Aus Wolf wird Hund – Warum kam es zur Domestikation?

Von Dr. Hans Mosser

Themenschwerpunkt: Der Wolf

Wann, wo und wie die Domestikation des Wolfes zum Hund stattgefunden haben soll, dazu gibt es viele interessante Theorien. Auf die Frage warum es überhaupt dazu gekommen ist, gibt es meist nur eine funktionelle Antwort: der Hund als Jagdgehilfe und/oder Wächter des Menschen. Doch ist das wirklich der Grund? Oder ist das nicht vielmehr erst die Folge der Domestikation? Denn um Jagdgehilfe des Menschen sein zu können, musste die Domestikation im Wesentlichen ja bereits abgeschlossen sein. Was also ist wirklich der Ursprung der Domestikation?

Es ist gut 20 Jahre her, als ich mit dem 2003 verstorbenen Wolfsforscher, Autor und Filmemacher Erik Zimen anlässlich eines Symposiums im kleinen Städtchen Wissen im Westerwald ein langes Gespräch hatte, in dem er mir seine Theorie zur Domestikation bis ins Detail erläuterte. Und sie einige Monate später dann auch in WUFF publizierte (Zimen 1996). Während die gängigen Theorien dazu funktioneller Natur sind, also bspw. der Hund als Jagdhund, Wachhund oder Suchhund, ist Zimen von der zunächst zweckfreien Domestikation überzeugt.


Die ökologischen Beziehungen zwischen Mensch und Wolf sind sehr alt. Einerseits waren sie schon in der Eiszeit klare Nahrungskonkurrenten. Beide lebten im selben Lebensraum und beide waren sie Jäger auf große Beutetiere. Doch andererseits profitierten sie auch voneinander, so Zimen: »Die Jäger können die Wölfe bei deren Beute aufsuchen und ihnen diese dank ihrer Stärke und Waffen abnehmen. Die Wölfe wiederum können sich von den Beuteresten der Menschen ernähren. In guten Zeiten werden sie deshalb sogar in der Nähe der menschlichen Siedlungen als Unratvertilger geduldet. In schlechten Zeiten hingegen neiden die Menschen dem Wolf seine Beute, vertreiben oder töten ihn sogar.«

Wo immer die Domestikation vor 30-40.000 Jahren oder sogar noch viel früher nun stattgefunden haben mag und ob nur an einem Ort oder an mehreren (Vilá 1997, Savolainen 2002, Frantz 2016), auf die Frage des Warum gibt es meist nur eine Antwort. Der Mensch habe den Wolf gezähmt, um einen Gehilfen für die Jagd zu haben. Erik Zimen räumt aber mit diesem Bild gründlich auf.

Männliche Vorstellungen
Unser funktionalistisch und männlich orientiertes Weltbild, so Zimen, würde die epochale Tat der Domestikation dem jagenden Mann zuschreiben, der plötzlich einsichtig und auf ein zukünftiges Ziel hin bewusst gehandelt haben müsste. Der Mann müsste nämlich auf die Idee gekommen sein, den Wolf als seinen Jagdgehilfen zu nutzen. Wie aber hätte man auf diese Idee kommen sollen, wo doch die Scheu des Wolfes vor dem überlegenen Konkurrenten Mensch so groß ist? Zimen jedenfalls hält nichts von dieser Jagdtheorie als Ursache der Domestikation. »Der Domestikation muss vielmehr eine Zähmung des Wolfes vorangegangen sein. Nur Wolfswelpen, die in frühestem Welpenalter von Menschenhand aufgezogen werden, bleiben zahm und auf Menschen sozialisiert. Ansonsten überwiegt die Furcht des Wolfes vor dem Menschen«, erklärt Zimen. Das heißt, bevor der Mensch überhaupt auf die Idee kommen konnte, den Wolf für die Jagd einzusetzen, musste dieser bereits Hund geworden sein.

Wenn es nun also kein menschlicher Zweck war, der den Wolf zum Hund werden ließ, was dann? Ist das Wildtier Wolf überhaupt an den Menschen zu gewöhnen? Ist der Wolf zu zähmen? Erik Zimen wusste eine Antwort darauf, die sehr plausibel klingt. Seine Argumentation fußt auf dem Wissen, dass ein Wolf nur dann zahm und auf den Menschen sozialisiert ist, wenn er in frühestem Welpenalter von Menschenhand aufgezogen wird. Andernfalls überwiegt die Scheu des Wolfes vor dem Menschen.

Das bestätigt auch Ádám Miklósi, Ethologe der Eötvös Loránd Universität in Budapest, gegenüber WUFF. Um die Entwicklung junger Wölfe beobachten und deren soziales Verhalten mit spezifischen Tests untersuchen zu können, war es nötig Wolfswelpen aufzuziehen. Das aber war nicht einfach. Miklósi: »Wir wussten schon vorher, dass wir nur dann Erfolg haben würden, wenn wir die kleinen Wolfswelpen am 4. Tage von ihrer Mutter trennen – noch bevor sie die Augen öffnen.«

Menschliche Muttermilch für Wolfswelpen
Nun, um einen Wolfswelpen aufziehen zu können, wird Milch benötigt. Zum Zeitpunkt der Domestikation gab es aber noch keine Kühe oder Schafe, deren Milch zur Verfügung gestanden wäre. Denn solche Haustiere hat der Mensch erst seit rund 10.000 Jahren, Hunde aber mindestens dreimal so lange. Milch konnte damals neben der Wolfsmutter ausschließlich eine menschliche Frau liefern. Warum aber sollte eine Frau, die offensichtlich gerade selbst ein Kind stillt, sich einen Wolfswelpen an die Brust nehmen? Zimen gibt die Antwort, es sei eine spontane Reaktion auf ein kleines hilfloses Tier gewesen, einen winzigen Wolfswelpen, den eine stillende Frau wohl zufällig gefunden und sich seiner angenommen habe. Männer, glaubt Zimen, wären dazu nicht in der Lage gewesen. Ihr Lebensinhalt sei Jagd, Kampf und Töten gewesen und nicht Fürsorge, Mitleid oder Wärme für ein hilfloses Tier, das noch dazu im Erwachsenenalter ihr Nahrungskonkurrent war. Zimen: »So dienen die ersten Wölfe noch keinen funktionalen Zielen. Sie sind vielmehr freundliche Begleiter der Frauen, Spielkameraden der Kinder, neue Mitglieder der Familie. Erst viele Generationen, womöglich Jahrtausende später, als auch die Männer erkennen, von welchem Nutzen die neuen Mitbewohner sind, übernehmen sie die Herrschaft und züchten, ihren Interessen entsprechend, wohl zuerst Hunde für die Jagd.«

Hunde als Jagdhelfer
Jetzt war es also soweit, dass die Menschen erkannten, dass Hunde ihnen sehr nützlich sein konnten, vor allem bei der Jagd. Zu dieser Zeit war der Mensch noch nicht sesshaft, sondern Jäger und Sammler. Als Pfeil und Bogen die Speerschleuder ablöste, ließ sich nun zielsicher die Beute auch auf weitere Distanz treffen. Zum Aufspüren und Töten der mit dem Pfeil verletzten Beute hatte man jetzt den Hund. Dadurch wurde die Palette möglicher Beutetiere für den Jäger erheblich ausgeweitet. Das war auch unbedingt erforderlich, um unter den sich schnell wandelnden ökologischen Bedingungen der Spät- und Nacheiszeit überleben zu können.

Als die Menschen vor rund 10.000 Jahren schließlich sesshaft wurden oder (genauer: aufgrund der Nahrungsverknappung) es werden mussten, und verschiedene Wildtierarten domestizierten, woraus dann Rinder, Schafe, Ziegen und Schweine entstanden, fanden sie schnell weitere Fähigkeiten der Hunde heraus. Hunde waren gut darin, die Höfe und Siedlungen der Menschen zu bewachen ebenso wie ihre Viehherden.

Sozialpartner und Helfer des Menschen
Begonnen hat die Domestikation nach Zimen also als einsame Tat einer fürsorglichen Frau mit der Zähmung einiger wilder Welpen des Wolfes. Daraus ist zunächst ein Sozialpartner des Menschen entstanden, bis dieser sich dann die weiteren vielseitigen Fähigkeiten des Hundes zunutze machte, vom Jagd- bis zum Wachhund und den vielen »Hundeberufen« im Dienste des Menschen heute. Zimen über diese Entwicklung insgesamt: »Als Hund fortan wird der Wolf zum besten Freund, wild geblieben hingegen bald zum größten Feind des ­Menschen.« Und dies heute aus weit­­gehend irrationalen Gründen, möchte man hin­­zufügen.

Literaturquellen

Die im Artikel zitierte Literatur in alphabetischer Reihenfolge.

• Frantz L. et al, Genomic and archaeological evidence suggest a dual origin of domestic dogs. Science 2016;352:1228-1231.
• Miklósi A. Hunde sind keine Wölfe! Hundemagazin WUFF 2003;4 (download: https://www.dogodu.eu/hunde-sind-keine-woelfe)
• Savolainen P. et al., Genetic evidence for an East Asian origin of domestic dogs. Science 2002;298:1610-1613.
• Vilá C. et al., Multiple and ancient origins of the domestic dog. Science 1997;276:1687-1689.
• Zimen E. Ein Tier verändert die Welt. Hundemagazin WUFF 1996;2

Pdf zu diesem Artikel: wolf_wird_hund

 

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