Unerwünschtes Jagdverhalten in den Griff bekommen

Von Yvonne Adler

Die Kolumne zum Thema „Alltagsprobleme mit dem Hund“. WUFF-Autorin Yvonne Adler, Tierpsychologin, akademisch geprüfte Kynologin und Hundetrainerin, beantwortet Ihre Fragen. Schicken Sie uns Ihr Alltagsproblem mit Ihrem Hund , kurz formuliert und mit 1 bis 2 Bildern. In dieser Ausgabe geht es um das Thema unerwünschtes Jagdverhalten.

Sehr geehrte Frau Adler!
Wir besitzen seit dem Welpenalter einen Golden Retriever. Wir haben uns diese Rasse extra genommen, weil der Züchter meinte, dass diese Hunde die perfekten Familienhunde sind und auch nicht jagen würden. Nun ist unsere Mona neun Monate alt und wir hatten beim Spaziergang am Feld bereits ein paar Situationen, wo sie Feldhasen nachgelaufen ist. Der zuständige Jäger hat uns auch bereits beschimpft und gemeint, dass dies nicht geht. Da wir weiterhin mit ihr ohne Leine spazieren gehen möchten, ist es uns ein großes Anliegen, dass sie nicht jagt. Können Sie uns helfen?
Liebe Grüße, Familie Herzog.

Antwort von Yvonne Adler:

Liebe Familie Herzog,
egal, für welche Hunderasse oder welchen Mischling man sich entscheidet, jedes Individuum Hund hat in unterschiedlich ausgeprägter Form ein Jagdverhalten. Das ist biologisch höchst sinnvoll, denn ohne dieses Jagdverhalten wäre ein Hund in freier Natur nicht überlebensfähig. Typische Jagdhunderassen haben über die lange Zeit der Zucht bereits ein genetisch selektiertes Jagdverhalten, welches sich der Mensch zunutze macht. Ein Border Collie beispielsweise, der nicht zu den Jagdhunderassen zählt, hat in seinem Hüteverhalten ein genetisch selektiertes Jagdverhalten ohne „Packen und Töten“. So sieht man bei diesen Rassevertretern in der Hütearbeit das Erstarren / Fixieren / Lauern / Anschleichen / Hetzen, während das Packen und Töten als spezifische Endhandlung des Jagdverhaltens ganz gezielt weggezüchtet wurde.

Ein Golden Retriever, der wie jeder Hund zu einem Familienhund werden kann, zählt zu den Jagdhunderassen in der Gliederung der Apportier-, Stöber- und Wasserhunde. Vielleicht meinte Ihr Züchter, dass die Elterntiere nicht jagen, was aber nicht bedeutet, dass Ihr Individuum Hund kein Jagdverhalten hätte. Um nun nachhaltig ein Training für Ihre Herausforderung zu beginnen, ist es zu Beginn essenziell, dass Sie sich darin schulen, zu sehen, welche Verhaltensweisen bereits ins Jagdverhalten fallen.

So müssen Sie erkennen, dass eben jeder Hund, wie bereits erwähnt, ein Jagdverhalten in unterschiedlich ausgeprägter Form zeigen kann und es sich dabei um ein vollkommen natürliches und normales Hundeverhalten handelt. Bestimmte Teile des Jagdverhaltens sind angeborene Verhaltensweisen, während andere Teile wiederum erst erlernt werden müssen. Dieses Verhalten dient dem Nahrungserwerb, wird aber unabhängig davon gezeigt, ob der Hund gerade Hunger hat oder nicht.

Das Jagdverhalten allgemein ist eine selbstbelohnende Handlung. Daher gilt, selbst wenn Sie Ihren Hund nicht für dieses Verhalten loben oder bestätigen, erfolgt dies selbstständig durch das Verhalten des Hundes. Aus lerntheoretischer Sicht ist es deshalb nicht möglich, dieses Verhalten des Hundes einfach zu ignorieren, da sich der Hund durch das ausgeschüttete Adrenalin, die Endorphine etc. im Verhalten selbst belohnt.

Erste Auslöser des Jagdverhaltens sind meistens schnelle Bewegungen, da Hunde Sichtjäger sind. Andere Auslöser unterliegen einer starken Lernkomponente, wie beispielsweise der Geruch von Wild, eine Wildfährte etc. Das Jagdverhalten zählt zu den distanzverringernden Verhaltensweisen, um die Beute anschließend, bei komplett ausgeführter Jagdsequenz, zu fassen (packen) und zu töten. Eine Kommunikation zur gegenseitigen Verständigung zwischen Hund und Beute gibt es nicht. In diesem Jagdverhalten kann der Hund u.a. folgende Verhaltensweisen zeigen:

• Suchen / Nachfolgen
• Erstarren / Fixieren
• Lauern / Anschleichen
• Hetzen
• Angreifen / Packen
• Töten (Totschütteln)

Wird das Jagdverhalten von Ihnen erkannt, ist es unabdingbar, dass jedes Hundeverhalten im Kontext zur Situation richtig beobachtet und in Folge auch korrekt interpretiert wird. Wenn der Hund beispielsweise im Spielverhalten Jagdsequenzen übt, so ist dies richtig und wichtig, da Hunde dabei alle Verhaltensweisen in unterschiedlich ausgeprägter Form und ohne Endhandlung und Ernstbezug zeigen.

Für das Training ist es nun wichtig, dass Sie sich darin schulen, erste Anzeichen eines Jagdverhaltens zu erkennen. Dazu kann unter anderem starkes Schnüffeln am Boden, Luftwittern, Fixieren eines (Jagd-)Objektes ebenso zählen wie wenn der Hund sein ihn umgebendes Umfeld ganz genau beobachtet. Als wichtige Managementmaßnahme müssen Sie das weitere Einüben des Jagdverhaltens unbedingt unterbinden. Für Sie konkret bedeutet das, dass Ihre Mona an der Leine gehen muss. Dies dient dazu, dass sie das Jagdverhalten nicht weiter einüben und perfektionieren kann. Überdies ist es auch ganz wichtig, dass Sie durch Ihr Verhalten und Ihre Aufregung nicht das Jagdverhalten bei Mona auslösen. Denn durch die Stimmungsübertragung erkennt Ihr Hund Ihre Aufregung. Wenn Sie beispielsweise „den Horizont nach Wild scannen“, kann dadurch das Jagdverhalten bei Mona aktiviert werden.

Sie sollten auch überlegen, welche Hundefreunde Mona hat und ob sie sich vielleicht das Jagen bereits über das Nachahmungslernen von Artgenossen abgeschaut hat. Wichtig ist es auch, dass Sie beim Spaziergang im Trainingszeitraum Mona immer im Blick haben und darauf achten, wann Ihr Hund erste Anzeichen des Jagdverhaltens zeigt. Bei einem Antijagdtraining hat es auch Bedeutung, dass man sich einige grundlegende Gedanken macht, wie man seinen Hund für richtiges Verhalten belohnen und bestärken möchte. Wir müssen in diesem Training eine „konkurrierende Motivation“ zu einem beispielsweise laufenden Feldhasen finden. Das heißt, dass wir im Training mit unserer gewählten Belohnungsform zumindest mithalten können, im optimalen Fall aber sogar eine bessere Variante für den Hund bereitstellen können. Es bedeutet, dass wir bei der Emotionslage und der erhöhten Erregungslage des Jagdverhaltens eine Form der Bestätigung anbieten müssen, die eine Konkurrenz möglich macht.

Um nachhaltigen Erfolg im Antijagdtraining zu haben, ist es erforderlich, dass mehrere Trainingsfelder bearbeitet werden, wobei allerdings keine bestimmte Reihenfolge eingehalten werden muss, was zuerst trainiert wird. Erst nach erfolgreichem Training aller Teile und dem Zusammensetzen aller Trainingsfelder ergibt sich der nachhaltige Erfolg.

1) Grundgehorsam ausbauen und festigen
Ein junger Hund, dessen Lieblingskommando beispielsweise „Sitz“ ist, sollte dahingehend auch weitertrainiert werden, so dass der Hund dieses Kommando auch zuverlässig unter erhöhter Ablenkung und größerer Distanz beherrscht. Kann der Hund sein „Sitz“ sehr gut, kann man in der Anwendung des Kommandos, spätestens wenn der Hund beispielsweise Wild erspäht, den Hund absitzen lassen, um ihn dann beispielsweise anzuleinen. Deshalb sollte das Training auch Situationen mit unterschiedlichsten Ablenkungen umfassen, die mittrainiert werden. Sie könnten beispielsweise mit Mona trainieren, dass sie zuverlässig sitzen bleibt, auch wenn beispielsweise ein Ball bei ihr vorbeigeschossen wird, der ja einen bewegten Reiz darstellt.

2) Konzentrationsübungen auf den Halter
Jede Form der Aufmerksamkeit des Hundes auf Sie als Besitzer sollte verstärkt und belohnt werden. Mona soll lernen, dass sich dieses Verhalten mehr auszahlt als wenn sie beispielsweise die Nase am Boden hat. Der aufmerksame Hund hat außerdem den großen Vorteil, dass er sich auf Sie konzentriert und nicht auf die Umgebung und auf das Wild. Hier kann man natürlich auch ein Aufmerksamkeitssignal antrainieren. Damit ist gemeint, dass Mona auf ein bestimmtes Signal hin die Aufmerksamkeit auf Sie richtet. Mit dem Lernfortschritt muss bei diesem Training dann die Dauer der Aufmerksamkeit und auch die Ablenkung gesteigert werden.

3) Clicker-Training
Es macht einen definitiven Unterschied, ob man seinen Hund „einfach so“ belohnt oder sich mit Clicker-Training auseinandersetzt. Richtig aufgebaut, wird dieser „Click“ zu einem sogenannten „Sekundärverstärker“, der dem Hund einen Primärverstärker, wie Futter, Beute, etc., ankündigt. Dies ist im Anti-Jagdtraining auch deshalb wichtig, weil man mit dem Sekundärverstärker mit der erhöhten Erregungslage des Jagdverhaltens konkurrieren kann.

4) Sicherer Rückruf
Falls Mona schon ein Rückrufkommando hat, wäre es sehr gut, dies zu verbessern bzw. auszubauen. Der Rückruf sollte auch in der erhöhten Aufregung funktionieren. Wenn Mona dies bereits gut kann, sollten Sie mit steigendem Lernfortschritt den Schwierigkeitsgrad erhöhen und der Rückruf sollte auch erfolgreich sein, wenn beispielsweise ein Hund zeitgleich bei Ihnen vorbeiläuft. Es wäre gut, wenn Mona auch dann dem Rückruf folgt und zu Ihnen kommt, wenn andere bewegte Reize als Ablenkung vorhanden sind.

5) Alternative Beschäftigung mit Nasenarbeit
Ein wichtiger Faktor für den Erfolg des Anti-Jagd-Trainings ist auch die alternative Beschäftigung für den Hund. Für Hunde ist das Schnüffeln eine ganz beliebte Aktivität und Sie können daher Mona mit Nasenarbeit eine Alternative bieten. Dazu zählen etwa Suchspiele, Fährten oder Ähnliches. So lernt Mona, dass der Wildgeruch gar nicht so spannend ist wie beispielsweise der Menschengeruch bei Mantrailing.

6) Notfallspfiff
Mit diesen oben genannten Maßnahmen und dem Training sollte es eigentlich nicht mehr passieren, dass Mona ins Hetz-Verhalten fällt und einen Hasen oder ein anderes Wildtier jagt. Wenn es doch geschehen sollte, ist es optimal, wenn Sie zuvor einen Notfallspfiff zur Sicherheit trainiert haben. Dabei muss der Pfiff als neues Kommando mit der Emotions- und Erregungslage des „Hetzens“ konkurrieren können. Oft passiert es auch, dass Hundehalter in ihrer großen Aufregung ein Kommando ganz anders abgeben als dies normalerweise gemacht wird. Daher macht es Sinn, einen Notfallspfiff mit Pfeife anzutrainieren. Dazu wird mit einer Hundepfeife als Signal dem Hund beigebracht, dass bei diesem Pfiff eine Jagdsequenz bei Ihnen als Halter stattfindet. Der Pfiff wird kognitiv mit Beutemotivation verknüpft und kann so auch mit der erhöhten Erregung des „Hetzens“ konkurrieren. Hier ist es erwünscht, dass der Hund auch eine erhöhte Erwartungshaltung mit dem Pfiff entwickelt, da so alleine durch die Erwartungshaltung an die Belohnung bereits der Dopamin-Ausstoß weiter erhöht wird. Damit kann man später den Hund auch vom Hetzen „abpfeiffen“.
Für die Umsetzung des gut strukturierten und aufgebauten Anti-Jagdtrainings wenden Sie sich bitte an eine ausgebildete Fachkraft. Bitte bedenken Sie immer, dass es niemals eine 100-prozentige Garantie geben kann, dass Ihre Mona ein Kommando unfehlbar und mit absoluter Sicherheit ausführt. Hunde sind fühlende sowie denkende Lebewesen und keine Maschinen. Machen Sie sich bitte auch bewusst, dass das Festigen des neuen Alternativ-Verhaltens, das Sie statt des Jagens etablieren, mindestens genauso lange dauert wie das Erlernen der einzelnen Trainingsbausteine. Ich wünsche Ihnen und Mona, dass Sie weiterhin mit Spaß und Freude für Mensch & Hund beim Training dranbleiben und dass Sie den daraus resultierenden und verdienten Erfolg – einen folgsamen Hund auch bei Wild im Freilauf – genießen können.

Ihre Yvonne Adler

Pdf zu diesem Artikel: ratgeber_jagdverhalten

 

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