Zweiter animierter Stop-Motion-Film des US-Regisseurs fällt weitaus düsterer und politischer als Vorgänger aus – Hollywoodstars leihen Hunden ihre Stimmen (Von Angelika Prawda/APA)
Berlin/Wien (APA) – Ein Wes-Anderson-Film ist stets unverkennbar ein Wes-Anderson-Film: voller Details, skurriler Charaktere, cleverer Dialoge. Und doch ist etwas anders an „Isle of Dogs – Ataris Reise“: Der zweite animierte Stop-Motion-Film des US-Regisseurs nach „Der fantastische Mr. Fox“ (2010) fällt weitaus düsterer, und vor allem politischer als seine Vorgänger aus. Am Abend eröffnete das Werk die 68. Berlinale.
Gemeinsam mit Andersons langjährigen Co-Autoren Jason Schwartzman und Roman Coppola sowie Neuzugang Kunichi Nomura erdacht, ist „Isle of Dogs“ im semifiktionalen Japan der nahen Zukunft angesiedelt: In Megasaki City breitet sich das „Schnauzenfieber“ rasant aus. Weil die Hundegrippe droht, auch Menschen gefährlich zu werden, verbannt der korrupte Bürgermeister und Katzenfreund Kobayashi sämtliche Hunde der Stadt auf eine riesige Mülldeponie vor der Küste. Der erste Vierbeiner, der ins Exil geschickt wird, ist Spots, der loyale Leibwächter von Kobayashis zwölfjährigem Pflegesohn Atari.
Sechs Monate später macht sich Atari mit seinem Miniatur-Junior-Turboprop auf die Suche nach seinem treuen Begleiter. Auf der „Trash Island“ stößt der Bub auf ein Rudel an Alphahunden, die ihn bei seiner Mission unterstützen. Mit dabei:
Quasi-Anführer Rex (gesprochen von Edward Norton), das ehemalige Baseball-Maskottchen Boss (Bill Murray), Hundefutter-Testimonial King (Bob Balaban), Gerüchte-König Duke (Jeff Goldblum) und der abgehärtete Streuner Chief (Bryan Cranston). Parallel zur gemeinsamen Mission ist die junge Austauschstudentin und Aufdeckerin Tracy Walker (Greta Gerwig) in Megasaki City einer größeren Verschwörung auf der Spur…
Wes Anderson ist dafür bekannt, träumerische, und doch in der Realität verhaftete Welten um seine Figuren herum zu basteln. Mit „Isle of Dogs“ aber übertrifft er sich selbst, kamen doch dreimal so viele Puppen und doppelt so viele Miniatur-Kulissen wie bei „Der fantastische Mr. Fox“ zum Einsatz. Jedes Set – von den unterschiedlichsten Müllbergen bis zu Innenansichten der futuristisch angehauchten Metropole – strotzt nur so vor liebenswerten Details und Ideen, dass man zwischendurch die Zeit anhalten und sich einfach umschauen möchte. Mal entstehen bei Raufereien zwischen Hunden Staubwolken aus Baumwollknäueln, offenbart sich am Rücken des breitschultrigen Bürgermeisters eine farbenfrohe Tätowierung, oder ragt ein von einem Tsunami zerstörter Vergnügungspark aus dem Sand hervor.
Sein größer Inspirationsgeber sei diesmal der japanische Großmeister Akira Kurosawa gewesen, sagt Anderson. Die Einflüsse japanischer Kultur vermischen sich mit all den charakteristischen Elementen aus dem Schaffen des Texaners: mit der präzisen, symmetrischen Bildsprache, der romanhaften Erzählung in Kapiteln, dem Fokus auf eine Expedition (inklusive visuellem Erzählen mit Karten und langen Schwenks, die den Charakteren in Bewegung folgen), der (dysfunktionalen) Familie oder der Gemeinschaft als Grundgerüst.
Herzstück von „Isle of Dogs“ sind freilich die Hunde: Hier gleicht keiner dem anderen, ist jeder mit eigener Vergangenheit und besonderen Charakteristika ausgestattet. Anders als Mr. Fox werden Rex Co. in ihrem Auftreten nicht vermenschlicht, bewegen und verhalten sich wie Hunde. Ihr Bellen, Kläffen und Jaulen aber wird – so lautet eine witzige Ankündigung am Anfang des Films – zum besseren Verständnis ins Englische übertragen. Die menschlichen Figuren hingegen sprechen ausschließlich Japanisch und wir verstehen sie nur, wenn gerade die Übersetzerin der Regierung, Nelson (Frances McDormand), vor Ort ist. Doch man muss nicht jedes Wort verstehen, um der Geschichte zu folgen, und kein Hund sein, um mit den Vierbeinern mitzufühlen, wenn sich ihre Augen mit Tränen füllen.
Nun liegen den Filmen Andersons, von „The Royal Tenenbaums“ und „Darjeeling Limited“ bis zuletzt „Grand Budapest Hotel“, oft ernste Themen zugrunde; sie sind von Melancholie und einer gewissen Hoffnungslosigkeit getragen, der Außenseiter heldenhaft trotzen. Das Setting von Andersons neuestem Werk ist aber ungewöhnlich düster, die Farben sind primär in Grau- und Erdtönen gehalten. Themen wie Unterdrückung, Entrechtung von aus der Gesellschaft Ausgestoßenen, Hausarrest für Dissidenten und das Schüren von Angst für politische Zwecke rufen allzu aktuelle Assoziationen hervor. Er habe keinen politischen Film machen wollen, meinte Anderson im Vorfeld der Weltpremiere in Berlin vor Journalisten: Die Welt habe sich in den knapp vier Jahren, in denen er am Film arbeitete, eben verändert, und die Realität Einzug in die Geschichte gehalten.
Aber keine Sorge: In dieser Fabel mit Tiefgang überstrahlt eine Gruppe an (tierischen wie menschlichen) Underdogs die trostlose Gegenwart, ist ein von Wes Anderson erdachter Diktator zu Läuterung fähig – und gibt es dank des trockenen, schwarzen Humors immer sehr, sehr viel zu lachen.
(S E R V I C E – „Isle of Dogs – Ataris Reise“ startet am 4. Mai in den österreichischen Kinos. www.berlinale.de)