Verschwundene Hunderassen

Von Ria Hörter

Im Alten Rom traten Bullenbeißer-Hunde in den Arenen auf, wo sie gegen Löwen, Bären, Elefanten und – daher der Name – Bullen kämpften. Diese Hunde kamen überwiegend aus Groß Britannien, das damals von den Römern besetzt war. Die römischen Eroberer lernten dort diese Hunde kennen, die noch tapferer zu sein schienen als ihre eigenen Hunde zu Hause – die Molosser. Römische Dokumente berichten enthusiastisch über diese englischen Fighting Dogs (Kampfhunde), die in der Lage wären, einem voll ausgewachsenen Bullen das Genick zu brechen. 1578 stellte der flämische Maler Jan van der Straet (1523-1605), besser bekannt unter dem Mode-Namen Giovanni Stradanus, bewaffnete Männer dar, die vom Pferd aus mit ihren Lanzen Bullen zu überwältigen versuchten. Auf diesem Stich sind auch sieben Hunde zu sehen, wie sie mit dem Bullen kämpfen, wobei der eine ihn schon in die Knie gezwungen hat. Das ist eine ziemlich blutrünstige Szene, die beweist, dass Bullenbeißer-Hunde (Bullbaiting Dogs) im 16. Jahrhundert in der Heimat des Malers, den Niederlanden, nicht unbekannt waren.

Bullenbeißer
Es gibt Berichte über Bullenbeißer im alten England. Schon unter der Herrschaft von King John (1199-1216) berichtete ein Schreiber von einem Kampf zweier Bullen um eine Kuh. Der Kampf fand in der Nähe von Stamford Castle statt. William, Earl of Warren, schrieb als Augenzeuge: „Plötzlich mischten sich einige große und kleine ‘Schlachter-Hunde’ (butcher’s dogs) in den Kampf der Bullen mit ein, und dann jagten sie einen der beiden Bullen durch die ganze Stadt.“ Der Earl war offensichtlich entzückt über die Verfolgungsjagd, denn er organisierte eine jährliche Bullenhetze mit anschließendem Kampf der Hunde gegen den Bullen sechs Wochen vor Weihnachten. Die örtlichen Schlachter stifteten den Bullen. Warum? Nun, als Gegenleistung durften ihre Kühe auf den Weiden um das Schloss des Grafen herum grasen.
Im Mittelalter benutzte man Hunde, um Rinder zu reizen. Ein Grund dafür war das Volksvergnügen, der andere ist in unseren Augen absolut lächerlich. Man glaubte, dass das Fleisch besser schmecken und zarter sein würde, wenn man kurz vor der Schlachtung die Rinder aufregte. Im Hinblick darauf hielten Schlachter große Hunde – eben die „Schlachter-Hunde“.

Blutrünstiger „Sport“
Der englische Maler Henry Thomas Alken (1785-1851) gravierte mehrere Stiche, die diese Art von „Sport’“ darstellten. Üblicherweise war der Bulle mit einem Strick oder einer Kette angebunden, manchmal sogar verstümmelt, um die Hunde so „blutrünstig“ wie möglich zu machen. Sogar der bekannte englische Maler Sir Edwin Landseer (1802-1873) konnte nicht widerstehen, Szenen mit Bullen und Bullenbeißer-Hunden zu zeichnen. Eine Zeichnung von 1821 zeigt einen Bullenkampf mit sogar sechs Hunden, wovon einer aufs Horn genommen wurde und durch die Luft geschleudert wird. Während solcher Kämpfe wurde der Bulle oft an seiner wunden Nase gepackt, und der Sieg war dann komplett, wenn der riesige Bulle zu Boden ging.

Bullenbeißer – bissig und bösartig?
Zurück zum europäischen Kontinent. In seinem Buch „Der vollkommene Teutsche Jäger“ aus dem Jahr 1719 gibt uns Hans von Flemming einen detaillierten Bericht über Bullenbeißen und Bullenbeißer-Hunde. Von Flemming schrieb über mittelgroße Hunde, deren Kopf kurz und breit sei, mit aufrechten Ohren und einem „doppelten“ Gebiss. Einen anderen Typ gäbe es in Brabant (Niederlande), etwas kleiner, doch genauso schwer gebaut wie die Danziger. Diese Hunde nannte man Brabanter Bullenbeißer. Bei einem Mangel an Bären bildete man die Hunde zum Kampf gegen Bullen aus, ein „Sport“ eher für Schlachter als für Jäger.

Offensichtlich hatte Hans von Flemming die Niederlande besucht, denn er berichtet, dass er in Brabant einen Bullen gesehen habe, der von Hunden attackiert wurde. Der Bulle hing an einer langen Kette und lief im Kreise, während die Hunde ihn an Nase und Hals gepackt hatten. Diese Hunde würden auch als Wachhunde verwendet, schon allein aufgrund ihrer ausgesprochenen Hässlichkeit. Meist hätten sie eine kurze Nase mit einer schwarzen Maske und vorstehendem Unterkiefer. Ihre Farbe sei meist gelb oder gestromt. Eine Zeichnung in von Flemmings Buch heißt „Niederländischer Bollbeißer“. In der (historischen) Hundeliteratur waren die beiden Begriffe „Bärbeißer“ und „Boll- oder Bullenbeißer“ austauschbar. Die Erklärung dafür ist einfach: Der Bullenbeißer wurde auch zur Jagd auf Bären oder Wildschweine eingesetzt.

Die Entstehung des Boxers
Die Europäer begriffen nach und nach, dass der so genannte „Sport“ mit kämpfenden Hunden inakzeptabel war. In England ist er seit 1835 per Gesetz verboten. In den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts wurden Bullenbeißer hauptsächlich als Wachhunde gehalten. Wurden diese Bullenbeißer nun ausgerottet, oder trugen sie zur Erschaffung heutiger Rassen bei? Obwohl der Danziger und auch der Brabanter Bullenbeißer ausgestorben sind, wird der Brabanter – der kleinere Typ – im Allgemeinen als Ausgangsbasis des heutigen Boxers angesehen. Bei der Züchtung des Boxers war es das Ziel, den alten Bullenbeißer-Typ zu erhalten und nicht zum Terrier- oder Bulldog-Typ abzudriften.

Eine großartige Fotografie aus dem Jahr 1896 zeigt eine Gruppe von Boxern in München. Die meisten von ihnen haben einen Kopf, der uns an den einer Englischen Bulldogge erinnert, und die Farbe ist weiß, was nicht überrascht, da die alte Englische Bulldogge zur Erschaffung des Boxers benutzt wurde. Wie dem auch sei, zwei Hunde rechts im Bild zeigen einen ausgesprochenen Bullenbeißer-Typ: dunkel, schwerfällig und breit mit einem schweren Bullenbeißer-Kopf. Die Hunde links im Bild zeigen den kleineren Typ, über den von Flemming in seinem Buch geschrieben hat. Dieses Bild vom Ende des 19. Jahrhunderts zeigt den Übergang vom alten Bullenbeißer zum modernen Boxer. In „Die Deutschen Hunde und Ihre Abstammung“ schrieb der berühmte deutsche Hundeliebhaber Richard Strebel mit einigem Bedauern über die Entscheidung, bei der Erschaffung des Boxers nicht den deutschen Namen „Bullenbeißer“ erhalten zu wollen. Statt des deutschen Namens wurde der englisch-klingende Name „Boxer“ gewählt.

Der Boerboel
Außer dem Boxer gibt es noch weitere Rassen, die von den Bullenbeißern abstammen. Eine von ihnen ist der Boerboel (das oe wird als u gesprochen), gezüchtet in Südafrika. Im Englischen bedeutet der Name, dass es der Bull Dog der Bauern ist. 1652 kam der holländische Siedler Jan van Riebeeck am Kap der Guten Hoffnung an – mit einem Bullenbeißer, den er allerdings nicht in Bullenkämpfen einsetzen wollte, sondern um seine Familie zu beschützen. Dieser Hund wurde als „Bullenbeißer vom Mastiff-Typ“ beschrieben. Und auch die englischen Kolonisten brachten ihre Wachhunde mit nach Südafrika. Es gilt als sicher, dass in der Zeit nach van Riebeeck und während des „Großen Trecks“ Bullenbeißer, Mastiff-Arten und Bulldoggen den Grundstock für den Südafrikanischen Boerboel bildeten. Viele Jahre später, um 1938, kreuzte man auch noch den Bullmastiff ein.
Der ‚Bollbeisser‘, ‚Bullebijter‘ oder ‘bullbaiting dog’ hat in weiten Teilen Europas eine lange Geschichte. Ursprünglich für die Jagd auf Großwild und für Bullenkämpfe gezüchtet, endete seine Karriere als Wachhund. Sein Typ ist immer noch in verschiedenen Rassen zu erkennen, aber sein Name – „Bullenbeißer“ – hat nicht überlebt.

Viejo Perro de Pelea Córdobes – Old fighting dog of Cordobés
Name, Herkunft und Aufgabe dieses Hundes werden sofort klar. „Córdoba“ allerdings bezieht sich nicht auf die spanische Stadt, sondern auf Córdoba in Argentinien, eine große Stadt und ein Bezirk nordwestlich von Buenos Aires. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren Hundekämpfe immer noch sehr populär in Lateinamerika. Es war eine Menge Wettgeld im Spiel, viel mehr als bei Hahnenkämpfen. Die Namen der Siegerhunde und ihrer Besitzer wurden stolz verkündet. Aus heutiger Sicht sind Hundekämpfe natürlich ein abzulehnender „Sport“, aber früher war das eine voll akzeptierte Volksbelustigung, besonders bei Bauern und Viehzüchtern. Hundekämpfe waren ein Erbe der spanischen Eroberer: die Ursprünge des Old fighting dog of Córdoba liegen im Spanischen Alano und in den Ahnen des heutigen Perro de Presa Mallorquin, welche die Spanischen Eroberer mit in ihr neues Land nahmen.

Im 19. Jahrhundert – während der zweiten Immigrationswelle – importierte man Bulldoggen, Terrier und Boxer nach Argentinien. Man nimmt allgemein an, dass der Old fighting dog of Córdoba allmählich durch absichtliche Kreuzungen aus den alten spanischen und den modernen europäischen Hunden entstanden ist.

Etwas zwischen Bulldogge und Mastiff
Ein „Fighting Dog“ muss bestimmte Eigenschaften haben:Durchhaltevermögen, den Willen, den Kampf zu gewinnen und – falls nötig – bis zum Tode zu kämpfen,sowie Schmerzunemp-flindlichkeit. Dank alter Fotografien und Beschreibungen ist uns die allgemeine Erscheinung des Vieja Perro de Pelea Cordobés (Old fighting dog of Córdoba) bekannt. Es war ein großer Mastiff-ähnlicher Hund unterschiedlichen Typs, normalerweise weiß oder weiß mit dunklen Flecken an Kopf und Körper. Oft wurden sie als „etwas zwischen Bulldogge und Mastiff“ beschrieben. Wie auch immer, der Córdoba war ein langsamer Hund mit einer ganz gewöhnlichen Nase. Abgesehen davon, dass sie aggressiv gegenüber Menschen waren, griffen die Rüden die Hündinnen bei der Paarung an. Zur Jagd waren sie nicht zu gebrauchen, da sie auf einander losgingen, anstatt die Beute zu jagen. Als man auch in diesem Teil der Welt zu dem Schluss kam, dass Hundekämpfe unzivilisiert sind, wurde der Córdoba zunehmend unpopulärer, und sein Untergang war nur noch eine Frage der Zeit.

Antonio & Augustin
In den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts arbeiteten der Hundeliebhaber Dr. Augustin Nores-Martinez und sein Bruder Antonio Nores-Martinez zusammen, um eine neue Rasse eines unerschrockenen Jagdhundes zu schaffen, den Dogo Argentino. Eines ihrer Ausgangsziele war, dass der Vieja Perro de Pelea Cordobés nicht aussterben sollte. Nach Martinez’ Philosophie musste der beste Teil dieses Hundes erhalten werden. Die neue Rasse sollte nicht einfach irgendein weiterer Hund sein, weil sie für die Jagd auf Wildschwein, Jaguar und Puma benutzt werden sollte. Dr. Martinez benötigte den starken und unerschrockenen Córdoba hauptsächlich wegen seinergroßen Ausdauer.. Er war nicht an der nutzlosen Aggressivität dieses Kampfhundes interessiert, aber andererseits konnte er seine Furchtlosigkeit gebrauchen. Indem sie den Córdoba, Boxer, Deutsche Doggen, den Bullterrier, Pointer, Spanische Mastiffs und einen Irish Wolfhound verwendeten, schufen die beiden Brüder Antonio und Augustin den Dogo Argentino. Man nimmt an, dass sie ihr Zuchtprogramm mit zehn Córdoba-Hündinnen begannen. Aber nach rund 30 Jahren des „Herumdokterns“ war der Einfluss des Córdoba auf ein akzeptierbares und nützliches Maß heruntergeschraubt.

Antonio wurde 1956 während einer Wildschweinjagd getötet, wahrscheinlich sogar ermordet. Sein Bruder Augustin, ein Rechtsanwalt, der Rektor der Universität von Buenos Aires und argentinischer Botschafter in Kanada wurde, züchtete weiterhin Dogos Argentinos, das Erbe des Vieja Perro de Pelea Cordobés.

Im nächsten WUFF geht es weiter mit einem Ahnen für einige heutige Terrier-Rassen, dem White English Terrier. Und dass Talbot nicht nur der Name einer ursprünglich englischen, später französischen Automarke ist, sondern auch der einer heute verschwundenen Hunderasse, erfahren Sie ebenfalls im nächsten WUFF.

WUFF LITERATUR

• Bèthencourt, M.M., El Presa Canario (Tenerife, n.d.)
• Fleig, Dr. D., Kampfhunde I (Mürlenbach, 1995)
• Flemming, Hans von, Der vollkommene Teutsche Jäger (1719)
• Hancock, Col David, The Mastiffs (Ducklington, 2002)
• Oliff, Douglas, The Ultimate Book of the Mastiff Breeds (Lydney, 1999)
• Rheenen, Jan van, De Boxer (Zutphen, 1962)
• Strebel, Richard, Die Deutschen Hunde und ihre Abstammung Band I (Mürlenbach, Reprint 1904/05)

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