Hund sein im Kinderhaushalt

Von Silke Richter

Hundelehrer haben sicher die am besten erzogenen Hunde, oder? Und Hundelehrer sind völlig relaxed, wenn zweibeiniger Nachwuchs ins Haus kommt, oder? Sie haben überhaupt alles im Griff, denn sie sind ja Hundelehrer, oder? Wie es im »vielbeinigen Haushalt« von Familie Kurz aussieht, lesen Sie in diesem kurzweiligen Artikel.

Rückblick: Ein ganz normaler Wochentag neigt sich dem Ende. Bevor bei Familie Kurz Ruhe einkehren kann, wartet auf Benny noch ein kleiner Spaziergang. Keine leichte Aufgabe an diesem Tag. Denn der Rüde differenziert und zeigt in dieser Situation sehr genau was er möchte: Keine Gassi-Runde mit seinem »Nebenbuhler«! Auch keine kurze. Nein, gar keine!

Jedenfalls nicht jetzt! Viel lieber würde der 13-jährige Rüde mit seinem Frauchen Zeit verbringen. Sein Protest spiegelt sich jetzt auch eindeutig in seiner Körperhaltung wider. Die Pfoten sind fest auf den Boden gepresst, Kopf und Nacken ziehen sich steif zurück.

Dann der plötzliche Sinneswandel als Maria Kurz nach Hause kommt. Plötzlich ist Bennys Welt wieder in Ordnung. Denn schließlich ist soeben die Liebe seines Lebens heimgekehrt. Das zeigt der Rüde auch mit seiner Körpersprache. In freudiger und glücklicher Erwartungshaltung ähnelt seine Rute einem rotierenden Propeller. Logisch, dass »Nebenbuhler« Torsten Kurz in dem Fall nur geringe Chancen bei dem Rüden hat. Der 51-jährige »Konkurrent« trat auch erst vor ein paar Jahren in das Leben von Maria und Benny, der bis dato »Einzelkind« war und sich den Alltag auch nur mit ihr allein teilen musste. Zudem bekam die kleine »Patchwork-Familie« mit den beiden Border Collie-Damen Cathy und Dörte vor ein paar Jahren weiteren (gewollten) Zuwachs. Die drei Hunde sind mittlerweile zu einem guten Team zusammengewachsen, das sich gegenseitig akzeptiert und arrangiert. Natürlich gibt es auch Zeiten, in denen erhöhter Diskussionsbedarf besteht, Streitereien untereinander provoziert und Grenzen ausgetestet werden. Klärungs- und »Redebedarf« haben dabei oftmals die beiden Hundedamen Cathy und Dörte, während Hunde-Opa Benny Alterstugenden wie Ruhe und Besonnenheit walten lässt. Wenngleich der Diskussionsbedarf unter weiblichen Rudelmitgliedern schon von Natur aus stärker ausgeprägt sei. »Deshalb kommen gegenteilige Geschlechter oftmals auch schneller zu einer Lösung oder können besser Kompromisse bei Problemen oder Auseinandersetzungen bilden. Das gilt für Menschen als auch für Hunde«, berichtet Torsten Kurz aus seinen beruflichen Erfahrungswerten.

Die männlichen Rudelmitglieder können sich hingegen gegenseitig oftmals, im wahrsten Sinne des Wortes, nicht riechen. Der Grund dafür sind wahrscheinlich Testosteron und andere männliche Hormone. Die Botenstoffe können unter den männlichen Rudelmitgliedern, bewusst oder unbewusst für Antisympathie und Konkurrenzdenken sorgen. Das erklärt auch, warum Hündinnen mit männlichen Haltern oftmals besser klarkommen, weil sie in ihren Herrchen potenzielle Paarpartner »riechen«. In der Beziehung zwischen Rüden und Frauchen sei es in vielen Fällen ähnlich zu beobachten, erklärt Torsten Kurz. Das würde auch erklären, warum sich die beiden Hündinnen Cathy und Dörte eher zu dem Hundelehrer hingezogen fühlen als zu Maria Kurz.
Auch das gehört zu den täglichen Herausforderungen, die von den beiden Hundelehrern gemeistert werden wollen. Jeden Tag aufs Neue. Das braucht nicht nur geschulte Beobachtungsgabe, sondern auch die Fähigkeit die vielfältige Körpersprache von Hunden lesen und verstehen zu können. Natürlich funktioniert auch bei Familie Kurz nicht immer alles 100-prozentig. Das muss und soll es aber auch nicht. Denn Hundelehrer sind auch nur Menschen.

Die wichtigste Grundvoraussetzung in Sachen Erziehung, Kommunikation und Alltagsbewältigung bringt das Ehepaar aber gemeinsam mit in die Beziehung ein. Und die heißt: Einigkeit. Die beste Basis, um das Familienglück mit einem Baby perfekt zu machen. Einen (frühen) Schwangerschaftstest hätte das Ehepaar eigentlich nicht gebraucht. Denn Hündin Cathy zeigt bereits nach vier Wochen ein typisches Verhaltensmuster: Die Border Collie-Dame stellt sich immer wieder schützend vor ihr ­Frauchen, schirmt die anderen Rudelmitglieder vor ihr ab und würde Maria Kurz gern als Schutzpatronin überallhin begleiten. Natürlich auch auf die Toilette. Versteht sich! Aber die werdende Mutter ist freilich nicht krank und kann auch zu diesem Zeitpunkt ganz gut allein auf sich aufpassen. Und das soll und muss Cathy zu diesem Zeitpunkt auch möglichst deutlich spüren, damit es im Rudel gar nicht erst zu einem ungewollten Rollentausch kommt.

Denn die beiden Hundelehrer sind sich ihrer Rolle als verantwortungsvolle »Elterntiere« bewusst. Sicherheit, Ruhe und Struktur wollen und müssen im Alltag dauerhaft und beständig vorgelebt werden, damit sowohl das Kind als auch die Hunde ein entspanntes und artgerechtes Familienleben im gemeinsamen Rudel führen können. Dazu gehört auch die bestmögliche Vorbereitung auf den neuen Erdenbürger und den bevorstehenden Alltag, der viele Änderungen mit sich bringen wird. Wie beispielsweise Babygeschrei. Dafür kommt zur Gewöhnung ein Handy mit aktivierter Geräuschkulisse im (leeren) Stubenwagen zum Einsatz. Das Ehepaar trägt nun auch gelegentlich eine Puppe auf dem Arm, um ihre Hunde auch mit diesem Bild vertraut zu machen. Schließlich soll das Baby nicht an eine »getragene Beute« erinnern.

Mittlerweile gehören auch Spaziergänge mit (leerem) Kinderwagen zum ganz normalen Alltag. Benny, Cathy und Dörte sollen sich schrittweise damit anfreunden, dass diese Situation völlig normal ist und der »Welpe« an der Spitze des Rudels geführt wird. Denn in der freien Natur würde es freilich anders zugehen. Hierbei sieht die normale Hierarchie vor, dass sich der Nachwuchs und kranke Tiere geschützt im Hintergrund aufhalten.

Das Baby ist da
Die lange Wartezeit auf das Baby hat endlich ein Ende. Die kleine Mathilda ist da. Die Familie besteht nun aus vier »Weibchen« (in der Überzahl) und »nur« zwei »Männchen«. Diese Konstellation und auch die neue Situation mit dem Baby sorgt im Alltag für gelegentlichen Diskussions- und Redebedarf. Mal von hundlicher Seite aus aber auch im zwischenmenschlichen Bereich. So wie es in jeder anderen normalen Familie mit Kleinkindern und Hunden auch vorkommt.

Es passiert in Situationen, wenn die Zeit einfach viel zu knapp ist, die Müdigkeit wegen viel zu kurzer Nächte einfach nicht verschwinden will und der Tag mit seinen 24 Stunden wieder mal viel zu kurz ist, um Familien- Berufs- und auch Eheleben entspannt unter einen Hut zu bekommen. Es sind jene Momentaufnahmen, in denen die Hunde verschiedene Situationen auch für sich ausnutzen wollen. Denn das ergibt völlig neue »Spielräume« im Rudel. »Freilich kommen die Hunde dabei zugegebenermaßen an manchen Tagen auch zu kurz. Dann muss bei uns einfach alles nur noch funktionieren«, meint Maria Kurz.

Dazu gehören auch alltägliche Bilder von größer werdenden Wäschebergen, Krümel auf dem Boden, eine Planwirtschaft, die am nächsten Tag wegen unvorhergesehener Dinge wieder völlig über den Haufen geworfen werden muss. Abdrücke von Kinderhänden an Fensterscheiben und Schränken und ein Fanclub auf vier Pfoten, der dem ranghöchsten Weibchen im Rudel namens Maria und ihrem Nachwuchs gern überallhin (!) folgen möchte. All das kann auch schon mal an den Nerven kratzen. Denn Hundelehrer sind eben auch nur Menschen, die in ihrer Rolle als »Elterntiere« vom Alltag eingeholt werden können und in solchen Situationen sehr dankbar dafür sind, dass es rührige Großeltern und verständnisvolle Kunden gibt.

Denn trotz Familienzuwachs und größerer Verantwortung haben Maria und Torsten Kurz nach wie vor einen sehr hohen Anspruch an sich selbst und an ihren Traumjob. Getragen von einer entscheidenden Philosophie, die auf gemeinsame Beziehungsarbeit und artgerechtes, individuell angepasstes Leben im Rudel zielt. Dazu gehören beispielsweise gemeinsame Aktivitäten in Form von Nasenarbeit, Apportieren, Fährtenlegen und Arbeit mit dem Futterbeutel, ganz ohne Belohnungshappen in Form von Leckerlis. Stattdessen setzen die Hundelehrer auf Teamarbeit. Als Hundeernährungsberaterin weiß Maria Kurz auch, wie wichtig eine artgerechte und gesunde Futterzusammenstellung ist. Und so investiert die 30-Jährige gern etwas mehr Zeit in der Küche, um für jeden der drei Hunde einen ganz individuellen Barf-Futterplan zusammenzustellen. Abgestimmt auf das jeweilige Alter, Geschlecht, Rasse, Gesundheitszustand, Aktivität und Charakter. Ein sehr hohes Aufgabenpensum, das sich das Ehepaar selbst auferlegt hat. Das muss man auf Dauer mögen und auch durchhalten können. Das erfordert nicht nur Mut, sondern auch die nötige Motivation und Konsequenz. Immer wieder aufs Neue. Denn selbständig bedeutet im besten Fall nicht nur selbst und ständig, sondern neben Kundenterminen und Kursangeboten auch weiter an sich selbst zu arbeiten und über den eigenen Tellerrand hinweg zu schauen, um neue Erfahrungen sammeln und sich weiterbilden zu können.

Seit über zwei Jahren verbringt die junge Mutter deshalb für ihre Ausbildung zur Hundeerziehungsberaterin jeden Monat mehrere Tage im Westerwald. Die Vorbereitungen und die Reise selbst gleichen einem organisatorischen Kraftakt, der bereits ein paar Tage vor der eigentlichen 600 Kilometer langen Autoreise beginnt. In der Regel wird sie von mindestens einem Hund begleitet, während der Rest der Familie zu Hause bleibt. Demzufolge braucht Maria Kurz nicht nur persönliche Utensilien und ihr Schulungsmaterial, sondern auch Medikamente, Barf-Futter, Decken, Boxen, Leinen, Geschirre und viele weitere Dinge. Am Reisetag selbst geht es in den frühen Morgenstunden mit dem Familienauto bereits auf große Fahrt, bevor die ersten Unterrichtsstunden am Nachmittag beginnen. Zu diesem Zeitpunkt hat, wie es jüngst der Fall war, der (übermüdete) Familienvater bereits die an einer Erkältung erkrankte Mathilda und auch die Border Collie-Hündin Cathy sowie den Hund seiner Schwiegereltern versorgt, behütet und beschäftigt. Es wird zukünftig noch viele, weitere sehr kurze Nächte im Leben der »Elterntiere« geben.

Und ja: Auch die Hunde »bauen gern weiter darauf auf«, testen ihre (neuen) Grenzen aus und können den sonst so gut strukturierten und vorgeplanten Alltag von Familie Kurz schon mal kurzzeitig aushebeln. Freilich nicht so schlimm wie in dem bezaubernden Fernsehfilm »Marley und ich«, in dem der Familienhund zwar sehr viel Liebe aber so gut wie keine Erziehung genossen hat.
Aber Hundelehrer sind eben auch nur Menschen. Und so weiß Hündin Cathy unbeobachtete Momente sehr gut für sich auszunutzen, um still und heimlich ihren Liegeplatz zu verlassen. Schließlich ist Frauchen, die sonst mit aufpassen würde, ja nicht zu Hause. Während der Familienvater mit der kleinen ­Mathilda beschäftigt ist, gestaltet Cathy sich die Welt so wie es ihr gerade gefällt. So lange bis die Windeln gewechselt sind und Torsten Kurz erzieherisch wieder eingreifen kann. Erst dann kehrt wieder Ordnung und Ruhe in das Familienleben ein. Wenn das Rudel nach den Weiterbildungswochenenden wieder vereint ist, gehört natürlich auch ein Begrüßungsritual dazu. Zuerst werden der Familienvater und Töchterchen Mathilda begrüßt und erst zu guter Letzt die zu Hause gebliebenen Hunde.

Aber Obacht ist auch hier geboten: Haben doch die beiden Hündinnen Cathy und Dörte trotz aller Wiedersehensfreude ganz besonders in diesen Momenten (wieder) erhöhten »Redebedarf«. Nun gilt es gezielt die negative Spannung aus der Situation zu nehmen damit es gar nicht erst zu einer Eskalation kommt.

Auch für den Rüden Benny können Reisetage wie diese sehr anstrengend sein. Meist braucht der Labrador dann ein paar Tage in seiner Heimat, um sich wieder erholen und akklimatisieren zu können. »Ein gewisser Stress lässt sich auch bei uns nicht vermeiden. Das merken natürlich auch die Hunde«, so Torsten Kurz.

Am nächsten Morgen beginnt dann wieder der ganz normale Wahnsinn des Tages. Mit all seinen Höhen und Tiefen inklusive vollen Windeln, Babygeschrei, Grenzüberschreitungen, ein bisschen Chaos, Diskussionen, Meinungsverschiedenheiten und ganz viel Menschlichkeit. Denn Hundelehrer sind eben auch nur Menschen …

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