medizinisches Versorgungszentrum Martha Maria Nürnberg,
Tel. +49 911 9591800,
Uniklinikum Erlangen
(CCC-Krebsinformation),
Tel.: +49 800 8510085

Literatur
■ Gianluigi Taverna et al., ­Olfactory System of Highly Trained Dogs Detects ­Prostate ­Cancer in ­Urine Samples. J ­Urology 2015, 193:1382-1387 (http://dx.doi.org/10.1016/j.juro.2014.09.099hide)
■ G. Horvath et al., Cancer odor in the blood of ovarian cancer patients: a retrospective ­study of detection by dogs during treatment, 3 and 6 months afterward. BMC Cancer 2013; 13: 396 (http://www.biomedcentral.com/1471-2407/13/396)

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