Ciobanesc Romanesc Mioritic

Von Barbara Fallent

Der unbekannte rumänische Hirtenhund

In rumänischen Balladen und Legenden verherrlicht, erfreut sich das „kleine Schaf“ – wie der ­Ciobanesc Romanesc Mioritic liebevoll genannt wird – ob ­seiner imposanten Erscheinung, seiner Schutz­bereitschaft und Loyalität zunehmender Beliebtheit. Ein ehrliches und interessantes Porträt einer bei uns unbekannten Rasse – von Barbara ­Fallent.

Die Karpaten bestimmen das Landschaftsbild Rumäniens, wo sich die Traditionen der Hirten bis heute erhalten haben. Große Schaf- und Ziegenherden ziehen im Frühjahr aus den Tallagen ins Gebirge und im Herbst wieder zurück in die Ebenen (Trans­humanz). Dabei werden sie seit alters her von kräftigen Hirtenhunden begleitet, um die Herden vor Beutegreifern und zweibeinigen Räubern zu schützen. Die Karpaten beherbergen eine der größten europäischen Wolfspopulationen, die neben Bären, Großkatzen und Adlern eine ständige Bedrohung für Weidetiere sind. Die Sömmerung (sommerlicher Weidegang von Nutztieren) auf Gebirgsweiden wäre ohne die Arbeit dieser urtümlichen, wehrhaften Hirtenhunde bis heute undenkbar. Unter „Ciobanesc Romanesc“ (= Rumänischer Hirtenhund) führt die FCI (Weltverband der Rassehunde)drei Rassen: Ciobanesc Romanesc Mioritic (FCI-Nr. 349) und Ciobanesc Romanesc Carpatin (FCI-Nr. 350), die der FCI-Gruppe 1 zugeordnet sind. Der Ciobanesc Romanesc Bucovina (FCI-Nr. 357) ist der FCI-Gruppe 2 zugeteilt.

Geschichtlicher Abriss
Große Schutzhunde gab es schon im mittleren Neolithikum, wie Knochenfunde beweisen. Weidepachturkunden aus dem 15.-18. Jahrhundert lassen auf eine große Anzahl von Herdenschutzhunden schließen. 1934 und 1935 veröffentlichte das Nationale Institut für Zoologie Rumäniens die ersten Beschreibungen für Carpatin und Mioritic. Auf der ersten rumänischen nationalen Landeshundeausstellung im Friedenspark in Bukarest erschienen im Jahr 1935 86 einheimische, aus allen Teilen des Landes angereiste Hirtenhunde. Sechs von ihnen wurden mit Goldmedaillen ausgezeichnet. 1937 organisierte der Verband der Rassehundebesitzer erneut eine Hundeausstellung in Timisoara, an der wiederum eine große Zahl von Hirtenhunden teilnahm, und 1938 wurde daraufhin das erste Zuchtbuch für die Rassen Carpatin und Mioritic eröffnet. Wirtschafskrise, Krieg und Diktatur verhinderten, dass die Rassen weiter erfasst und ihre Standards endgültig ausgearbeitet wurden. Aber nach Neugründung des Kynologischen Verbandes im Jahr 1969 nahm man die alten Aktivitäten wieder auf und mit der Unterstützung des Landwirtschaftsministeriums bemühte man sich, die bodenständigen Hirtenhunde zu erforschen und deren Zucht zu fördern. Eine ausgedehnte Katalogisierungsaktion in den gesamten Hügel- und Gebirgsregionen Rumäniens erbrachte eine Bestätigung der großen Einheitlichkeit der Hirtenhunde, die sich, wie in den Dreißiger Jahren bereits begonnen, den zwei bekannten Typen zuordnen ließen. Dabei wurden 1975 ca. 6500 Arbeitshunde gezählt.

Gezielte selektive Zucht brachte eine weitere Vervollkommnung der ­Rassen, die von nun an kontinuierlich auf ­rumänischen Hundeausstellungen gezeigt wurden. Nachdem der Rumänische Hundeverband Nicolae Ceaucescus Sohn Nicu einen Mioritic-Welpen zum Geschenk gemacht hatte, erwachte auch offiziell das Interesse an den Hirtenhunden.

Anerkennung durch die FCI
Anlässlich der großen Hirtenhundeausstellung in Radauti (Kreis Suceava) im Jahre 1981 wurden die Standards für Mioritic und Carpatin festgelegt. Offiziell wurden die Hunde als „Ciine de turme romanesc“ bezeichnet, was wörtlich „Rumänischer Herdenhund“ bedeutet. Der Carpatin ist überwiegend der Hund der Gebirgsregionen, der Mioritic hingegen eher der des rumänischen Tieflandes. 2001 aktualisierte die Rumänische Kynologische Vereinigung die Standards und mit 30.03.2002 wurde eine Anpassung dem von der FCI vorgegebenen Schema vorgenommen. Die vorläufige Anerkennung von Carpatin und Mioritic durch die FCI erreichte man am 6.7.2005, die des Bucovinas am 26.3.2009. Während die vollständige Anerkennung von Mioritic und Carpatin auf der Welthundeausstellung 2015 in Mailand erfolgte, bleibt der Bucovina weiter noch im sog. Beobachtungs­status.

Der Mioritic – eine imposante Erscheinung
Der Name Mioritic (früher Mocano, Barac) leitet sich von der Volksballade „Mioritca“ (= kleines Schaf) ab. Er ist ein großer (ca. 70 – 80 cm) kräftiger, beweglicher, langhaariger Hund. Das Verhältnis Länge des Körpers zur Widerristhöhe sollte 11:10 betragen. Das Haar von harscher Textur ist gerade und mindestens 10 cm lang, an den Gliedmaßen etwas kürzer; die Rute ist reich behaart. Markant sind das ­wuschelige Haarkleid auch im Gesicht sowie ein deutlicher Bart unter dem Kinn. Diese reichliche Behaarung mit dichter Unterwolle schützt den Hund vor allen Witterungseinflüssen, sodass sie auch im Winter durchaus stets im Freien leben können. Die Fellgrundfarbe muss weiß sein, meist mit klar abgezeichneten schwarzen oder grauen Flecken, seltener auch einfarbig weiß oder grau. Für die Pflege des schmutzabweisenden Felles ist wöchentliches Bürsten völlig ausreichend; häufiges Baden würde den Lanolinhaushalt beeinträchtigen. Herdenhunde werden meist im Frühjahr gemeinsam mit den Schafen geschoren. Der Mioritic ist eine spektakuläre Erscheinung, ein muskulöser, jedoch keinesfalls schwerer Hund, der sich harmonisch, frei, gut koordiniert, kräftig und mühelos bewegt. Der Trab wird bevorzugt; der Galopp erscheint kraftvoll und ausgewogen.

Mit Artgenossen unverträglich?
Das Hauptverbreitungsgebiet des Mioritic ist vor allem die Bukowina, das Gebiet der Moldau, die Gegend um Sibiu, der Banat und die Maramures. Thomas Schoke schreibt in seinem im Jahr 2000 erschienenen Herdenschutzhunde-Buch, dass Rumänische Hirten – im Gegensatz zu ihren russischen und türkischen Kollegen – jeweils nur einen einzigen Hirtenhund halten würden, der alle Wach- und Abwehrfunktionen alleine ausübe. Er führt dies auf die Tatsache zurück, dass die rumänischen ­Hirtenhundrassen mit Artgenossen so unverträglich seien, dass man sie in der Regel nicht in Gruppen halten könne, da sie nur die ihnen körperlich unterlegenen Hütehunde akzeptieren würden. Die ausgeprägte Unverträglichkeit gegenüber Artgenossen gleicher Rasse und Größe soll mit der Selektion durch die Hirten zusammenhängen, die stets nur die drei oder vier aggressivsten Welpen eines Wurfes am Leben lassen. Ob dies für sämtliche Mioritic- wie auch ­Carpatin-Linien des riesigen Landes gilt, lässt er offen und das muss auch bezweifelt werden, da eine mehrhundert- bis tausendköpfige Herde kaum von nur einem einzigen Hirtenhund beschützt, bewacht oder gar verteidigt werden kann. Nach Angaben von Roswita Hirsch-Reiter in ihrem Hirtenhunde-Buch benötigt man einen Hund pro 100 Schafe, um die Gemeinschaftsherden der einzelnen Dörfer in die Berge zu führen, zu bewachen und gegebenenfalls gegen Wölfe, Bären oder andere Raubtiere zu verteidigen.

Balladen und Legenden ranken sich um die wehrhaften Hunde
An die Herde nehmen die Hirten in der Regel nur Rüden mit, während die Hündinnen unter Aufsicht ihrer Frauen in den Dörfern zurück bleiben. Der Wert eines guten Arbeitshundes wird meist in Anzahl Schafen berechnet. So ist ein guter Arbeitshund unter den Hirten etwa acht bis zwölf Schafe wert. Solche wehrhaften und ruhmreichen „Recken“ (rumänisch: caine barbet) sind in der ganzen Gegend bekannt und berühmt. Sie tragen oft die Namen alter Helden wie zum Beispiel Pintea, Novac, Costea oder Sasu.

Schutzbereitschaft und Loyalität dieser großen Berghunde sind legendär. So berichtet eine mittelalterliche Chronik aus dem Jahr 1359 von einem Mioritic namens Molda, der bei der Verteidigung seines Herrn, des Königs Bogdan, gegen einen angreifenden Stier sein Leben ließ. Auch Mut, Klugheit und Treue der Mioritic-Hündin Dolfa werden in einer Ballade besungen, soll sie doch ihren Herrn Costea zum Schafräuber Fulga geführt haben und diesen an der Kehle festgehalten haben.

Charaktereigenschaften
Die Attribute, die in den Standards den rumänischen Nationalrassen zugeschrieben werden, sind Mut, Unbestechlichkeit, Wachsamkeit, Anhänglichkeit an die Halterfamilie, Beschützerinstinkt für ihnen anvertraute Tiere, Ausdauer, Eigenständigkeit, Souveränität, dabei Ausgeglichenheit, Freundlichkeit zu Kindern und Misstrauen gegen Fremde. Misstrauen, eine wohl genetisch verankerte Charaktereigenschaft, sollte eher Vorsicht benannt werden, was ja für die Arbeitsausübung unbedingt notwendig ist. Vorsichtiges, abwartendes Verhalten, Beobachten und Bewerten der ­jeweiligen Situation und darauf angepasstes ­Reagieren zeichnet diese Hunde aus und muss bei Zucht, Welpenaufzucht und Ausbildung des Junghundes berück­sichtigt werden.

Erhöhte Wachsamkeit in der ­Dämmerung und über Nacht
Mioritic und Co. sind sehr ­intelligente Hunde, lernen gerne und schnell. Allerdings sollten ihre Eigenständigkeit und gelegentliche Eigensinnigkeit ohne Kadavergehorsam akzeptiert werden. Instinktiv bewachen sie alles ihnen Anvertraute; am liebsten von einem erhöhten Liegeplatz mit guter Rundumsicht, wobei deutlich höhere Wachsamkeit und Verteidigungsbereitschaft in der Dämmerung und nachts zu vermerken ist. Ihren Familien gegenüber sind die Mioritici stets loyal, liebevoll und einfühlsam, sind die zärtlichsten und geduldigsten Kinderhunde und die weichsten Kuscheldecken. Nur Spielhunde sind sie keine, zeigen sie doch deutliches Desinteresse an Stöckchen- oder Ballspielen.

Erziehung zum Familienbegleithund
Es muss auch klar zwischen Arbeitshund und Herdenschutzhund, der als Familienbegleithund gehalten wird, unterschieden werden. Die notwendigen Sozialisierungsschritte und Prägungserfahrungen sind zum Teil genau entgegengesetzt. Speziell bei diesen Rassen liegt hohe Verantwortung bei Züchter und Halter, diesen nativen, ­ursprünglichen Hund durch einfühlsame, konsequente Erziehung auf ein Leben mit sinnvoller Beschäftigung in unserer modernen Welt vorzubereiten. Nachdem Hirtenhunde Gewohnheits­tiere sind, heißt das Zauberwort bei der Erziehung Gewöhnung. Schon als Welpe ist der Besuch einer Welpen­schule empfehlenswert. So lernt der kleine Rabauke mit Kraft und Größe vorsichtig umzugehen, sind doch die meisten seiner Spielgefährten um etliches kleiner als unser Jungriese.

Aber die Welt ist nicht nur Hundeplatz und an alles muss man das Hundekind von Anfang an mit Konsequenz und Geduld gewöhnen. Der Welpe muss sein Rudel und sein Revier kennen und akzeptieren lernen, muss mit unterschiedlichsten Geräuschen, Umgebungen, Situationen konfrontiert werden, um sich in den unterschiedlichsten Alltagsgegebenheiten zurechtzufinden. Innerhalb von 5-6 Monaten entwickelt sich unser entzückendes Wollknäuel zu einem großen wehrhaften Hund.

Die Hunde zeigen Dominanz, Verteidigungsbereitschaft und spätestens jetzt kann man es hören: das tiefe, ganz aus dem Innersten kommende Hirtenhund-Brummen. Unerwünschtes Verhalten ist nun sofort zu korrigieren; Gewalt beeindruckt einen Mioritic dabei überhaupt nicht. Mit verständlicher Körpersprache, Zuwendung, Geduld, Respekt lässt sich ein großer, stolzer Rumäne leicht führen. Im Umgang mit anderen Hunden ist der Mioritic ein ­humorloser, kompromissloser Zeitgenosse, der seine Autorität stets beweisen muss und nicht in Frage gestellt sehen will. Er braucht Zeit, um sein Gegenüber kennen zu lernen, am besten auf neutralem Boden, weit weg von zuhause. Hier wartet also jede Menge Erziehungsarbeit auf den Hundeführer.

Ernährung
Bei der Ernährung sind die Hunde wenig anspruchsvoll und äußerst gute Futterverwerter. Aktive Herdenschutzhunde erhalten vorwiegend Milchprodukte (Milch, Käse, Sauerrahm, Molke) gemischt mit Brot. Fleisch steht nur dann auf dem Speiseplan, wenn Hirten für den Eigengebrauch schlachten. Generell ist auf einen geringen Proteinanteil im Futter zu achten. Auch bei der Aufzucht der Welpen und des Junghundes ist größte Sorgfalt geboten. Ein Futterüberangebot muss unbedingt vermieden werden, da sonst Gelenkschädigungen, arthrotische Veränderungen bis hin zu Dysplasien vorprogrammiert sind.

Haltungsvoraussetzungen
Außerhalb Rumäniens erfreut sich der Mioritic ob seiner imposanten Erscheinung in den letzten Jahren zunehmender Beliebtheit. Als reiner Wohnungshund oder für enge Reihenhaussiedlungen ist er allerdings aufgrund seiner Arbeitseigenschaften nicht geeignet. Ein ausreichend großes Grundstück muss zur Verfügung stehen. Zu beachten ist auch vor der Anschaffung eines Welpen, dass Rüden meist dominanter sind als Hündinnen. Alle Hirtenhunde sind ausgesprochen revierbewusste, unbestechliche Wächter, absolute Gewohnheitstiere, reagieren blitzschnell auf alles, was anders ist als üblich – erst mit Aufmerksamkeit, dann mit lautstarkem Gebell und gegebenenfalls mit Angriff bzw. Abwehr.

Die „kleinen Schafe“ sind ernsthafte Wächter, lieben ihr Revier, ihr Rudel und ihre Routine. Und dies alles möchten sie nicht gestört sehen.

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