Leinenaggression: Wie geht man richtig damit um?

Von Kristina Ziemer-Falke

Egal wie lieb der Hund ist, egal wie viele Hunde Sie schon gehabt haben, dennoch passiert es entweder hin und wieder oder aber auch regelmäßig, dass der Hund Aggressionen an der Leine zeigt. Mal weniger stark ausgeprägt, mal sehr heftig. Es gibt Hundehalter, die ihre Hunde nachts um 3 Gassi führen, weil sie Sorge haben, auf andere Hunde oder Menschen zu treffen, da diese Reize für den Hund ausreichen, um an der Leine Rabbatz zu machen und das in so einem starken Ausmaß, dass sich die Hundehalter hilflos fühlen und Furcht vor dem Spaziergang selbst bekommen. Wir geben Hilfestellungen, so dass es schnell wieder zu einem harmonischen Spaziergang kommt.

Vielleicht kennen Sie Szenen wie diese: »Wir gingen unsere Runde um den See, da kam dann dieser andere Hund an. Balu, mein zweijähriger Spitz-Schäferhund-Mischling, hat auch sofort auf ihn reagiert und wurde aggressiv. Ich konnte ihn kaum noch halten und sein Geknurre und auch heftiges Bellen waren mir sehr unangenehm.«

Hundehalter wünschen sich nun, dass Hundetrainer sie dabei unterstützen, die Aggressionen an der Leine wieder zum Erlöschen zu bringen, aber dazu muss ein Trainer viele Fragen stellen und die Ursache verstehen, warum der Hund an der Leine überhaupt pöbelt, denn dafür kann es mehrere Gründe geben und danach richten sich die Therapieansätze. Eine Leinenaggression heißt erst einmal nur, dass der Hund Aggressionen an der Leine zeigt. Er bellt oder knurrt vielleicht, dabei kann er zu dem »Gegner« hinziehen und Drohgebärden zeigen, die offensiv sind. Das erkennen Sie daran, dass Ihr Hund seine gesamte Körpersprache nach vorne richtet, auf den Gegner zu. Beim defensiven Verhalten ist die Körpersprache nach hinten gerichtet. Ein Rückzug wäre gut möglich, er provoziert nicht durch Stärke. Der Hund zeigt sich verteidigungsbereit, wenn er müsste, alternativ aber auch fluchtbereit.

Um nun zu wissen, wie Sie am besten reagieren können, wenn Ihr Hund an der Leine den Chaoten zeigt, müssen Sie erst seine Stimmung interpretieren können. Dies kann in unterschiedlichen Kontexten auch immer eine unterschiedliche Stimmung sein. Bitte beachten Sie das, denn wenn er seinen Erzfeind trifft, den er wirklich nicht mag, so dürfen Sie an dieser Stelle nicht generalisieren und davon ausgehen, dass dies dieselbe Stimmung ist, die er zeigt, wenn er zu spielenden Hunden im Park hin möchte, aber durch die Leine nicht hinkommt. Somit wird deutlich, dass auch eine Leinenaggression ein gewisses »Sherlock Holmes-Spiel« ist und herausgefunden werden muss, was der Hund in den jeweiligen Augenblicken fühlt und denkt, um dann eine geeignete Trainingstechnik zu nutzen.

Bei der Leinenaggression existieren verschiedene Hauptgründe
a) Angst / Furcht, bei welcher der Hund den anderen Hund auf Abstand halten möchte und das akustische Ausdrucksverhalten, also das viele Bellen und Knurren, was oft mit einhergeht, eher drohend gemeint ist.
b) Übersprungshandlung, bei welcher der Hund Kontakt mit dem anderen Hund aufnehmen möchte, aber durch die Leine eingeschränkt ist und daher eher einen frustrierten Charakter hat.
c) Weiterhin haben viele Hunde gelernt, dass sie durch ihr Auftreten Eindruck hinterlassen, andere Hunde und Menschen halten einen größeren Abstand. Ein größerer Abstand wird sich erarbeitet und vielen Hunden macht das Pöbeln an der Leine – durch die Erfolge – nach einiger Zeit auch Spaß.

Das Spannende ist nun, objektiv zu erkennen, was der eigentliche Grund für das Aggressionsverhalten des Hundes ist. Das ist für einen Hundehalter oft nicht so leicht, da man selbst sehr subjektiv ist und wir schwer objektiv über uns selbst nachdenken und analysieren können. Sollten Sie an diesem Punkt sein, helfen Ihnen nun mögliche Schritte:

• Filmen Sie sich selbst im Umgang mit dem Hund. Bitten Sie eine Person, Sie auf dem Spaziergang zu filmen – gerne auch in anderen Situationen, um das Bild abzurunden. Was tun Sie und Ihr Hund, wenn keine Ablenkung im Spiel ist, wie entspannt ist die Situation und wie gut – etwa in Prozent – klappt die Leinenführigkeit? Wie reagieren Sie, wenn Ihnen jemand entgegenkommt? Greifen Sie in die Leine, geben Sie Ihrem Hund ein Signal, gibt Ihr Hund Ihnen ein Signal, wer kommuniziert mit wem? Was passiert nach der Begegnung / dem Kontakt mit dem Reiz? Wie lange benötigt Ihr Hund, um wieder entspannt zu sein, und wie lange brauchen Sie, bis Sie sich wieder wohlfühlen? Haben Sie Ihrem Hund Signale gegeben? Reagiert er darauf?

• Schauen Sie sich die Videos an, alleine als auch mit einem guten Hundetrainer, denn er wird Sie neutral und objektiv bewerten – dabei wird er Ihnen zudem ein Feedback zu folgenden Punkten geben:
• Timing
• Umgang mit dem Hund
• Wesen und Typ Ihres Hundes und von Ihnen selbst im Umgang mit Ihrem Hund
• Intensität Ihrer Signale (agieren Sie zu schwach oder zu stark)
• Konsequenz
• Gefühl
• Führungsqualität
• usw.
Zudem wird er Ihnen Hilfestellung geben können, um die Frage zu beantworten, WARUM Ihr Hund an der Leine das Verhalten zeigt, was er zeigt.

Folglich schauen Sie sich auch nicht nur die Momentaufnahmen an, sondern die gesamte Vita des Hundes. Interessant zur Analyse ist also auch die Biographie des Hundes. Interessant zu wissen wäre:

• Wie verlief die Trächtigkeit? Hatte die Mutterhündin etwa schon starken und anhaltenden Stress, überträgt sich das auf die Welpen im Mutterleib. Der Kortisolspiegel wird dadurch erhöht, der das Stresszentrum er- und anregt und Hunde können stärker und intensiver auf Außenreize reagieren.

• Gab es Besonderheiten in der Welpenzeit? Konnte der Hund gut an alles sozialisiert werden, so dass er seiner Umwelt stress- und angstfrei begegnen kann?

• Welches Verhalten zeigte der Hund in seiner Pubertät? Gerade hier kommt es durch den »Hormoncocktail« zu Verhaltensweisen, die der Hund zuvor nicht zeigte oder nicht so stark. Dabei spielt es eine große Rolle, welche Hormonkonstellation auf dem Vormarsch ist und ob Angst / Unsicherheit oder der Spaßbereich weiter ausgebaut ist.

• Wie reagiert Ihr Hund, wenn er auf auslösende Reize trifft, wenn er sich nicht an der Leine befindet? Nicht selten zeigen Hunde unerwünschtes Verhalten, wenn sie angeleint sind, nicht aber, wenn sie dem Reiz ohne Leine begegnen. Ist es so, liegt es nahe, dass sich meist durch unbewusste Bestätigung unser Verhalten/unsere Stimmung auf den Hund überträgt und wir unbewusst das ungewollte Verhalten unterstützen. Er hat somit gelernt, dass er Aggressionstendenzen zeigen soll – also aus seiner Sicht. Oft gehen die Nuancen so klein und subtil von uns aus, dass wir sie selbst kaum bemerken. Schauen Sie auf jeden Fall auf Ihre Hände. Wann greifen Sie in die Leine, wann halten Sie sich daran fest? Wer ist für die Leinenspannung verantwortlich?

• Welche Beziehung / Bindung haben Sie zu Ihrem Hund? Können Sie Ihrem Hund Sicherheit in allen – und somit auch in stressigen Situationen geben? Wie fühlen Sie sich, wenn Ihnen andere Hunde entgegenkommen?

• Ist der Hund in der Lage mit anderen Reizen wie Menschen, anderen Hunden usw. zu kommunizieren oder fühlt er sich dabei nicht wohl?

Leinenführigkeit erfordert Disziplin
Viele Hundehalter üben die Leinenführigkeit, aber stoßen an Grenzen – diese stellen sich meist mit steigender Ablenkung ein. Auch ist es schwer, das Training immer fortzusetzen, da sich Hundebegegnungen nicht durch ein Zeitmanagement planen lassen – das mag in gestellten Situationen zwar gehen, aber die finden in einem anderen Kontext statt als der eigentliche Alltag, den man durchlebt, und schneller als man denkt hängt man wieder in einem Muster, in dem man sich hilflos fühlt, und die gute Umsetzung aus den Trainingsschritten lässt sich just nicht umsetzen. Für den Hund ein Gewinn auf seinem Punktekonto. Zeigen Sie Ihrem Hund daher, dass Ihnen die Leinenführigkeit mit als auch ohne Ablenkung wichtig ist. Ihr Hund hat nichts davon, wenn Sie ohne Ablenkung nicht darauf achten und unter Ablenkung – weil die Spannung meist stärker ist – ist es Ihnen aber wichtig. Ihre Glaubwürdigkeit wird infrage gestellt. Denn warum soll der Hund Ihnen vertrauen, dass Sie die Situation im Griff haben – speziell bei unsicheren Hunden – wenn Sie sich auch ohne besondere Außenreize hin- und herziehen lassen? Ihr Hund sieht das als Normalzustand an und verlässt sich somit in vermeintlichen Gefahrensituationen auf sich selbst und nicht auf Sie.

Wichtige Schritte zum Erfolg
Auch hier unterstützt die Kamera Sie im ersten Schritt für eine kleine Selbstanalyse. Filmen Sie ein paar Meter, wie Sie mit dem Hund spazieren gehen:

• Läuft Ihr Hund in dem Bereich, in dem er soll? Sie dürfen selbst bestimmen, wo der Hund läuft, aber in diesem Bereich sollte er das auch tun, als auch wissen, dass dies seine Position ist.

• Ist die Leine entspannt? Ist es angenehm für Sie und den Hund?

• Nutzt er die Spannung zwischendurch aus? Wenn ja, wie reagieren Sie darauf? Gehen Sie dennoch weiter? Achtung, wenn er zieht und Sie gehen dennoch den weiteren Weg, dann erlauben Sie ihm, dass er ziehen darf. Bleiben Sie stehen, wenn die Leine gespannt ist und gehen Sie erst weiter, wenn der Hund die Leine von sich aus entspannt.

• Wo schauen Sie hin während Sie laufen? Schauen Sie zielorientiert auf Ihren Weg oder schauen Sie immer oder immer wieder auf den Hund? Zeigen Sie Letzteres, verdeutlichen Sie, dass Sie sich an Ihrem Hund orientieren. Das sollte jedoch er bei Ihnen tun.

• Glauben Sie an sich? Ihr Hund muss merken, dass Sie einen Plan haben! Das bedeutet, dass Sie nicht nur einen Plan haben müssen, sondern auch an sich und diesen glauben sollten. Wenn Sie das nicht haben, umgehen Sie eine Begegnung lieber, so dass Ihr Hund nicht denken muss, dass Sie beide wissen, dass Sie sich unwohl fühlen, aber dennoch zielgerichtet in die Begegnung laufen. Das wäre sehr kontraproduktiv. Also bei Sichtung des anderen Reizes überlegen, ob Sie Ihren Hund sicher durch die Konstellation führen können oder lieber einen kleinen stressfreien Umweg gehen, bis das Training abgeschlossen ist.

Bei manchen Begegnungen zwischen Hunden ist sehr gut zu erkennen, dass diese wie eine Statue erstarren und regelrecht »hart« werden. Welche Stressreaktion der Hund letztlich zeigt, hängt davon ab, welche Erfahrungen er in seinem Leben schon gemacht hat. Ein Hund hat 4 Möglichkeiten auf Stress zu reagieren:

• Angriff
• Übersprungshandlungen
• Erstarren
• Flucht

Wir Hundetrainer können häufig beobachten, dass Übersprungshandlungen, Flucht oder Erstarren des Hundes vom Hundehalter schwer erkannt und / oder nicht richtig interpretiert werden. In diesem Fall reagieren viele Hunde nach einer gewissen Zeit mit Angriffstendenzen. Auch dies ist bei einer Leinenaggression häufig zu erkennen. Beobachten Sie Ihren Hund, wie er reagiert, sobald er einen Reiz erkennt. Sie können dadurch eher die Stimmung des Hundes erkennen und möglicherweise durch Ihre Interaktion eine Leinenaggression vermeiden, indem die Situation vermieden wird.

Beispiel: In 100 Meter Entfernung kommt ihm auf der gleichen Seite ein anderer Hund entgegen, der ebenfalls von seinem Halter an der Leine gehalten wird. Beide Hunde erblicken einander schon über weite Entfernungen hinweg, und blitzschnell zeigen sich auch erste Stressreaktionen. Oft schnuppert der Hund in einem solchen Fall plötzlich an einer Hundewiese und leckt sich vielleicht über die Schnauze. Die häufige Reaktion der Hundehalter ist es zu denken, der eigene Hund habe gar kein Interesse an dem anderen Hund (schließlich schnuppert er an den Blumen). Sie erkennen dieses Verhalten nicht als Stressreaktion. Folglich wundern Sie sich, wenn eine Konfrontation – denn der Hundehalter bewegt sich ja weiter auf den anderen Hund zu – in einem Angriff endet.

Wie eine Hundebegegnung richtig handlen?
Der Hund zeigt in seiner »Sprache« ein deutliches Stressanzeichen – nämlich die Übersprungshandlung. Dieses wird jedoch vom Halter nicht wahrgenommen und der Stresspegel des Hundes deshalb nicht gesenkt, sondern erhöht, während er sich weiterhin auf den »Feind« zubewegt. Der Hund lernt also, dass die Strategie »Übersprung« in dieser Situation seinen eigenen Stresspegel nicht senkt. Deshalb muss er nun seine Strategie ändern und in den Angriff übergehen. Hunde entwickeln also auch in Stresssituationen Strategien und lernen, diese zu modifizieren. Die Art und Weise, wie sich die Stressstrategien äußern, ist von der jeweiligen Situation abhängig (also vom Kontext), der jeweiligen Individualität und den bereits gemachten Erfahrungen. Durch diese 4 Möglichkeiten (siehe 2 Absätze vorher) auf Stress zu reagieren, versucht der Körper wieder zurück in den »Urzustand« zu kommen, nämlich wieder neutral-entspannt zu werden.
Wie Sie sehen ist die Leinenaggression sehr komplex und sowohl ein persönliches als auch individuelles Thema für den Hund und Sie als Hundehalter. Lernen Sie Ihren Hund immer besser durch Beobachtung kennen und holen Sie sich neutrale Hilfe, wenn Sie merken, dass Sie Ihren Hund nicht objektiv einschätzen können und trotz aller Technik an Ihre Grenzen kommen. Denn gerade die Leinenaggression geht nicht von heute auf morgen wieder weg, und es ist ein längerer Weg, da unterstützt Sie ein guter Trainer – mit einem geübten Blick von außen.

Pdf zu diesem Artikel: leinenaggression

 

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