Tierheim-Hunde – Ungeschliffene Diamanten? – Serie Mythen in der Hundewelt

Von Liane Rauch

Um gleich jegliches Missverständnis ­auszuschließen: Ich habe nichts gegen Züchter. Wenn die Zucht mit Herz und Verstand betrieben wird, dient dies der Rassenerhaltung und idealerweise auch der ­Rassenverbesserung. Jeder hat das Recht, seinen vierbeinigen Partner von der Stelle zu holen, die für die Lebensplanung als die beste erscheint. Oft ist es jedoch so, dass die Adoption eines ­Tierschutzhundes von vorneherein ausgeschlossen wird. Es geht noch immer der Mythos um, dass es im Tierschutz nur „kaputte“ Hunde, Mischlinge und keine ­Welpen ­gäbe. Inzwischen gibt es unzählige ­Vereine, die sich auf die Vermittlung von Rassehunden spezialisiert ­haben. Immer wieder landen Welpen in Tierheimen, die unüberlegt angeschafft wurden. Ich hoffe, ich kann mit den folgenden Beispielen die Vorurteile gegenüber Tierheimhunden ­wider­legen.

Oft hört man „Du weißt aber schon, dass die alle eine Macke haben?“ Selbstverständlich gibt es unter Tierheimhunden auch die etwas „schwierigeren“ Exemplare. Diese Hunde haben einfach manchmal eine nicht so schöne Vergangenheit mit teilweise schlimmen Lebenserfahrungen hinter sich. Erwirbt man einen Welpen aus einer nicht seriösen Zucht, können jedoch die gleichen oder sogar noch schlimmere Probleme auftreten.

Unsere Tiere waren schon immer ­Second-Hand. Nicht nur unsere Hunde, auch Katzen, Meerschweinchen, Ratten, Mäuse und Vögel waren immer Abgabe- oder Tierheimtiere. Ein Fisch war auch mal dabei. Irgendwie hatte es sich immer so ergeben. Mein erster Hund, ein Chow-Chow, war 6 Jahre alt, als ich ihn von einem ­Lastwagenfahrer übernommen habe, der seinen Job aufgab und den Hund nun nicht mehr brauchte. ­Gesucht haben wir unsere Tiere nie wirklich. Sie haben immer uns gefunden. „Schwierig“ war keiner unserer Hunde. Ich würde hier eher von Defiziten sprechen. Ein Hund, der das erste halbe Jahr seines Lebens bei einem sogenannten „Züchter“ im Keller verbringt, ist in einer Familie mit zwei kleinen Kindern nun mal völlig überfordert. Unser Juno war jahrelang im Zwinger eingesperrt. Da ist es kein Wunder, dass so ein Hund eine „Tür-Phobie“ ent­wickelt und verzweifelt versucht, jede geöffnete Tür zu passieren. Dies sind aber sicher keine Macken oder Probleme, die nicht zu lösen wären.

Wobei, Honey Bee, unsere Jüngste, hatte schon eine wirklich schwerwiegende Macke. Die junge Dame war als Welpe sehr „belesen“. Insgesamt 6 Lesebrillen hat sie „verbraucht“. Und Frauchen und Herrchen ließen ihr auch immer wieder welche liegen – selbst schuld, wenn man einen wissbegierigen Welpen zu Hause hat.

Überraschungspakete nur im ­Tierheim?
Vor allem bei den sogenannten „Mode-Rassen“, die wegen großer Nachfrage von Züchtern in Massen produziert werden, treffe ich in der Praxis immer wieder sehr schwierige Hunde. Das Ende vom Lied war meist eine tränenreiche Trennung, die jedoch für Hund und Mensch die einzige und auch beste Lösung war. Auch bei Hunden vom Züchter weiß man nicht immer, was man bekommt, man weiß nicht, wie sich der Welpe entwickelt. Es handelt sich um Lebewesen, die Entwicklung ist individuell. Der Mythos „Überraschungspaket Tierheimhund“ entspricht eindeutig nicht den Tatsachen.

Ungeschliffene Diamanten
Vor allem Hundeanfängern empfehle ich gerne, sich bei einem guten Tierschutzverein nach einem schon etwas älteren Hund ab 2 Jahre aufwärts umzusehen. Sie haben dort eher die Gelegenheit, ihr neues Familienmitglied besser kennen zu lernen, als bei manchem Züchter. Den Tierheimmitarbeitern ist der aktuelle Ausbildungsstand bekannt, sie wissen um die Eigenheiten ihrer Hunde und informieren Sie darüber, welche Ansprüche Ihr Wunschhund stellt. Dies ist bei unseriösen Züchtern nicht der Fall, hier gilt „Geld vor Platz“.

Man kann im Tierschutz über so manchen ungeschliffenen Diamanten stolpern. Jack, English Springer Spaniel-Mix aus Zypern, arbeitet in einem Kinderhospiz als Therapiehund und gibt den Kindern neuen Mut. Frau Dr. Klinger hält auch noch einen Beagle vom Züchter. Sie hat damit einen guten Vergleich zwischen Züchterhund und Tierheimhund.

Dr. Katrin-Carolin Klinger über Amélie und Jack: „Jack kommt aus einem Tierheim aus Zypern und wurde über die Organisation Zypernhunde e.V. zu mir nach Deutschland gebracht. Wichtig war mir hierbei, einen Tierschutzhund von einer seriös arbeitenden Organisation zu übernehmen. Mein Bub war 2,5 Jahre alt, als er am 22. Dezember 2015 bei Amélie, meinem Beagle, und mir einzog. Die genaue Vorgeschichte von Jack kenne ich nicht. Er wurde im Alter von etwas über einem Jahr auf einer Müllkippe aufgegriffen und wies Verletzungen auf, die wohl von Misshandlungen herrührten. Da er im Tierheim ziemlich ängstlich und verunsichert war und sich versteckte, dauerte es noch 9 Monate, bis er seine Chance bekam. Am Anfang gab es natürlich Unterschiede zu meiner Amélie, die von einem anerkannten Beaglezüchter stammt. Sie hatte einfach den besseren Start ins Leben und kam schon als Welpe zu mir. Bestimmte Situationen, die Jack verunsicherten, meisterte Amelie mit Bravour. Sie nahm ihn von Anfang an „an die Pfote“ und gab ihm mit ihrer souveränen Art Sicherheit, und Jack taute schnell auf. Mit Amélie bin ich immer schon sehr aktiv, sie hat u.a. die ärzt­liche Begleithundeprüfung bestanden, da ich in meiner eigenen Zahnarztpraxis viele behinderte Menschen, Wachkomapatienten und Kinder aus einem Hospiz behandle. Alleine die Anwesenheit der Hunde beruhigt meine Patienten schon sehr. Beide Hunde unterstützen mich inzwischen bei meiner Arbeit mit den Patienten. Während Amélie teilweise sehr forsch auf Menschen zu geht, zeigt Jack eine unglaub­liche Sensibilität im Umgang mit meinen kleinen Patienten. Jack hat die Kinder noch nie bedrängt, offensichtlich hat er eine natürliche Be­gabung zu erkennen, ob jemand ängstlich ist oder nicht, und schafft es mit seiner sehr sanften Art, viele neue Freunde zu gewinnen. Heute ist Jack ein großartiger Hund, der gerne kleine Tricks lernt. Dog Dance und etwas Agility zum Spaß sind der Ausgleich zu seiner Arbeit als Therapiehund in einem Behindertenheim, bei Wach­koma-Patienten und im Kinderhospiz. Jack hat zwar einen wesentlich ausgeprägteren Jagdtrieb als Amélie, ist dafür jedoch viel anhänglicher und verschmuster als sie. Ob der Jagdtrieb nun die ­Macke eines Tierschutzhundes ist, bezweifle ich. Vielleicht hat der Amélie einfach noch niemand gesagt, dass sie eigentlich ein Beagle ist. …“.

Unentdeckte Perlen
Auch Welpen und Junghunde ­findet man in großer Zahl im Tierheim. Unsere Sunny war 11 Wochen alt, als wir sie aus dem Tierheim Rosenheim adoptierten. Metchley haben wir im Alter von 9 Wochen von „Collie in Not“ übernommen und Honey war bei ihrem Einzug bei uns 12 Wochen alt. Unsere Queen zog im Alter von 10 Monaten bei uns ein. Es entspricht also nicht den Tatsachen, dass in Tierheimen nur alte, bissige Hunde sitzen.

Monika Imhof-Cadosch adoptierte die 7 Monate alte Ginger von einem ­kroatischen Tierschutzverein und ihre Tochter Patricia entschied sich für den 20 Wochen alten Lewis aus Polen. Beide Hunde arbeiten heute im sportlichen Mantrailing.

Patricia Imhof über Lewis: „Ich hab‘ ­Lewis aus dem Internet, eigentlich die ganz klassische, falsche Art einen Hund zu kaufen. Jedoch war es unsere Nachbarin, die ihn in Polen ins Heim brachte und dann in die Schweiz. Er und seine Mutter waren „Überlebende“ der Straßensäuberung zur Fußballweltmeisterschaft in Polen 2011. Er war geschätzt 5 Monate alt, als ich ihn übernahm. In der Schweiz angekommen, arbeiteten wir an der Grundausbildung. Als Junghund war er sehr angenehm, ich konnte ihn von Anfang an frei laufen lassen und er vertrug sich mit allen und jedem. Als er älter wurde, entwickelte sich eine Leinen­unsicherheit – er bellt und hüpft bei Frontalbegegnungen. Deshalb bin ich bei Begegnungen mit fremden Hunden etwas vorsichtig. Seit 3 Monaten machen wir Handtouch-Training und spielen Einsteinspiele, was uns nochmal sehr viel Sicherheit gibt. Wir begannen mit Canicross, indem wir auch an Rennen teilnehmen, und im Winter Zughundesport mit einem Hobbyschlitten machen. Ein Mal wöchent­lich gehen wir zum Mantrailen und durften auch schon am Lawinensuchtraining mitmachen. Unheimlich spannend war auch das Training mit Dr. Marlene Zähner und dem Leiter Christian Cinyuyi, die im Kongo die Hunde der „Congohounds Staffel“ im Virunga Nationalpark ausbilden. Diese Hunde stöbern Wilderer auf und stellen sie. Lewis liebt Kinder und Menschen über alles und ist ein toller Partner für unsere anderen Hunde. Er ist mein Seelenhund und Lewis war die beste Entscheidung überhaupt.“

Monika Imhof-Cadosch über Ginger: „Ich glaube, Ginger hat UNS gefunden. Sie sollte eigentlich an eine andere Stelle vermittelt werden, die sich jedoch als ungeeignet herausstellte. Die Pflege-Mama besuchte uns mit Ginger und ihren anderen vier Hunden. Es war von uns allen, den bereits vorhandenen Hunden Luna und Lewis (damals 1,5 Jahre alt), Liebe auf den ersten Blick, so dass Ginger noch am gleichen Tag einfach bei uns blieb. Ginger war damals 6 Monate alt. Gingers Start ins Leben war nicht so glücklich. Sie wurde in einem Park von einer wilden Hündin geboren. Mit etwa 8 Wochen wurde ihr von einem Schäfer­hund das Köpfchen zerbissen und sie hatte mehrere Löcher im Kopf, die genäht werden mussten. Mit ihren ­Geschwistern lebte sie dann im Tierheim und ­wurde aufgepäppelt. Trotz allem liebt sie Schäferhunde heute noch über alles. Auch Ginger hat, in der Schweiz angekommen, als Erstes das kleine Hunde-ein-mal-eins gelernt. Ginger ist fremden Menschen und Hunden gegenüber erst scheu und misstrauisch, fasst aber dann Vertrauen und es gibt keine Probleme mehr. Heute arbeitet Ginger, wie Lewis auch, als Mantrailer, zum Ausgleich machen wir alle zusammen Zughundesport an Rad und Schlitten. Für ihr Köpfchen haben wir die Einsteinspiele entdeckt, wodurch Ginger noch zufriedener erscheint. Wie erwähnt, ich bin sicher, Ginger hat sich UNS ausgesucht, und wir hatten Glück, dass sie uns von Kroatien aus in der Schweiz „entdeckt“ hat.“

Sie werden euch finden …
Wie bereits erwähnt, hatte ich immer den Eindruck, unsere Tiere haben uns gefunden. Unsere Queen war so ein Beispiel. Ich wollte mir damals endlich meinen Traum von einer „reinrassigen Lassie“ erfüllen. Irgendwann muss man seine Kindheitstraumata endlich aufarbeiten. Ich habe die Tierheime durchforstet, im Internet gesucht und „Tiere-suchen-ein-Zuhause“ geschaut. Es waren so einige Collies dabei und immer nahm ich mir vor: „dort rufe ich morgen mal an“, denn es sollte ja auf jeden Fall ein Tierheimhund sein. Irgendwie habe ich dann die Anrufe immer wieder hinausgeschoben, bis nach 1,5 Jahren „Suche“ wieder einmal „Tiere-suchen-ein-Zuhause“ über den Bildschirm flimmerte. Da spazierte eine ängstliche, lange Collienase ins Bild und ich hatte SOFORT den Telefonhörer in der Hand. DAS war MEIN Hund.

Eva Strütt über Peppi, Labrador-­Dackel-Mix: „Ich habe Peppi im Januar 2015 aus dem Tierheim in Dachau übernommen, er wurde von privat dort abgegeben und war anschließend fast ein Jahr im Tierheim. Peppi war damals 1,5 Jahre alt. Er war in einer Familie mit kleinen Kindern, hat dort wohl angefangen nach den Kindern zu schnappen und wurde daraufhin sehr grob behandelt. Er weist deutliche Anzeichen von Misshandlungen auf wie z.b. kaputte Ohren, Knick in der Rute. Letztendlich wurde er im Tierheim abgegeben. Dementsprechend stellte sich bereits im Tierheim heraus, dass er Angst vor Männern hat. Mit Hunden ist er gut sozialisiert, lediglich an der Leine wurde er unsicher. Trainiert haben wir bei den Hundefreunden Dachau und im Oktober 2015 die Begleithundeprüfung als bestes Team bestanden. Wir sind Mitglied der Gruppe „Die Alternativen“, in der neben Unterordnung viel Wert auf Übungen zum stressfreien Meistern von Alltags­situationen wie Begegnungen mit anderen Hunden und Gehorsam unter optischer und akustischer Ablenkung gelegt wird. Bereits wenige Wochen, nachdem ich Peppi hatte, habe ich mit ihm bei den Johannitern in der Rettungshunde­staffel angefangen. Den Eignungstest zum Rettungshund hat er 2015 ebenfalls bestanden und wir arbeiten gerade auf die Prüfung als Rettungshundeteam in der Flächensuche hin. Peppi hat sich im großen und ganzen sehr gut entwickelt, seine Angst vor fremden Männern hat er noch nicht ganz abgelegt. Seinen ausgeprägten Jagdtrieb haben wir mittlerweile größtenteils unter Kontrolle, und ich kann ihn auch in die Innenstadt von München mitnehmen, er fährt brav mit dem MVV und reagiert auch entspannter in großen Menschenmengen. Mit Kindern gab es bei mir bisher überhaupt keine Probleme. Ich habe allerdings selber keine, und die Nachbarskinder haben erst mal beigebracht bekommen, dass man von Peppi Abstand halten muss. Im Zweifelsfall ziehe ich ihm aber vorsichtshalber NOCH seinen Maulkorb an, wenn es zu Begegnungen mit Kindern kommt Wir sind Mitglied der Johanniter Rettungshundestaffel (Training 2-mal die Woche) und sofern ich es zeitlich schaffe, besuchen wir einmal die Woche die „Hundeschule Brings“. Da Peppi sehr intelligent ist, ist die größte Herausforderung, ihn auch geistig auszulasten, ich muss mir immer neue Dinge einfallen lassen, er kann inzwischen viele Tricks. Bis auf wenige „Erzfeinde“ ist auch ein gesittetes „an-der-Leine-an-anderen-Hunden-vorbeigehen“ möglich. Ich denke aber, jeder Hund hat DIESEN einen Erzfeind“.

Tierheimhunde – Ungeschliffene ­Diamanten?
Die Anschaffung eines Hundes ist kein Samstag-Vormittag-Einkauf. Leider hört und sieht man noch immer Meldungen von Tierschutzvereinen über Beschlagnahmen unzähliger Welpen aus Tiertransporten. Das Ziel dieser Welpen sind in der Regel die Hundemärkte in Belgien, Luxemburg oder Holland. Auch in Polen, Ungarn und in Tschechien kann man Billig-Welpen auf Märkten erwerben. Da wird dann zwischen dem Salatkopf und dem Nudelpaket schnell noch ein Beagle-Welpe eingepackt, weil der ja grad so günstig war. Interessanterweise haben viele Menschen mit den Hunden auf diesen Märkten Mitleid. Hier ist jedoch Mitleid völlig fehl am Platze, da man durch diese Mitleids­käufe ausschließlich und nur die Weiter­produktion der Hunde unterstützt. Legen Sie doch einmal Ihren Fokus auf die vielen Hunde in Tierheimen.

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