„Dominanter Terrier“ – Traum oder Alptraum

Von Liane Rauch

Woran erkennt man einen dominanten Hund eigentlich? Wie verhält sich ein dominanter Hund überhaupt? Ist ein dominanter Hund wirklich problematisch? Noch immer wird Dominanz bei Hunden mit negativen, menschlichen Vorstellungen belegt und bewertet. Dominante Hunde laufen schließlich nonstop knurrend, bellend, raufend, beharrlich auf Krawall gebürstet und ihren Halter unterdrückend durchs Leben. Doch ist das wirklich so? Kann ein dominanter Hund nicht auch ein großer Harmoniefaktor sein?

Dominanz erkennen
Als allgemeine biologische Definition von Dominanz gilt: „Ein Individuum nimmt eine höhere Stellung ein und setzt seine Bedürfnisse gegenüber anderen mit Einschränkungen durch …“. Diese Definition gilt für alle in Sozialverbänden lebende Säugetiere und für den Menschen. Wie laufen diese Einschränkungen ab? Setzt ein dominantes Individuum seine Bedürfnisse wirklich mit Gewalt durch und geht damit ein Verletzungsrisiko ein? In der Psychologie spricht man von Dominanz, wenn ein Individuum das Verhalten anderer kontrollieren und/oder beherrschen möchte. Herrscht das Alpha-Paar in einem Wolfsrudel mit Gewalt? Oder setzen diese Tiere bei der Kontrolle des Rudels doch eher „Köpfchen“ ein?

Wie verhält sich ein dominanter Hund wirklich?
Inzwischen würde ich sagen: Ja, Gott sei Dank ist mein Hund dominant. Dominante Hunde sind nicht laut, sie brüllen nicht. Dominante Hunde sind leise und treten selbstbewusst auf. Echte, wirklich dominante Hunde suchen niemals die körperliche Konfrontation, das haben die auch nicht nötig. Dominante Hunde lösen Konflikte clever mit „Köpfchen“. Ich konnte nunmehr schon zwei Mal in den Genuss eines dominanten Hundes kommen. Sunny, Collie-Podenco-Mix-Hündin, war in der Lage, andere Hunde „ins-Platz-zu-gucken“. Zu gut ist mir z.B. die Szene mit Timmy, ein Staffordshire Terrier, im Gedächtnis. Timmy, damals 10 Monate alt, hüpfte wie ein Gummiball um Sunny herum. Sie stand mit allen vier Pfoten fest auf dem Boden und sah Timmy nur an. Sie knurrte nicht, sie bellte nicht, sie drohte nicht, sie stand nur da. Es dauerte keine ganze Minute und Timmy lag ruhig vor Sunny und wartete auf „ihre Anweisungen“, wie er sich zu verhalten hat. Sie nahm auf diese Weise solch kleinen „Überfliegern“ sofort den Wind aus den Segeln, und das nicht nur ein Mal. Sunny hatte ihr ganzes Leben lang nicht eine einzige Rauferei, sie „guckte“ sogar angreifende Hunde einfach von sich weg.

Ähnlich verhält sich Metchley, Collie-Rüde, wobei er etwas körperlicher wird als Sunny. Er nähert sich anderen Hunden sehr höflich, wird nie penetrant oder aufdringlich. Kommen fremde Hunde auf ihn zu, ist sein Auftreten an die jeweilige Situation angepasst. Kommt der Hund ruhig und langsam auf ihn zu, nimmt er freundlich Kontakt auf. Prescht ein Hund bellend auf ihn zu, dreht er sich zur Seite oder wendet dem Hund den Rücken zu. Bei Konflikten unter anderen Hunden drängt er seine stattlichen 38 kg mit einem kurzen ermahnenden Knurren dazwischen, was bisher noch jeder Hund verstanden hat. Er ist inzwischen fast zehn Jahre alt und hat noch nie um seine Position „gekämpft“.

Roswitha Hölz über Sir Toby: „Sir Toby habe ich im Alter von 10 Wochen bei einem sehr guten Züchter gekauft. Toby genießt bei mir sehr viele Privilegien, die wahrscheinlich so manchem Hunde­erzieher die Haare zu Berge stehen ließen. Er darf auf die Couch und dürfte auch ins Bett, welches für uns beide jedoch leider etwas zu eng ist. Der Sir testet am Tisch schon auch mal die „Schwachstellen“ von Besuchern aus, bei mir bettelt er nicht am Tisch. Mit anderen Hunden ist Toby ­super verträglich, agiert eher als Schlichter und geht Konflikten lieber aus dem Weg. Tja, und was soll ich sagen, nach 6,5 Jahren Miteinander mit meinem Sir lebe ich noch immer, habe noch alle ­Finger, beide Arme und Beine. Er hat noch nie Besitzansprüche an die Couch gestellt und geht auch ohne Widerspruch, wenn ich ihn dazu auffordere. Ich kann ihm im Notfall Futter oder Spielzeug wegnehmen, er hat noch nie protestiert, da wir beide von Welpenbeinen an an einer vertrauensvollen Beziehung gearbeitet haben.Terrier sind garantiert nicht dominanter, im negativen Sinne, als andere Rassen auch, und diesen „speziellen Er­zfeind“, den Hund einfach anbellen muss, gibt es, glaube ich, einfach überall. Das hat jedoch absolut nichts mit Dominanz zu tun. DEN „Erzfeind“ kann Hund nun mal einfach nicht riechen. …

„Wenn du den ins Bett lässt, wird er dein Haus übernehmen“.
Wenn man solche Hunde-Mythen hört, hat man ja schon auch mal Bilder im Kopf. Der Mann kommt von der Arbeit nach Hause und findet den blutverschmierten Yorkshire Terrier auf dem Sofa vor, das verängstigte Frauchen liegt zitternd im Hundebett. Ich kenne viele Hundehalter, deren Hunde ausgesprochen viele Privilegien genießen. Da kuschelt Kira mit Frauchen auf dem Sofa, abends geht Herrchen mit Lumpi ins Bett. Luna bekommt regelmäßig etwas vom Tisch und Paul bekommt sein Spielzeug, wenn er es gerne haben möchte. Und die Halter leben alle noch, das weiß ich – ich sehe sie regelmäßig.

Ich habe mehr das Gegenteil beobachtet. Hunde, die kein vertrauensvolles Miteinander erleben, die vom Halter mit sinnlosen Einschränkungen oder unsinnigen Erziehungsmaßnahmen wie z.B. Futterschüssel wegnehmen, während der Hund frisst, gegängelt werden, zeigten wesentlich häufiger Ressourcen-Verteidigung. In dem Moment ist es auch egal, um welche Ressource es sich handelt, das kann Spielzeug, Futter, das Sofa oder ein Sozialpartner sein.

Auch unsere Hunde haben hier sehr viele Privilegien. Es gibt doch nichts Schöneres, als nach einem langen Tag mit den Hunden auf dem Sofa rumzulungern. Wenn aus Privilegien Probleme entstehen, liegt das nicht daran, dass der Hund dominant ist, sondern daran, dass Frauchen oder Herrchen lediglich versäumt haben, sich das Vertrauen und den Respekt ihres Hundes zu erarbeiten.

Petra Zimmer über Poldi und Kasimir: „Poldi ist inzwischen 13 Jahre und Kasimir 6 Jahre alt. Beide waren bei Einzug 8 Wochen alt. Poldi kommt von einem Bauernhof, Kasimir vom Züchter. Die beiden dürfen sehr viel. Wir liegen gemeinsam auf dem Sofa, im Bett, und beim Essen sitzen sie neben dem Tisch, kennen dabei aber auch sehr genau ihre Grenzen. Bei uns sind trotz dieser Sonderrechte noch nie Probleme entstanden. Sollten die zwei doch einmal versuchen Regeln zu brechen oder Grenzen zu übertreten, was sie bisher nicht versucht haben, würde ich die zwei auch konsequent an richtiges Verhalten „erinnern“. Wenn man gelernt hat seine Hunde zu lesen, kommt es erst gar nicht zu irgendwelchen Konflikten mit Mensch oder anderen Hunden. Ich hole meine eben schon, bevor es Aus­einandersetzungen gibt, ab. Die Aussage, Terrier wären dominant, halte ich für nicht richtig. Mit klaren Regeln und einer guten Struktur sind Terrier Hunde, mit denen man Pferde stehlen kann. Natürlich hinterfragen meine zwei Terrier-­Buben schon auch mal eine Anweisung oder ein Kommando, das ist jedoch auch die Würze in unserem Zusammenleben. Ich bin mir sicher, dass uns allen ansonsten ziemlich langweilig wäre.

Harmoniefaktor dominanter Hund
Ein dominanter Hund, in positiver Bedeutung, kann für eine Hundegruppe ein überaus elementarer Harmonie­faktor sein. Hat eine Gruppe einen selbstbewussten, souveränen „Chef“, steht einfach fest, wer wo hingehört und welche Aufgabe das einzelne Mitglied der Truppe zu erfüllen hat. Dieser souveräne Chef belästigt seine Gruppenmitglieder auch sicher nicht ständig mit irgendwelchen Ge- oder Verboten. Die Gruppe funktioniert fast von alleine. Fällt der nervenstarke und ruhige, also der dominante, Kopf der Gruppe weg, kommt es zu Konflikten bis hin zum Zerbrechen des Rudels.

Seit bald 20 Jahren halte ich Hunde-­Gruppen. Natürlich bin ich im Grundsatz der „Oberleutnant“ und lege Regeln und Grenzen fest. Draußen habe ich jedoch häufig meinen dominanten Hunden die Führung überlassen und habe damit nur positive Erfahrungen gemacht. Die Welpen oder Junghunde haben sich ganz stark am souveränen Hund orientiert, sein Verhalten ­angenommen und/oder sich von ihm in ein gutes Verhalten drängen lassen.

Andreas Renner über Kira und Daddy: „Beide Hunde kamen als Welpe vom Züchter zu mir. Kira ist inzwischen 5 Jahre, Daddy ist 1,5 Jahre alt. Wenn wir essen, ist der Tisch bei uns Tabu-­Zone. Couch-Kuschel-Stunden genießen wir jedoch sehr und auch das Bett wurde extra wegen den Hunden im XXL-Format angeschafft. Wir genießen das alle. Meine Hunde haben unendliches Vertrauen zu mir und lassen sich von mir und meiner Tochter im Notfall alles wegnehmen. Dieser Punkt war für uns sehr wichtig. Konflikten mit anderen Hunden gehen beide aus dem Weg. Daddy ist eher Schlichter als Konfliktsucher und Kira hat mit anderen Hunden einfach nicht so viel am Hut, ihr sind Menschen als Sozialpartner eindeutig wichtiger. Der Aussage „Terrier sind dominant“ im negativen Sinne muss ich widersprechen. Meine zwei und Hunde derselben Rassen aus meinem Bekannten- und Freundeskreis sind eher sehr sensibel und feinfühlig. Dominanz wird noch immer zu häufig mit Aggression in einen Topf geworfen. Leider ernten wir aufgrund der Rassezugehörigkeit von Kira und Daddy häufig „schräge“ Blicke. Das stecken wir jedoch leicht weg, weiß ich doch, dass meine zwei ausgeglichener und harmonischer mit mir zusammen leben als so mancher nicht gelistete Hund.

Der Terrier – Traum oder Alptraum?
Und die Moral von der Geschicht‘, verschmäh die dominanten Hunde nicht. Terrier sind eigentlich Traumhunde. Sie mussten aufgrund ihrer ursprüng­­lichen Zuchtziele hart, mutig, souverän, selbstbewusst und nervenstark sein. Begriffe und Wesenszüge, die vom Menschen leider noch zu häufig ­negativ belegt werden. Dominanz sollte in Zukunft endlich vom Begriff Aggression abgekoppelt werden. Beides hat nichts miteinander zu tun. Aggression ist ein aktives Hinein­gehen in eine ­Auseinandersetzung und/oder in einen Kampf, Aggression ist feindselig und gilt eher der Verteidigung. Würde ein dominanter Hund feindselig angreifend an seine Gruppenmitglieder herangehen, würde er bald „alleine im Regen stehen“.

Unsere hier im Artikel beschriebenen Terrier legen also sehr wohl ein ge­wisses Maß an Dominanz an den Tag, eine gesunde Dominanz, die alles andere als negativ ist. Dominanz im ­positiven Sinne, und das, obwohl sie Sofa, Bett und Tisch erobert haben.

Hunde-Mythen aus dem Reich der Gebrüder Grimm
Die Terrier waren der letzte Teil unserer Serie „Hunde-Mythen“. Wir hoffen, dass wir so manche dieser alten Geschichten, die scheinbar nicht auszurotten sind, widerlegen konnten. Dackel sind sehr wohl erziehbar, Spitze sind keine geborenen Dauerkläffer, Border Collies sind völlig normale Hunde und Tierheim­hunde sind nicht schlechter als der Hund vom Züchter. Hunde aus dem Tierschutz und/oder Abgabe-Hunde waren in der Serie sogar in der Mehrzahl vertreten.

Wer die Serie aufmerksam gelesen hat, wird festgestellt haben, dass wir immer Beispiele aus dem realen, wirklichen ­Leben aufgegriffen haben. Die Hunde, die in der Serie „mitgespielt“ haben, werden im echten Leben geführt. G‘schichten aus dem Leben eben. Genau das ist es auch, was mir persönlich am WUFF so gut gefällt. Das WUFF ist inter­aktiv, die Leser kommen zu Wort.

Es hat auch mir sehr viel Spaß gemacht, diese Artikel zu recherchieren und zu schreiben. Hunde sind Individuen, jeder ist anders. Auch innerhalb einer Rasse gibt es die unterschiedlichsten Typen. Ich gebe meinen Kunden gerne den Ratschlag, nach ihrem Bauchgefühl zu handeln. Sie selbst kennen ihren Hund am besten.

Und einen weiteren Rat gebe ich gerne mit: „Wenn dir einer etwas über Hunde erzählt und dies als alleinige Wahrheit anpreist, lautet deine erste Frage an ­diesen Menschen: WARUM? Und wenn er dir diese Frage nicht beantworten kann, dann rücke das Gesagte ins Reich der Märchen …“

Übersicht: Serie Mythen in der Hundewelt

10/16: Dackel – auch Dickköpfe ­können lernen …
11/16: Labrador – Allesfresser, Bio­tonne oder doch essgestört?
12/16: Beagles – Kommen wird ­überbewertet …
01/17: Der Rottweiler – Ein ganz ­normaler Hund
02/17: Der Spitz – Lebendige Alarmanlage?
03/17: Der Collie – Fellpflege als ­Lebensaufgabe?
04/17: Deutscher Schäferhund – ­Geborener Musterknabe?
05/17: Der Hunde-Senior – Von wegen altes Eisen …
06/17: Der Border Collie – ­Genialer Problemhund – Problem ­genialer Hund …
07/17: Molosser – Couchpotatoes oder doch richtige Hunde?
08/17: Tierheim-Hunde – ­Ungeschliffene Diamanten?
09/17: Kleine Hunde brauchen keine Erziehung!?
10/17: Terrier – Traum oder ­Alptraum?
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