Geburt einer neuen Rasse

Von Dr. Hans Räber

Im neuen schweizerischen Tierschutzgesetz wird der Bundesrat ermächtigt, das „Erzeugen und Halten von Tieren mit bestimmten Merkmalen, insbesondere Abnormitäten im Körperbau und Verhalten" zu verbieten, „wenn sie die Würde der Kreatur tangieren", steht dazu in einem Kommentar des zuständigen Bundesamtes.

Auf die Hundezucht bezogen, stehen zuoberst auf der Liste der zu verbietenden Rassen English Bulldog, Bouledogue Français, Pekingese und Nackthunde.

Es ist mit Sicherheit anzunehmen, dass gleich nach Inkrafttreten des Tierschutzgesetzes Tierschützer im Parlament den Bundesrat auffordern werden, von seinem Recht Gebrauch zu machen und die Zucht und Haltung einer Anzahl von Hunde-, Katzen-, Tauben-, Geflügel- und Ziervogelrassen zu verbieten, die in Körperbau und Verhalten wesentlich von der Normalform der Art abweichen. Der Schweizer Bundesrat wird dann bei Tierschutz und Tierärzteorganisationen, nicht aber bei den Kynologen, die als befangen gelten, Gutachten einholen.

Abkehr von falschen Zuchtzielen
In ihrem „Rasseporträt" über den English Bulldog (1993) setzt sich die bekannte Schweizer Bulldog-Züchterin Imelda Angehrn für die Zucht eines gesunden Bulldogs ein und fordert die Abkehr von falschen Zuchtzielen, ansonsten sei das Überleben der Rasse in der Schweiz in Frage gestellt. „An erster Stelle müssen die Gesundheit und ein gutes Wesen stehen", sagt sie und stellt einen Katalog der beanstandeten Merkmale des heutigen Bulldogs auf. Als Weg zu einer wesentlichen Verbesserung der gesundheitlichen Situation sieht sie die Rückzüchtung auf den ursprünglichen, leichten und beweglichen Typ. Konkret heißt das eine Reduktion der übertriebenen, rassetypischen Merkmale, die dem Hund ein artgerechtes Leben weitgehend unmöglich machen, auf ein tolerierbares Maß. Der Hund soll jedoch ein typischer Bulldog bleiben mit all den unbestritten guten Eigenschaften der Rasse. Dass es aber nicht möglich ist, hier „neuen Wein in alte Schläuche zu füllen", zeigte sich bald einmal.

Eigenschaften, die in generationenlanger, mehr oder weniger intensiver Inzucht aus einer Population verschwunden sind, kann man aus dieser Population nicht mehr zurückholen, weil die genetischen Voraussetzungen dazu verloren gegangen sind. Sie müssen durch die Einkreuzung verwandter, ähnlicher Typen hereingeholt werden.

Einige in Betracht kommende Rassen schieden nach reiflicher Überlegung aus verschiedenen Gründen aus. In Frage kam schließlich nur noch der Olde English Bulldog.

Olde English Bulldogs:
Breites Erbgut
1971 begann der amerikanische Bulldog-Züchter David Leavitt mit der Rekonstruktion des alten Bulldogs, eines Hundes mit mehr Bodenabstand, kleinerem Kopf, knappem Vorbiss und gerader Rute. Großen Wert legte Leavitt auf ein sozialverträgliches Wesen. Ein verbindlicher Standard bestand lange Zeit nicht, und so konnte sich vorerst kein einheitliches Rassebild durchsetzen. Doch gerade wegen der Uneinheitlichkeit ist bei den Olde English Bulldogs noch ein breit gefächertes Erbgut vorhanden, das züchterisch genutzt werden kann.

Im Juni 2000 erhielt Imelda Angehrn von der Schweizerischen Kynologischen Gesellschaft (SKG) die Bewilligung, versuchsweise English Bulldogs mit Olde English Bulldogs zu kreuzen. Als erste Zuchttiere setzte sie zwei Olde English Bulldog-Rüden und vier -Hündinnen ein, die sie mit English Bulldogs aus ihrer Zucht paarte.
Die Meinung war, innerhalb von drei Mischlingsgenerationen eine nachhaltige Verbesserung der gesundheitlichen Situation beim English Bulldog zu erreichen, ohne die Rasse stark zu verändern. Bald zeigte sich aber, dass dies nicht möglich ist.

Ein Hund ist als Ganzes zu betrachten. Änderungen eines Merkmals ziehen zwangsläufig Änderungen anderer Merkmale mit sich. Geburtsschwierigkeiten, Atembeschwerden, Kollapsanfälligkeit bei warmem Wetter, Korkenzieherruten zu eliminieren, all das war nicht möglich, ohne den Phänotyp der Rasse zu verändern. Das gesteckte Zuchtziel lief daher schlussendlich auf eine neue Rasse hinaus.

Neue Rasse mit altem Standard
Schon die ersten Mischlingswürfe waren ermutigend, und ein erfreulicher Nebeneffekt war die große Welpenzahl, offenbar hervor-gerufen durch einen Heterosisfaktor. Beim English Bulldog beträgt – gemäß den Eintragungen im Zuchtbuch – die durchschnittliche Zahl der aufgezogenen Welpen pro Wurf 3,0, bei den Mischlingswürfen dagegen sind es 5,7. Das ermöglicht eine strenge Auslese der zur Weiterzucht in Frage kommenden Hunde.

Im März 2004 wurden 70 Hunde durch zwei Richter begutachtet, 40 wurden zur Eintragung ins Anhangregister zum Schweizer Hundestammbuch (SHSB) empfohlen. Die Zuchtziele wurden in einem Standard festgeschrieben. Als Muster diente der gültige Standard für den English Bulldog. Alle Bestimmungen, die zu einer extremen Auslegung Anlass geben können, wurden gestrichen oder so umformuliert, dass Extremformen als Zucht ausschließende Fehler gelten. Der Standard wurde am 19.2.2005 vom Zentralvorstand der SKG gut geheißen, ebenso wurden Statuten und Zuchtreglement des am 5.12.2005 gegründeten Clubs für Continental Bulldogs genehmigt, der heute über 200 Mitglieder zählt.

Gute Zwischenbilanz
Der aktuelle Zuchtbestand stellt sich derzeit wie folgt dar: Ausgangstiere sind 10 English Bulldogs und 10 Olde English Bulldogs. Neu dazu kommen 2 Französische Bulldoggen und 1 Bullmastiff. Geplant sind für die nächsten zwei Jahre acht weitere Fremdeinkreuzungen, sodass bis Ende 2008 als Ausgangstiere 30 nicht miteinander verwandte Hunde vorhanden sind.

Zur Zeit sind 424 Hunde im Anhangregister zum SHSB eingetragen. In Bezug auf die gesundheitliche Situation der Bulldogs sind erfreuliche Fortschritte zu verzeichnen. Die Hunde leiden – auch bei heißem Wetter – kaum unter Atemproblemen. Dies bestätigen auch die Untersuchungen im Tierspital Zürich über den Atemwiderstand bei kurzköpfigen Hunderassen. Die „Continentals" unterscheiden sich im Gegensatz zu den English Bulldogs in dieser Hinsicht nicht wesentlich von Rassen mit normaler Schnauzenlänge.

Geburtsschwierigkeiten kommen nicht häufiger vor als bei normalschnauzigen Rassen, die Hündinnen der 2. und 3. Generation bringen ihre Welpen problemlos zur Welt. Auffallend ist, wie schon gesagt, die Zahl der lebend geborenen Welpen. Würfe mit 8 bis 10 Welpen sind keine Seltenheit. Weitgehend verschwunden sind Rutendefekte und damit auch Probleme der Wirbelsäule (Keilwirbel). Gaumenspalten sind bis jetzt nicht aufgetreten, ebenso wenig leiden die Hunde unter Hautfaltenentzündungen, Gaumensegelproblemen und Bewegungsstörungen.

Der „birnenförmige" Rumpf des English Bulldogs, eine Mitursache der Geburtsschwierigkeiten, tritt bei den „Continentals" der 3. Generation nicht mehr auf, die Hunde haben eine normale Schulter- und Beckenbreite. Sie weisen zudem eine normale Winkelung der Vorder- und Hintergliedmaßen auf, was wiederum ein raumgreifendes Gangwerk zur Folge hat.

Der Vorbiss ist weit weniger ausgeprägt als bei den English Bulldogs, angestrebt wird ein Abstand von höchsten 2 mm zwischen der oberen und der unteren Schneidezahnreihe. Alle Hunde sind hochläufiger, aber nicht schwerer als ein English Bulldog; die meisten sind noch etwas zu groß, erwünscht ist eine Widerristhöhe zwischen 40 und 46 cm.

Derzeit noch uneinheitlicher Phänotyp
Dass bei der heterogenen Herkunft der Ausgangstiere bis jetzt noch nicht durchwegs ein homogener Phänotyp vorhanden sein kann, ist verständlich, doch es zeigt sich, dass die Hunde der 3. Generation weit einheitlicher sind als die Hunde der l. Kreuzungsgeneration.

Die Zuchtvorschriften des Klubs sind sehr streng. Alle Hunde müssen vor der Zuchtverwendung von einem Tierarzt auf Herz- und Lungenprobleme untersucht werden, alle müssen auf HD und ED geröngt werden. Eine Datensammlung über die Todesursachen wird später Aufschluss über etwaige, genetisch bedingte Krankheiten geben. Jede Paarung muss von zwei erfahrenen Richtern und Züchtern in Anwendung eines speziell für die Rasse ausgearbeiteten Typisationscodes bewilligt werden. Das gibt einige Gewähr, dass anatomische Fehler bei Paarungen nicht kumuliert werden.

Alle Hunde haben ein freundliches Wesen, aggressive Hunde gibt es bis jetzt nicht, und sollten sie auftreten, werden sie zur Zucht gesperrt.

Wie soll es weitergehen?
Ein mittelgroßer, sozialverträglicher und gesunder Bulldog entspricht offensichtlich einem Bedürfnis vieler Hundefreunde. Bis heute haben jedenfalls alle Junghunde gute Plätze gefunden, und ihre Besitzer sind voll des Lobes. So schreibt z.B. einer: „Wir sind überrascht, wie gut Vando die Hitze verträgt. Wenn ich daran denke, wie unser Sumo (ein English Bulldog) darunter gelitten hat". Und ein anderer sagt: „Nixe ist der superste Hund, den wir jemals hatten. Sie klettert wie eine Bergziege".

Brachycephale (kurzköpfige) Hunde haben die Menschen seit jeher fasziniert. Vermutlich sehen wir im runden Kopf, dem platten Gesicht mit den nach vorne gerichteten runden Augen und dem vorstehenden Kinn bewusst oder unbewusst eine Ähnlichkeit mit dem menschlichen Gesicht. Offenbar spielt hier das Lorenz’sche „Kindchenschema" eine Rolle, das im Menschen Pflegeinstinkte auslöst.

Ziel der Züchterin und des Klubs ist die offizielle Anerkennung des Continental Bulldogs durch die FCI. Voraussetzung dazu ist ein Bestand von 1000 lebenden, in einem anerkannten Stammbuch registrierten Hunden. In acht getrennten Zuchtlinien müssen je zwei, nicht miteinander verwandte Rüden und sechs Hündinnen, die nicht Vollgeschwister sind, vorhanden sein. Die acht geforderten Zuchtlinien sind im Ansatz bereits vorhanden, bis sie komplett sind, brauchen wir, vorausgesetzt es treten keine gravierenden Probleme auf, schätzungsweise 6-7 Jahre.

Alle am Aufbau der Zucht Beteiligten, vorab die Initiantin Imelda Angehrn, arbeiten intensiv und mit großem zeitlichem und finanziellem Aufwand an der Erreichung des Ziels und hoffen, dass der Continental Bulldog seinen Platz unter der Vielfalt der Rassehunde finden wird.

WUFF HINTERGRUND

Es ist fünf vor zwölf!

Vorwort des Autors
In der Einleitung zu meinem Artikel über „Rassewandel und falsch gesetzte Zuchtziele", erschienen in WUFF 9/2006, bedauert die WUFF-Redaktion, dass die kynologischen Verbände die Zeichen der Zeit immer noch nicht erkannt und es unterlassen haben, energisch die Korrektur falsch gesetzter Zuchtziele in die Hand zu nehmen und damit das Feld den Politikern überlassen haben, die dann das Kind mit dem Bade ausschütten. An schönen Worten und Appellen an die Richter auf Hundeausstellungen hat es freilich nicht gefehlt, aber bewirkt haben sie bis heute nicht viel.

Nach wie vor stehen English Bulldogs mit Krüppelruten und übergroßen Köpfen auf Hundeausstellungen in den vordersten Rängen, Chow Chows, deren Augen von Hautwülsten verdeckt sind, heimsen Siegertitel ein, Afghanen und Yorkshire Terrier mit übertrieben langem Fell werden dem Publikum als „Best in Show" präsentiert und und und …, die Liste könnte verlängert werden.

Es ist fünf vor zwölf
Wenn wir verhindern wollen, dass alte und beliebte Rassen von einem Tag zum andern verboten werden, dann müssen wir glaubhaft beweisen können, dass wir bestrebt sind, gesunde Hunde zu züchten und Extremformen auf ein verantwortbares Maß zu reduzieren. Ein Beweis für ein solches Umdenken ist der Continental Bulldog.

Das könnte Sie auch interessieren: