Osteoarthritis – Das kanine Volksleiden

Von Regina Röttgen

Immer mehr Hunde leiden unter Arthrose, auch Osteoarthritis genannt. Damit einher gehen meist unsagbare Schmerzen und entsprechend starke Schmerzmittel. Beides muss nicht sein, meint eine englische Klinik, die sich ausschließlich um Osteoarthritis-Patienten kümmert.

Als Teagan nachts immer öfter unruhig ihre Position wechselte, entschloss sich ihre Halterin, etwas zu unternehmen. Seit langem schon mochte die Irish Setter Dame nicht mehr gerne angefasst werden, was unter anderem ihre Fellpflege erschwerte. Mit ihren zehn Jahren schien die Hündin mittlerweile sogar depressiv. Die vom Tierarzt verschriebenen Schmerzmittel reichten einfach nicht mehr aus, so dass ihre Halterin kurz vor dem Entschluss stand, Teagan einschläfern zu lassen. In einem letzten Versuch wandte sie sich an Tierärztin Hannah Capon. Die Diagnose: Osteoarthritis in der Schulter, Dysplasie in beiden Hüften.

Fälle wie Teagan gibt es oft. »Rund 80 Prozent aller Hunde, die älter als acht Jahre sind, haben in einem oder mehreren Gelenken Arthrose«, sagt Hannah Capon. Während ihrer 16 Jahre Erfahrung als Tierärztin mit Fachgebiet Chirurgie wurde Capon unzählige Male Zeugin des Wunsches, einen Hund aufgrund von Arthrose einschläfern zu lassen. »Die Krankheit schreitet leider immer weiter fort und ist unheilbar.« Mit Fortschreiten der Arthrose verschlimmern sich in der Regel auch die Schmerzen. Das Gefühl, trotzdem noch etwas für diese Vierbeiner tun zu können, ließ Capon vor drei Jahren CAM »Canine Arthritis Management« gründen. »Viele Hundehalter merken nicht, dass ihr Tier Schmerzen hat und wenn, dann wissen sie nicht, wie sie ihrem Hund helfen können.« Durch CAM hilft sie Tierhaltern und Tierärzten online, das Leben mit Arthrose zu meistern. Die britischen Ceva Animal Welfare Awards zeichneten sie dafür dieses Jahr als Tierärztin des Jahres aus.

Arthrose oder Arthritis?
Auf den ersten Blick scheint die oft synonyme Verwendung der Krankheitsnamen verwirrend. Arthrose ist die Abnutzungserscheinung in einem oder mehreren Gelenken und ein häufiger Grund für Schmerzen, insbesondere bei alten Hunden. Die Krankheit ähnelt der des Menschen stark. Ihr letztlicher Verlauf allerdings ist häufig konträr: »Für Hunde bedeutet die Diagnose oft das Lebensende, für Menschen nicht«, so Capon. Die Gründe für Arthrose sind mannigfaltig. »Vereinfacht gesagt handelt es sich um eine anormale Abnutzung der Gelenke, die zu einer Funktionseinschränkung der Gelenke und zum Knorpelabbau führt. Sie kann aber auch durch die normale Abnutzung anormal geformter Gelenke entstehen.« Letzteres stehe in direkter Verbindung zur Züchtung bestimmter Rassen, zu Entwicklungsschäden und Gelenktraumata.

Eine Arthritis dagegen ist eine entzündliche Gelenkserkrankung. Diese kann durch Krankheitserreger wie zum Beispiel Bakterien entstehen. Aufgrund eines Bisses oder einer Verletzung gelangen Bakterien in den Körper und können eine Entzündung im Gelenk verursachen. Ferner können einige Infektionserkrankungen wie Borreliose oder Leishmaniose Gelenkentzündungen mit sich bringen. Eine Arthritis kann aber auch durch ein stumpfes Trauma wie zum Beispiel ein Sturz oder falsches Auftreten initiiert werden. Das Gelenk wird gezerrt, gestaucht oder gequetscht, worauf der Körper mit einer Entzündung reagiert. Ebenfalls kann eine nicht-infektiöse Arthritis als Folge einer Fehlfunktion des Immunsystems entstehen. Insbesondere bei der chronischen rheumatoiden Arthritis sind in der Regel gleich mehrere Gelenke betroffen. Die entzündlichen Prozesse werden hierbei durch das Immunsystem ausgelöst. Die genaue Ursache hierfür ist allerdings nicht bekannt. Ob infektiös bedingt oder nicht, bei einer Arthritis ist das betroffene Gelenk geschwollen, warm, gerötet, schmerzt und ist in seiner Bewegungsfähigkeit eingeschränkt. Aufgrund der folgenden Fehl- und Überlastung der anderen Gelenke kann eine Arthritis an anderen Gelenken zu Arthrose führen. Um eine bestmögliche Prognose zu erzielen, ist daher sowohl bei Arthritis als auch bei Arthrose eine schnelle Behandlung wichtig. Die Therapiemöglichkeiten ähneln sich zwar, je nach Hund und Schweregrad der Krankheit unterscheiden sie sich jedoch individuell.

Osteoarthritis
Genauso kann eine Arthrose in eine nicht-infektiöse Arthritis übergehen. Meist ist dann allerdings nur ein Gelenk betroffen. Oftmals spielen bei chronischen und rezidivierend auftretenden Schmerzen einer Arthrose laut Capon ebensolche Entzündungsreaktionen eine Rolle. Daher wird die Krankheit auch als Osteoarthritis bezeichnet. »Da Entzündungen so oft der Fall sind, kann man anstelle von Arthrose eigentlich gleich von Osteoarthritis sprechen«, meint die Expertin. Der Begriff stammt ursprünglich aus dem anglo-amerikanischen Sprachraum, wird mittlerweile aber auch im deutschen Sprachgebrauch synonym zu Arthrose verwendet. »Osteoarthritis ist eine sehr komplexe Krankheit mit vielen unterschiedlichen Variablen.« Schon allein deshalb sei eine einheitliche Behandlung unmöglich. »Meist sind multimodale Therapieansätze nötig, um die Krankheit in den Griff zu bekommen.« Hierbei stoßen Hund und Halter oft emotional wie körperlich an ihre Grenzen.

Schmerz als Leitsymptom
Bei der Behandlung von Osteoarthritis geht es vor allem darum, Schmerzen zu lindern. Es gilt die Lebensqualität wiederherzustellen. Teagans Schmerzen behandelte Tierärztin Capon daher der Schmerzskala entsprechend nicht nur mit Medikamenten. »Schmerzmanagement besteht nicht nur aus Medikamenten. Es umfasst eine ganze Breite von Möglichkeiten: von Akupunktur, Hydrotherapie und Physiotherapie über Gewichtsverlust und körperliche Bewegung bis hin zu Ablenkung durch Beschäftigung.« Capon setzte Hündin Teagan auf Diät, so dass diese innerhalb eines halben Jahres die überflüssigen Pfunde verlor. Wöchentliche Hydrotherapie auf der Wassertretmühle, Massagen und Laserbehandlungen unterstützten Teagans Therapie zusätzlich.

Teagan ist nur eine der vielen Hunde, die Capon mit ihrem Team CASS »Canine Arthritis Support Service« auch praktisch betreut. Bei CASS arbeiten heute insgesamt 22 Fachleute. Gerade nachts hat Capon oft Hochbetrieb. »Hundehalter werden insbesondere nachts mit ihrem Hund vorstellig, wenn dieser plötzlich anfängt zu lahmen, sich nicht mehr bewegen möchte oder Schmerzen zu haben scheint.« Es sind nicht nur die älteren Vierbeiner, die bei Capon in der Praxis landen. »Jeder Hund, egal welchen Alters, kann von Osteoarthritis betroffen sein. Selbst Junghunde unter einem Jahr«, weiß Capon aus Erfahrung. Wie schnell die Krankheit voranschreitet ist individuell. Die Gründe hierfür sind weiterhin unbekannt. »Wir können aber annehmen, dass Übergewicht eine ausschlaggebende Rolle bei raschem Fortschreiten spielt.« Ein Faktor, der laut Capon oftmals übersehen wird. »Übergewichtige Hunde leiden früher unter Osteoarthritis, haben stärkere Schmerzen und zeigen einen schnelleren Verlauf der Krankheit.« Auch die Rasse spielt eine Rolle. »Aufgrund bestimmter Züchtungen sind leider auch die Gelenke mancher Rassen in Mitleidenschaft gezogen.« Besonders mittelgroße und große Rassen sind häufiger betroffen, ebenso wie Hunde, die besonders stark trainiert werden oder eben adipös sind. »Zudem scheint es Hinweise auf genetische Verbindungen zum Entzündungsprozess zu geben

Capon sieht ihre Aufgabe darin, bei betroffenen Hunden ein Fortschreiten der Krankheit zu minimieren und hoffentlich zukünftige Fälle, wenn nicht zu verhindern, dann zumindest in ihrem Krankheitsausmaß zu verringern. Denn meistens wird Osteoarthritis erst in fortgeschrittenem Stadium diagnostiziert. »Da die ersten Veränderungen innen im Gelenk auftreten, sind sie nicht zu erkennen.« Gerade am Anfang stehen daher die klassischen Symptome weniger im Vordergrund. Der Hund verlagert bei Problemen einfach sein Gewicht auf die anderen Beine. Dem Halter fällt nichts auf. »Die ersten Anzeichen sind daher meist sehr subtile Verhaltensänderungen.« Hunde, loyal wie sie ihrem Halter gegenüber sind, laufen weite Wege mit, springen ins Auto oder laufen die Treppe hoch – wenn ihr Halter es denn von ihnen verlangt. »Ein erstes Anzeichen ist zum Beispiel der kurze Moment, in dem der Hund in für ihn eigentlich gewöhnlichen Situationen zögert«, meint Capon. Halter jedoch werden meist erst stutzig, wenn der Hund sich partout nicht mehr so bewegen möchte wie früher. Erst wenn der Vierbeiner nicht mehr richtig gehen kann oder im Stehen zittert, wird der Tierarzt aufgesucht. »Der Halter spricht die Änderungen im Verhalten meist dem Alter zu. Dabei hat der Hund starke Schmerzen.« Zu diesem Zeitpunkt hat die Osteoarthritis dann bereits signifikante Ausmaße erreicht. Capon zieht den Vergleich zu menschlichen Zahnschmerzen. Obwohl wir Schmerzen haben, sehen wir unverändert aus. Anders ist meist nur die Art wie wir essen und unsere Laune. »Osteoarthritis zeigt sind auf vielfältige Weise. Am besten ist es daher, wenn Halter auf Veränderungen im Verhalten, der Körperhaltung und Mobilität achten.« Der Tierarzt wird dann anhand von Bluttests, Urinproben, Röntgen- und CT-Aufnahmen oder Gelenkpunktion die Diagnose stellen.

Was ist zu tun?
Eine Heilung ist bei Osteoarthritis leider unmöglich. Es ist und bleibt eine progressive Erkrankung, die zu Bewegungsunfähigkeit, Schmerzen und verminderter Lebensqualität führt. »Umso wichtiger ist eine frühe Diagnose«, sagt Capon. Nur dann könne effektiv behandelt werden, um ein Voranschreiten zu verlangsamen. Selbstredend muss die Therapie dem Verlauf der Krankheit ständig und möglichst früh angepasst werden. So können weitere degenerative Schäden verlangsamt und eine möglichst normale Benutzung des Gelenks garantiert werden.

Nach Angaben Capons gibt es ständig neue Therapieansätze. Möglichkeiten bieten hier die Generativmedizin, Photobiomodulation, Schockwellen und elektromagnetische Therapie. Aber auch neue Medikamente seien in letzter Zeit auf den Markt gekommen. »EP4 Rezeptorinhibitoren zum Beispiel«, so Capon. Doch all diese seien nur so gut wie die grundsätzliche Pflege, die der Halter seinem Hund zukommen lässt. »Ein wichtiger Teil der Therapie ist, dass der Halter die Lebensgewohnheiten an den Hund anpasst.« Besondere Aufmerksamkeit widmet Capon hierbei dem Gewicht der Hunde. »Gewichtskontrolle ist wirklich das Allerwichtigste bei einer Osteoarthritistherapie und zudem auch der kostengünstigste Teil der Therapie.« Zudem müsse das Mobiliar zu Hause an die Ansprüche des Hundes adaptiert werden. »Glatte Böden sind eine große Gefahr für Hunde mit Osteoarthritis und ein gern übersehener Faktor des Voranschreitens der Krankheit.« Ferner sollten die täglichen Spaziergänge immer von gleicher Länge sein. Unter der Woche wenig und dafür am Wochenende viel körperliche Aktivität macht die Gelenke betroffener Hunde nur steifer und schmerzvoller. Ebenso ist unebenes Gelände nichts für den osteoarthritischen Hund. Wie auch beim Menschen sollten Vierbeiner mit Osteoarthritis bei kaltem Wetter nicht auskühlen und ein Liegen im Durchzug sollte grundsätzlich vermieden werden. Einer der größten Fehler, die Halter betroffener Hunde laut Capon überhaupt machen können ist all dies außer Acht zu lassen: »Wenn der Hund weiterhin fünf Kilo zu viel wiegt, ins Auto springt und dem Ball nachjagt, dann wird er nur wenig von der für ihn ausgewählten Therapie profitieren.«

Ebenso warnt Capon vor unbedachter Verwendung von Nahrungsmittelzusätzen. »Das ist ein sehr prekäres Gebiet, da Qualitätsunterschiede der Produkte enorm sind.« Je nach Hersteller würden Inhaltsstoffe stark variieren. »Wir empfehlen Omega-3-Fettsäuren aus Meerestieren zu verwenden, da bei ihnen von einem positiven Einfluss ausgegangen wird.« Der Nutzen aller anderen Produkte sei durch ebenso viele Studien widerlegt worden wie er belegt wurde.

Dank der richtigen Therapie ist Teagan heute wieder bestens gelaunt und so aktiv wie seit Jahren nicht mehr. Trotz ihrer Osteoarthritis geht es ihr wieder blendend. Teagans Halterin kennt ihre Hündin heute weitaus besser als früher. Die individuellen Schmerzsymptome ihrer Hündin identifiziert sie heute sofort und reagiert prompt: Teagan führt erneut ein lebenswertes Leben – meist sogar ganz ohne Schmerzmittel.

CAM Schmerzskala

(Canine Arthritis Management)

1: Leichte Veränderungen im Verhalten
Leichtes Unbehagen
Verdacht auf Lahmen oder Veränderung im Gang

2: Definitive Veränderungen im Verhalten
Geringere Leistungsfähigkeit und verminderter Enthusiasmus
Leichtes Lahmen oder geringfügige Veränderung im Gang
Schmerzreaktion bei Gelenkmanipulation

3: Offensichtliche Veränderungen im Verhalten
Bewegungsunlust
Offensichtliche Lahmheit bzw. Veränderung im Gang
Mäßige Schmerzreaktion bei Gelenkmanipulation

4: Signifikante Verhaltensänderungen
Signifikante Lahmheit bzw. Veränderung im Gang
Abwehrende Haltung beim Umgang mit ihm
Offenkundige Schmerzen bei Gelenkmanipulation

5: Depression
Signifikante Lahmheit
Abwehrende Handlung beim Umgang mit ihm oder wenn er angefasst wird
Starke Schmerzen des Gelenks und in der Gelenksumgebung
Schmerzender Anblick

Verhaltensänderungen bei Arthrose

Privatdozentin Dr. med. vet. Sabine Tacke hatte 2010 im Rahmen des World Small Animal Veterinary Association World Congress mögliche Verhaltensänderungen zusammengefasst, die durch chronische Schmerzen bei Osteoarthritis ausgelöst werden können:

• Ängstlichkeit
• Verminderte soziale Interaktion
• Unterwürfigkeit
• Aggressivität
• Verminderte Aktivität
• Leistungsminderung
• Vermindertes Temperament
• Ungewöhnliche Körperhaltung
• Gangabnormalitäten
• Jaulen
• Automutilation (Selbstverletzung)
• Fehlende Bereitschaft ins Auto zu springen
• Das Sofa dient nicht mehr als Schlafplatz
• Beim Klingeln läuft das Tier nicht mehr zur Tür
• Morgensteifigkeit und Unwilligkeit aufzustehen
• Lahmheit nach Belastung
• Lahmheit nach Ruhe

Pdf zu diesem Artikel: osteoarthritis

 

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